leitartikel

Kleinkrieg

d'Lëtzebuerger Land du 08.11.2024

„So etwas habe ich noch nicht erlebt. Die Ministerin fährt die CNS gegen die Wand!“, erregte sich der stellvertretende LCGB-Generalsekretär Christophe Knebeler, der für seine Gewerkschaft im Verwaltungsrat der Gesundheitskasse sitzt. Vom OGBL sekundierte Carlos Pereira: Die Sozialpartner im Verwaltungsrat würden „alleine gelassen“.

Harte Worte nach der Sitzung der Krankenkassen-Quadripartite am Mittwoch, der ersten für Gesundheits- und Sozialministerin Martine Deprez (CSV). OGBL und LCGB hatten am Tag vor der Sitzung – verstärkt durch die CGFP und die Kommunalbeamtengewerkschaft FGFC – Aufbesserungen der Leistungen verlangt. Bessere Rückerstattungen beim Zahnarzt und beim Optiker vor allem. Was 2016 der damalige LSAP-Sozialminister Romain Schneider versprochen hatte, sei nur zum Teil gegeben worden. Dagegen will Martine Deprez solche Entscheidungen dem CNS-CA überlassen. Wo sie auch hingehören, der sie aber vermutlich nicht beschließen wird. Nicht mit der UEL, deren Direktor Marc Wagener, der ebenfalls im Verwaltungsrat der Kasse sitzt, lieber „die 15 bis 20 größten Kostentreiber“ ausfindig machen möchte. Und vermutlich auch nicht mit dem CNS-Präsidenten als Staatsvertreter, der schon vor zwei Jahren fand, „ein Katalog von Sparmaßnahmen“ müsse her. Die Finanzen der Krankenversicherung sehen nicht gut aus. Für dieses Jahr wird mit 38 Millionen Euro Defizit gerechnet, für 2025 mit minus 160 Millionen. Kommt es dazu, würde die Reserve der Krankenversicherung voraussichtlich auf 15 Prozent der laufenden Ausgaben schrumpfen. Das wären noch immer mehr als die gesetzlich vorgeschriebenen zehn Prozent, doch diese Grenze zu unterschreiten, könnte in den nächsten Jahren drohen. Dann müsste eine Quadripartite eine Beitragserhöhung beschließen. So steht es im Gesetz. „Das wäre nicht gut für die Versicherten und nicht gut für die Unternehmen“, erklärte der UEL-Direktor. Man fühlte sich an die Auseinandersetzung um die Renten erinnert.

Und eine politische Verbindung zwischen beiden Bereichen der Sozialversicherung gibt es. Wer sich fragte, ob Martine Deprez und mit ihr die Regierung womöglich finden könnte, dass Gesundheitsversorgung und Krankenversicherung das wichtigere Problem darstellen und von einer Rentenreform ablässt, konnte nach der Quadripartite zu dem Schluss kommen, dass dem nicht so sein wird. Martine Deprez kündigte an, die Ausgaben für Mutterschaftsgeld könnten vielleicht von der Staatskasse übernommen werden. Die Zwanzig-Prozent-Beteiligung der CNS an den Kosten für Neu- und Ausbauten von Spitälern auch. Vielleicht. Bis zum Frühjahr 2025 soll darüber eine Arbeitsgruppe beraten. Beide Maßnahmen würden die CNS natürlich entlasten. Fragt sich nur, ob sie tatsächlich umgesetzt würden und falls ja, ob sie mehr brächten als eine Atempause.

Denn die Ausgaben der Krankenversicherung wachsen schon seit sechs Jahren schneller als die Einnahmen. Die Krankenversicherung ist strukturell kostspielig. Weshalb es keine schlechte Idee ist, nach den Kostentreibern zu suchen. Doch auf der anderen Seite sind da die Versprechen im Koalitionsvertrag der Regierung auf ein „système de santé innovant“ und „plus attactif pour tous les professionnels de santé“. Und der Garantie auf einen „accès rapide à des soins de qualité et de proximité“. All das steht verheißungsvoll in einem einzigen Absatz auf Seite 86 des Koalitionsvertrags. Wie auch die Ankündigung einer „stratégie cohérente avec des objectifs définis“. Jenes Plans, den Martine Deprez’ LSAP-Vorgängerin Paulette Lenert nicht hatte.

Was gar nicht ausschließt, dass die CSV-Ministerin einen ausarbeiten lässt. Dass das viel Zeit kosten wird, ist allerdings sicher. Ihn anschließend umzusetzen, auch. Zu behaupten, dass für all dies eine Legislaturperiode nötig wäre, ist nicht übertrieben. Doch eigentlich ist für Ausbauten im System nicht die Zeit, wenn die CNS unter Druck steht. Dieses Jahr nehmen ihre Ausgaben voraussichtlich um 9,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr zu, die Einnahmen um 5,1 Prozent. Wächst die Beschäftigung, wird die Lage besser. Ob das geschieht und wie schnell, weiß natürlich niemand. In der Zwischenzeit werden UEL und Gewerkschaften im CA der Kasse um Geld und Prinzipien streiten. Damit es anstelle solchen Kleinkriegs vorangeht im System, ist politisches Handeln nötig. Davon aber ist nichts zu sehen.

Peter Feist
© 2024 d’Lëtzebuerger Land