Wie hat die Industrialisierung das Landschaftsbild der Luxemburger Minett-Region verändert? Wie wurde diese Veränderung in der Kunst wahrgenommen? Und wie wirken sich die Deindustrialisierung und die Neunutzung der Industriebrachen auf die Landschaft aus? Diesen Fragen gehen auf 375 Seiten die Kunsthistorikerin Antoinette Lorang, der Historiker (und Jazz-Musiker) Luciano Pagliarini und der ehemalige Escher Stadtarchitekt Jean Goedert in dem ob seiner Monumentalität etwas unhandlichen, populärwissenschaftlich kommentierten Bildband Paysages du Fer nach, der als Projekt von Esch 2022 in Zusammenarbeit mit der Fondation Bassin Minier (deren Vize-Präsidentin Antoinette Lorang ist) und dem Verleger Gérard Klopp zustande kam, jedoch erst zehn Monate nach Abschluss des Kulturjahres veröffentlicht wurde. Was einerseits an den Covid-Einschränkungen gelegen habe, andererseits am hohen Recherche-Aufwand, wie die Autor/innen im Vorwort schreiben.
Das Herzstück des Buchs ist allein schon wegen seiner Länge das von Antoinette Lorang verfasste Kapitel über die künstlerische Repräsentation der Minett-Region im Laufe der letzten 150 Jahre. Lorang hat sich auf Malereien und Zeichnungen beschränkt, von denen viele sich in Privatbesitz befinden und erst aufgespürt werden mussten. Fotografien, Plakate und Skulpturen wurden – auch aus Platzgründen – kaum berücksichtigt.
„Ces vallées et vallons des collines des affleurements ont tellement favorisé l’exploitation rationelle de la minette luxembourgeoise qu’on peut parler d’un véritable cadeau de la nature“, schreibt Luciano Pagliarini im ersten, industriegeschichtlichen Teil des Buches über die Beschaffenheit der Landschaft in der Luxemburger Minett-Gegend, einem Teil jenes vor 201 bis 145 Millionen Jahren entstandenen bassin ferrifère, der sich über Lothringen und Teile des Luxemburger Südens erstreckt (manche seiner Ausführungen sind bereits in zahlreichen, inzwischen teilweise vergriffenen Büchern zu lesen, die Pagliarini in den vergangenen Jahren mit anderen Autor/innen verfasst hat). Weil das eisenhaltige Gestein zwischen Petingen und Düdelingen nur von einer dünnen Bodenschicht bedeckt war, war es leichter zugänglich als das in Lothringen, sodass ab 1850 das Eisenerz in Luxemburg im Tagebau regelrecht „gepflückt“ werden konnte, während jenseits der Grenze dafür Stollen gegraben werden mussten. Eine luxemburgische Eigenart ist auch, dass der Abbau bis Mitte der 1870-er Jahre kaum gesetzlich geregelt war, was eine wahre Goldgräberstimmung auslöste, die erst durch die Einführung von staatlichen Konzessionen gedämpft wurde. Ein „véritable cadeau de la nature“ waren die leicht zugänglichen Gesteinsschichten zu Beginn aber vor allem für die größtenteils aus Belgien stammenden, großbourgeoisen Schmelzherren (Collart, Metz, Servais, Majerus etc.), die schon vor 1850 im Westen und Zentrum Luxemburgs mit Holz befeuerte Hütten betrieben; bäuerliche Großgrundbesitzer, deren Land plötzlich enorm an Wert gewann und sogenannte „marchands de mines“, die Grundstücke aufkauften, um damit Geld zu verdienen. Die Allgemeinheit profitierte lange Zeit kaum vom Abbau und vom Handel mit dem Eisenerz.
Mitte der 1860-er Jahre wurde in Dommeldingen der erste Hochofen gebaut, der mit Koks betrieben wurden, was die Eisenproduktion beschleunigte. Die sogenannte Hüttenklausel, die verhindern sollte, dass Erz aus konzessionierten Gruben exportiert wurde, führte dazu, dass mit vorwiegend deutschem, belgischem und französischem Kapital in Esch/Alzette, Düdelingen und Differdingen moderne und durch die Anwendung des Thomas-Gilchrist- Verfahrens sehr leistungsstarke, integrierte Hüttenwerke entstanden. Der Ausbau der Eisenbahnlinien erleichterte den Transport. Statt das Erz auszuführen, wurde Koks nun in die Minettregion importiert.
Erst mit der Industrialisierung stieg das Interesse von Malern an der bis dahin größtenteils ländlich geprägten Region. 1901 bildete Michel Engels in dem Band Das romantische Luxemburger Land erstmals die Metzeschmelz in Esch/Alzette ab. Frühe Darstellungen der Eisenindustrie stammen insbesondere von dem Other Maler François Ponsin, der im Stil von „Raffael, Rubens und Reynolds“ die Veränderung der Landschaft in Audun-le-Tiche dokumentiert hat. Es dauerte aber einige Jahre, bis die Tagebaugebiete, Galerien und Schmelzen sich als Motive in der Kunst durchsetzten. Antoinette Lorang bietet eine reich bebilderte Chronologie der wichtigsten Künstler, die sich mit der Stahlindustrie im Luxemburger Süden und in der benachbarten französischen Grenzregion befassten (Künstlerinnen haben sich offensichtlich nur selten für die Darstellung der Eisenindustrie interessiert, eine Ausnahme war Marie-Thérèse Kolbach). Sie reicht von dem Escher Maler Eugène Mousset, bei dem die Industrie oft nur im Hintergrund von manchmal mit Schnee bedeckten Landschaften erscheint, über den Niederländer Herman Heijenbrock, bei dem die Fabriken in Lothringen und Differdingen zum Hauptmotiv wurden, bis zu Harry Rabinger, der der „Sezessionsbewegung“ um Joseph Kutter, Jean Schaack, Jean Noerdinger, Claus Cito und Auguste Trémont angehörte. Rabinger, der sich mit seinen zahlreichen Darstellungen der Escher Industrieanlagen als „Maler der Terres Rouges“ einen Namen machte, wurde von der Regierung damit beauftragt, ein monumentales Gemälde für den luxemburgischen Pavillon bei der Pariser Weltausstellung von 1937 anzufertigen (wo auch Picassos Guernica zu sehen war). Bis 1965 schmückte das sechs mal vier Meter große Gemälde die Eingangshalle des Escher Lycée de Garçons (LGE), bevor es abgenommen wurde und hinter der Bühne im Festsaal verschwand. Wiederentdeckt wurde es erst 1990, als es für die Ausstellung Männer vu Stol an Eisen in der Abtei Neimënster restauriert wurde, eine der wenigen Ausstellungen, die sich bislang mit der künstlerischen Darstellung der Stahl- und Eisenindustrie beschäftigten. Seit 1996 hängt das Bild wieder in der Kantine des LGE. Größere Kapitel widmet Antoinette Lorang auch dem Franzosen Alfred Renaudin, der vor allem die Hütte von Longwy abbildete, und dem von der Mosel stammenden Maler Jos Sünnen, der sich dem Bergbau und der Schmelz in Differdingen verschrieb.
Als in der Nachkriegszeit – im Buch die „Trente Glorieuses“ genannt – die Stahlindustrie einen Wiederaufschwung erlebte, wuchs das Interesse am Luxemburger Süden und an seiner Kunst. Sowohl Städte wie Esch/Alzette und Düdelingen, als auch die Industrieunternehmen begannen sich für die Künstler zu interessieren, stellten ihnen Ausstellungsräume zur Verfügung und unterstützten sie finanziell. Vielleicht hat dieses Mäzenatentum mit dazu beigetragen, dass sich in der Folge eine ganze Reihe von Künstlern mit den Schmelzen und Industrielandschaften auseinandersetzten. Von dem gebürtigen Rümelinger Foni Thissen finden sich in Paysages du Fer mehrere realistische Abbildungen, insbesondere seiner Heimatstadt. Der gelernte Elektrotechniker Jean-Pierre Thilmany tauchte die Hütten und Städte der Minettregion in ein düsteres Licht. Der Maler Emile Kirscht, einer der wenigen Arbeiter, die auch künstlerisch tätig waren, blickte vorwiegend auf das Kayltal und ließ sich dabei von Cézanne, Matisse, Picasso und Klee inspirieren. Antoinette Lorang spannt den Bogen bis zu zeitgenössischen Künstlern wie Jean-Marie Biwer, Moritz Ney, Roberto Viola, Fernand Bertemes Marc Soisson, Giuseppe Licari und Serge Ecker, in deren Werken die Mitte der 1970-er Jahre einsetzende Deindustrialisierung und die Transformation der Industrielandschaften zur Geltung kommen.
Damit schafft sie den Übergang zum dritten Teil des Buchs, in dem der Architekt Jean Goedert sich dem Umgang mit den Industrieanlagen, der Neunutzung der Brachen und der Rückeroberung der Tagebaugebiete durch die „Natur“ widmet. Außer in Belval, wo zwei von ihnen als glänzende Denkmäler erhalten blieben, wurden fast sämtliche Hochöfen in Luxemburg und der französischen Grenzregion abgebaut, viele Kühltürme wurden gesprengt, Industriehallen abgerissen. Einige Hallen und Bauwerke (zum Beispiel Wassertürme) wurden jedoch konserviert, manchmal nach längeren Auseinandersetzungen zwischen Arcelor-Mittal, Staat, Gemeinden und Bauherren einerseits sowie Industriekulturexpert/innen und Denkmalschützer/innen andererseits. Institutionen wie der Minett Park im Fonds-de-Gras, das Musée des Mines in Rümelingen oder das Centre de documentation des migrations humaines in Düdelingen wurden schon recht früh geschaffen und zu archivarischen und touristischen Zwecken genutzt. In Differdingen wurden später das Kreativzentrum 1535° und das Science Center in ehemaligen Industriehallen eingerichtet. Nicht zuletzt wurden vor drei Jahren die Tagebaugebiete in der Minett-Region als Unesco-Biosphere gleichzeitig geschützt und für den Tourismus erschlossen. Damit kamen Bestrebungen zum Abschluss, mit denen Denkmalschützer und Naturfreunde rund um den grünen Politiker Robert Garcia schon vor über 25 Jahren begonnen hatten.
Insbesondere in Esch/Alzette fielen jedoch viele Bauwerke (Ronn Bréck, Centrale thermique, Keeseminnen der Brasseur-Schmelz) trotz des Widerstands aus der Zivilgesellschaft dem Bagger zum Opfer. Jean Goedert, ehrenamtliches Verwaltungsratsmitglied des Centre national de la culture industrielle (CNCI), illustriert seine sachkundigen Ausführungen mit zahlreichen Bildern und Computersimulationen von Projekten, die noch gebaut werden sollen, aber auch von solchen, die nie umgesetzt wurden. Eines der spektakulärsten wäre wohl die Cité de la Culture et de la Jeunesse geworden, die der Investor Pascal Zimmer und die Architektin Tatiana Fabeck zusammen mit der Stadt Esch in der 40 Meter hohen Centrale thermique auf dem Crassier Terre Rouge in unmittelbarer Nähe des Stadtzentrums einrichten wollten. Daneben sollte ein Naherholungsgebiet mit einem großen See angelegt werden, mit dem die Escher LSAP sogar in Wahlbroschüren warb. Weil die Firma Cloos die Schlacke auf der ehemaligen Halde im Besitz von Arcelor-Mittal aber noch vollständig abbauen und zu Schotter verarbeiten wollte und es auch an finanzieller Unterstützung fehlte, wurde das Projekt verworfen und die Zentrale vor sechs Jahren von Arcelor-Mittal abgerissen. Während auf der benachbarten Lentille der Investor Eric Lux ein ökologisch ausgerichtetes Viertel baut, werden für die Schlackenhalde der 1977 geschlossenen Brasseurschmelz schon seit 20 Jahren Pläne für eine grenzüberschreitende Neunutzung geschmiedet, wie Jean Goedert in seinem Beitrag nachzeichnet. Zuletzt wollte der vorige Landesplanungsminister Claude Turmes (Grüne) mit der französischen Regierung und in Zusammenarbeit mit einem Team um den belgischen Architekturprofessor Peter Swinnen mit einer Internationalen Bauausstellung (IBA) auf dem Crassier den Grundstein für die Entwicklung einer grenzüberschreitenden Metropole und eines Naturparks legen (d’Land, 28.5.2021), doch das Projekt kam bislang nicht über eine Absichtserklärung hinaus. Laut Jean Goedert konnte das in der mission de préifiguration ausgearbeitete Modell nicht alle Partner überzeugen, sodass die IBA nun gestorben sein dürfte.
Erfolgreicher war die Entwicklung der Industriebrache auf Belval durch die staatlich-private Gesellschaft Agora, die auch für die Transformation der Metzeschmelz zwischen Esch und Schifflingen in ein nachhaltiges und weitgehend autofreies Stadtviertel zuständig ist. Beiden Projekten widmet Jean Goedert viel Platz in dem Buch. Im Falle des in der öffentlichen Diskussion nicht unumstrittenen Viertels Belval verzichtet er jedoch größtenteils auf eine allzu kritische Auseinandersetzung, was vielleicht auch daran liegt, dass im Verwaltungsrat der nicht zuletzt mit ihren Mutations-Heften einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der Industriegeschichte leistenden Fondation Bassin Minier, die das Buch mitfinanziert hat, mit Jean-Claude Juncker, François Biltgen (beide CSV), Alex Bodry (LSAP) und Pierre Gramegna (DP) mehrere Ex-Minister sitzen, die maßgeblich an der Neugestaltung von Belval beteiligt waren. Am Rande angesprochen werden jedoch die Auseinandersetzungen zwischen Fonds Belval (für den Antoinette Lorang lange Jahre als Kommunikations- und Kulturbeauftragte tätig war) und der Amicale des Hauts Fourneaux A et B um die Hochofenterrasse und die noch immer ungewisse Zukunft der Gebläsehalle, deren Erhalt und Neunutzung vor einigen Jahren über die Grenzen der Minett-Region hinaus zu einem Politikum geworden war. Die Entscheidung, ob die Halle nun tatsächlich vom CNCI für Ausstellungen und Veranstaltungen genutzt werden kann, wie bis vor drei Jahren noch von der vorigen Kulturministerin Sam Tanson (Grüne) angedacht, obliegt wohl nun ihrem Nachfolger Eric Thill (DP). Die Resultate eines vor zwei Jahren von Tanson lancierten Ideenwettbewerbs wurden bislang nicht vorgestellt.
Wenn man den Autor/innen von Paysages du Fer etwas vorwerfen kann, dann, dass sie sich zu sehr auf Technik, Anlagen und die „Landschaft“ fokussiert haben, ohne den Menschen ausreichend Beachtung zu schenken, die diese Landschaft bearbeitet, manipuliert und letztendlich gestaltet haben. Bilder von Menschen – viele von ihnen waren Einwanderer –, die im Tagebau oder in den Schmelzen gearbeitet haben, kommen in dem Buch nur selten vor. Das liegt wohl in erster Linie an der Beschränkung auf die Malerei, die sich vor allem mit der Transformation der Natur und der Entstehung des urbanen Raums auseinandergesetzt zu haben scheint. Darstellungen von Arbeiter/innen und Schmelzherren sind wohl eher als Skulpturen und Fotografien erhalten, auch wenn etwa Émile Mayrisch sich und seine Tochter Andrée („Schnouky“) von dem bedeutenden flämischen Maler Théo Van Rysselberghe porträtieren ließ. Auf (partei-)politische Auseinandersetzungen und die jahrzehntelangen Arbeitskämpfe zwischen Gewerkschaften, Regierungen und Stahlunternehmen, die erst schrittweise zu Verbesserungen der Arbeitsbedingungen und ordentlichen Löhnen in der Eisen- und Stahlindustrie geführt haben, geht das Buch nicht ein. Auch sie haben die Paysages du Fer auf beiden Seiten der luxemburgisch-französischen Grenze entscheidend mitgeprägt, indem sie arbeitsrechtliche und soziale Standards setzten, von denen auch andere Wirtschaftszweige bis heute profitieren. Ohne sie wäre die Industrialisierung ein „véritable cadeau de la nature“ für Privilegierte geblieben.
Vielleicht erinnern aber heute vor allem daran die Bilder der von Industrie geprägten Landschaften mit ihren zerklüfteten Hängen, monumentalen Bauten und umweltverschmutzenden Anlagen, die nach der Ölkrise von 1973, dem Aufkommen der Ökobewegung und dem Übergang in eine neoliberale, finanzorientierte Dienstleistungsgesellschaft ihren Zweck, ihre Legitimität und teilweise auch ihre sozialhistorische Bedeutung verloren.