Biografie: Ein Spiel

Die Weiche hin zum Status quo

d'Lëtzebuerger Land vom 22.03.2013

Hannes Kürmann wählt. Kürmann wählt sein Leben, wählt sein Leben neu. Wie, weiß er selbst nicht so genau. Kürmann weiß nur, er will sein Leben, seine Biografie „ohne Antoinette“, ohne seine Ehefrau. Regie-Assistenten gewähren ihm diese einmalige Gelegenheit, in jenen Momenten einzuhaken, jene Episoden neu zu inszenieren, die seine Lebensgeschichte in neue Bahnen lenkten. Ein solches Momentum ist das Treffen mit der ihm noch unbekannten Antoinette Stein anlässlich einer Feier zur frisch erworbenen Professur. Unnachgiebig lässt Kürmann diese Szenen seines Lebens unter Mitwirkung beider Assistenten neu aufleben, sprachlich umgestalten, ihre Kausalität der Zufälle aufbrechen, um neu zu leben.

Aus der Feder des Schweizer Dramatikers und Romanciers Max Frisch stammt das Bühnenwerk Biografie: Ein Spiel. Unter der Regie von Bastian Kraft nähert sich das Deutsche Theater Berlin dem Stoff mit einem klaren Konzept, so auch am 4. und 5. März bei einem Gastspiel im Studio des Grand Théâtre. Das eigene Leben umsortieren zu können und sich unerwünschte Erlebnisse nicht nur geistig, sondern dreidimensional zum Teufel zu wünschen, wird in dieser Produktion vor allem von Peter Baur bühnentechnisch mit Bravur umgesetzt. Die Bühne besteht aus einer Rampe aus Gerümpel, Kostümen und Nahrung, aus Möbeln und Textschnipseln. All das bildet ein undurchschaubares Durcheinander aus dem, was Leben ausmacht: verworren, verwoben, verzwickt. In der Mitte befindet sich eine Art Manege, eine Bühne auf der Bühne, mit segelartigen Leinwänden, biografischen Textgeflechten, bildträchtigen Illustrationen der Orientierung.

„Your position is here“, möchte ein Stadtplan wissen. Im Inneren dieser Manege spielt sich Kürmanns Um-, Neu- und Rückgestaltung seines Lebenslaufes unter Mitwirkung der Darsteller ab. Rechts werden Filme und Texte an einem Minikarussell zusammengestellt und ans große Pendant projiziert. Und doch dreht sich gerade diese Lebensbühne wie ein Karussell mit der zwingenden Erkenntnis, dass die Vita in ihrer Geschichtlichkeit und Unwiederbringlichkeit so unkalkulierbar ist wie das Durcheinander an Requisiten im Regieraum. Kraft unterstreicht, dass Geschehenes nicht nachgespielt werden kann, sondern sich unabänderlich weiterdreht.

Tiefschürfender wirkt jedoch Frischs Ergebnis, dass der Versuch einer Neugestaltung sich selbst aus der Sicht des Lebenden als merklich schwierig erweist: Kürmanns Lebensweg ist nicht als Summe an Zufällen zu verstehen. Er ist vielmehr in ihm angelegt, ein Produkt seines eigenen Wesens. Je stärker er versucht, Änderungen vorzunehmen, umso konsequenter führen diese Nachstellungen zum Original zurück. Er lebt, was er ist. Folgerichtig und aussichtslos wünscht er sich „eine andere Intelligenz“. Da hilft auch der Buzzer nicht, der wie eine Kapitelzahl vorheuchelt, ein Leben bestehe aus aus- oder umtauschbaren Struktursegmenten. An diese Überlegungen ist die Einschränkung geknüpft, dass Kürmann seine Vergangenheit mit dem heutigen Wissen nicht als Erlebender spürt, sondern als Erinnernder reflektiert. Wie die Textprojektionen auf den Körpern der Darsteller bleibt die Biografie seines Lebens letztlich an Kürmann kleben.

Eggert und Mooshammer unterstützen diese im Eigentlichen komisch gestaltete Inszenierung von Kraft mit sichtlicher Spielfreude, meistern die Komplexität sowohl der Bühne als auch der subtilsten Textvariationen ohne Zweifel. Besonderes Lob sei jedoch dem Darsteller Denis Larisch gezollt. Der kurzfristig erkrankte Hans Löw musste auf die Schnelle ersetzt werden. Larisch, der die Rolle des Hannes Kürmann vor zwei Jahren gespielt hat, wusste sich in sehr kurzen zwei Tagen textlich und gestisch in die Rolle hineinzuversetzen.

Was wie ein rundum gelungener Theaterabend klingt, barg jedoch Schwächen. Nicht in der Regie, nicht in der Darstellung und keinesfalls in der Kulisse: Nein, der Autor selbst liefert zwei zentrale dramaturgische Eigenarten, die einen schalen Beigeschmack hinterlassen. Zum einen – es liegt in der Natur der Frage – kann der subtil variierte Text nicht über die zahlreichen Längen hinwegtäuschen, die aufgrund der Wiederholungen kaum zu vermeiden sind. Im Gegensatz zum Ausgangspunkt und dem letzten Drittel wirkt der Mittelteil vorwiegend langatmig. Zum Anderen wirkt Frischs Wendepunkt am Ende des Dramas nicht nur unoriginell, sondern schlichtweg platt: Antoinette, die als lebensechte Figur auftritt, wird die Umgestaltung ihrer Biografie ebenfalls gewährt. Sie betritt die Bühne, spielt das berüchtigte Treffen um zwei Uhr nachts nochmals durch und schafft es ohne weiteres „steinhart“, Kürmann zu verlassen, bevor die Beziehung sich anbahnt. Im Kontext der Frisch’chen Philosophie kann dieses Ende wenig überzeugen. Eine Brücke zur Gender-Frage zu schlagen, wäre absurd.

Frischs Biografie: Ein Spiel ist ein philosophisch hervorragendes, dramaturgisch hingegen fragwürdiges Werk. Starks Inszenierung ist für diese Schwächen nicht verantwortlich.

Claude Reiles
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