EU-Insitutionen nach dem Lissabon-Vertrag

Machtkämpfe

d'Lëtzebuerger Land vom 18.02.2010

Es war ein Schlag wie Donnerhall. Das Europäische Parlament hat am 11. Februar das Swift-Abkommen zwischen der EU und den USA mit 378 zu 196 Stimmen zu Fall gebracht. Dieses Abkommen sollte den Datenaustausch über finanzielle Transaktionen zwischen der EU und den USA regeln, um terroristischen Aktivitäten besser auf die Spur kommen zu können. Die Europaparlamentarier feierten das Abstimmungsergebnis zu Recht als einen historischen Erfolg. Das Nein des Europäischen Parlaments (EP) zeigt zum ersten Mal einer breiten Öffentlichkeit, dass sich mit dem Vertrag von Lissabon tatsächlich etwas geändert hat. Beinahe hätte das EP auf seinen Triumph verzichten müssen, denn der Antrag, die Abstimmung um einige Monate zu verschieben, wurde nur mit 305 zu 290 Stimmen abgelehnt.

Regierungsvertreter der USA hatten im Vorfeld damit gedroht, dass man im Falle einer Ablehnung einfach keinen Vertrag mehr mit der EU abschließen würde, sondern nur noch mit einzelnen Mitgliedstaaten. Diese Ankündigung dürfte eine leere Drohung sein. Längerfristig wird die Entscheidung des EP den amerikanischen Respekt vor der EU vergrößern. Die breite Ablehnung des EP zeigt gerade, dass die Europäischen Union mehr ist als die Summe ihrer Teile. Es ist schlicht nicht vorstellbar, dass zum Beispiel Belgien, wo Swift als Firma ihren Sitz hat, vom Europäischen Rat grünes Licht erhalten würde, ein Einzelabkommen über die Weitergabe von persönlichen Daten aller Europäer abzuschließen, die transkontinentale Finanzgeschäfte abwickeln.

Das Europäische Parlament hat seine Krallen gezeigt. Man darf sich jedoch nicht täuschen. Es ging bei der Swift-Abstimmung in erster Linie nicht um den Datenschutz, sondern darum, dass das Parlament seine neue Machtfülle gegenüber dem Rat deutlich macht und damit auch durchsetzt. Der hatte nämlich im Vorfeld versucht, das EP zu einem reinen Statisten zu degradieren. Die Swift-Abstimmung war eine demokratische Lehrstunde für den Rat, der schmerzhaft gewahr geworden ist, dass er mit dem Lissabonner Vertrag von seiner Machtfülle ein großes Stück hat abgeben müssen. Das Swift-Votum zeigt aber auch, dass die drei wichtigsten Akteure der Europäischen Union – die Kommission, der Rat und das Parlament – die neue Machtbalance des Vertrages erst austarieren und mit Leben füllen müssen.

Der Lissabonvertrag beendet eine europäische Entwicklungsperiode, die 1986 mit der Einheitlichen Europäischen Akte begonnen hat, die den Binnenmarkt auf den Weg gebracht hat. Die weiteren Stationen heißen Maastricht, Amsterdam, Nizza, Europäischer Konvent und, zuletzt, Lissabonner Vertrag. Jeder Name steht für eine Etappe der EU auf dem Weg zu einer „ever closer union“, wie es schon in den Römischen Verträgen von 1956 hieß. Für absehbare Zeit abgeschlossen ist die Entwicklung deshalb, weil jetzt erstmals die reale Machtteilung zwischen dem Rat und dem Europäischen Parlament zum grundlegenden Prinzip des Vertrages gemacht wurde und weil das Scheitern einer europäischen Verfassung klar gezeigt hat, wie weit die europäischen Staaten und ihre Bevölkerungen bereit sind, bei der europäischen Integration zu gehen.

Neben dem Swift-Votum gibt es ein weiteres Feld, auf dem das EP in den letzten Wochen hart gerungen hat. Es geht dabei um das interinstitutionelle Rahmenabkommen, das das EP mit der Kommission zu Beginn jeder Legislaturperiode abschließt. Die dazu auf der letzten Plenarsitzung in Straßburg verabschiedete Resolution beruht auf Verhandlungen mit der Kommission. Die Resolution spiegelt noch den alten, kämpferischen Geist des Europäischen Parlaments wider, das sich seine Rechte mühsam und Schritt für Schritt erkämpfen musste. Die Resolution zeigt klar, dass das EP nicht einfach den Lissabonner Vertrag als Grundlage akzeptieren, sondern seine Rechte weiter ausbauen will. In manchen Punkten droht es dabei, zu weit zu gehen und seine Rolle als Kontrolleur der Exekutive zu verwischen.

So will das EP in die Vorarbeiten bei größeren Vorhaben der Kommis-sion eingebunden werden. Es will über die Kommissare hinaus Anhörungen für wichtige Personalentscheidungen, zum Beispiel bei den Generaldirektoren (vergleichbaren dem obersten Beamten eines Ministeriums) durchführen. Es soll eine „privilegierte Partnerschaft“ zwischen der Kommission und dem EP etabliert werden, vielleicht nach dem Motto: Gemeinsam sind wir stark gegen der Rat. Dieser Schuss kann aber auch nach hinten losgehen. Der Raum für Kritik und Kontrolle der Exekutive wird für das EP durch solche Regelungen kleiner. Wenn die Kommission in Zukunft Gesetzesvorhaben vorlegt, kann sie Kritik leicht kontern, denn ein oder mehrere Vertreter des Europäischen Parlaments haben schon mit am Tisch gesessen. Die qualitativ äußerst dürftigen Anhörungen der EU-Kommissare im EP werfen ein erstes Licht darauf, wozu die Kungelei zwischen Kommission und EP führen kann. Das das EP mit seinen Forderungen vielleicht sogar seine eigene Rolle schwächt, das haben bisher nur die Grünen kritisiert.

Auch die Kommission muss ihren Platz im neuen Machtdreieck erst finden. Der Lissabonvertrag hat die interne Rolle des Kommissionspräsidenten gestärkt. José Manuel Barroso verfügt nun über eine gewisse Richtlinienkompetenz. Innerhalb der Kommission ist er auch deshalb ein kleiner König geworden, weil jedes Land seinen eigenen Kommissar behält. Je größer die Kommission ist, desto leichter kann sie von ihrem Präsidenten beherrscht werden. Ein gutes Beispiel dafür ist die Rolle, die Catherine Ashton als Hohe Repräsentantin für die EU-Außenpolitik spielt. Sie hat die enorm wichtige EU-Nachbarschaftspolitik an den Tschechen Stefan Füle abgeben müssen. Bisher sind die Außenminister ihr Terrain, nicht hat die Staats- und Regierungschefs, die hat sich Barroso vorbehalten. Nicht zuletzt deshalb heißt es in Brüssel, sie bleibe bisher weit hinter dem zurück, was Solana geleistet habe. Böse Zungen behaupten auch, sie führe ihr Amt wie eine Angestellte des britischen Außenministeriums und nicht wie eine „Außenministerin“ der EU.

Das macht Herman Van Rompuy, der erste ständige Präsident des Europäischen Rats, anders. Er kommt auf leisen Pfoten daher, aber er scheint zu wissen, was er will. Er könnte ihm auf der europäischen Ebene so gehen wie als belgischer Premierminister. Obwohl man ihn dort in der Öffentlichkeit lange kaum wahrgenommen hatte, hat er sich mit der Zeit zum Symbol eines funktionierenden belgischen Staates gemausert. Nun heißt es in Brüssel, er reise viel, knüpfe Netzwerke und stecke ohne großes Tamtam seine Claims ab. Der letzte informelle Gipfel des Europäischen Rats zum Problemland Griechenland bot erste Hinweise, dass er mit seiner Methode Erfolg haben könnte. Van Rompuy bestimmte den Ort, eine wunderschön renovierte Bibliothek im Park Leopold, deren Saal so klein ist, dass man nur in kleiner Runde tagen kann, was es Van Rompuy leichter gemacht haben dürfte, eine führende Rolle zu spielen. Und er trat anschließend als einziger vor die Mikrofone und war damit zum ersten Mal sichtbar das Gesicht Europas.

Van Rompuy will den Europäischen Rat zum Zentrum einer europäischen Wirtschaftsregierung machen. Er hat dafür die Unterstützung der größeren Mitgliedstaaten, die diese Aufgabe nicht gerne bei der Kommission angesiedelt sehen. Gelingt ihm das und gelingt es ihm auch noch zu verhindern, dass die Kommission den alleinigen Zugriff auf den aufzubauenden Auswärtigen Dienst der EU erhält (was wahrscheinlich ist), dann wird Barroso zwar Sultan sein innerhalb der Kommission, aber lediglich Großwesir des von Van Rompuy geführten Europäischen Rats.

Christoph Nick
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