CSV und DP führen eine Diskussion um Begriffe, damit sie beide dem Abtreibungsrecht in der Verfassung zustimmen können

Recht und Freiheit

Kundgebung für das Abtreibungsrecht in der Verfassung am 15. September nahe des Parlamentsso0
d'Lëtzebuerger Land vom 26.09.2025

In einer ihrer letzten Sitzungen vor den Sommerferien verabschiedete die Abgeordnetenkammer am 8. Juli eine Änderung am Gesetz über den Schwangerschaftsabbruch. Die Pflicht auf drei Tage „Bedenkzeit“ nach der ärztlichen Konsultation vor einer Abtreibung wurde abgeschafft. Das sei „ein weiterer Schritt in Richtung My Body, My Choice“, freute sich CSV-Gesundheitsministerin Martine Deprez, und dass unter den Abgeordneten „ein breiter Konsens“ bestehe. Für die CSV-Fraktion stellte die Abgeordnete Diane Adehm fest: „Wir leben in einer demokratischen, aufgeschlossenen und egalitären Gesellschaft.“ Die Gesetzesänderung sei „eine Notwendigkeit“. Carole Hartmann, die DP-Parteipräsidentin, erinnerte daran, dass am 28. Juni 2022 sie es war, die „direkt nach“ der Entscheidung des Obersten Gerichts der USA zur Abtreibung dem Luxemburger Parlament eine Resolution vorlegte, die das Selbstbestimmungsrecht zum Schwangerschaftsabbruch bekräftigt. Zwar sei die Regierung mittlerweile eine andere, „aber nicht der Wille, für Frauenrechte einzustehen“.

Bei so vielen Bekenntnissen für ein liberales Abtreibungsrecht kann erstaunen, dass CSV und DP – vor allem die CSV – sich zieren, dem Vorschlag des Linken-Abgeordneten Marc Baum zuzustimmen und das Recht auf Abtreibung in der Verfassung zu verankern. Wie das seit dem 4. März 2024 in Frankreich gilt.

Doch so einfach ist das nicht. Von der Legalisierung einer Abtreibung unter Bedingungen 1978 durch die DP-LSAP-Koalition bis zur Strafbefreiung 2014 vergingen immerhin fast vier Jahrzehnte. Dass die „psycho-soziale Beratung“ vor einem Schwangerschaftsabbruch nur noch für Minderjährige Pflicht ist, war ein weiterer Schritt, die Abschaffung der „Bedenkzeit“ der jüngste. Dieses Versprechen aus ihrem Wahlprogramm 2023 hatte die DP im Koalitionsvertrag mit der CSV unterbringen können. Nicht aber das, die Abtreibungsfrist „dem Beispiel Frankreichs folgend von 12 auf 14 Wochen [zu] verlängern“. Sodass Carole Hartmann sich in der Kammersitzung am 8. Juli gezwungen sah, eine Motion der LSAP für die 14 Wochen mit der Begründung abzulehnen, man könne diese Frage „nicht auf eine Zahl reduzieren“ und brauche zunächst mal „mehr Daten“ über Schwangerschaftsabbrüche hierzulande.

Auf der anderen Seite kann die CSV es sich nicht leisten, gesellschaftspolitisch unmodern zu erscheinen. Das galt schon unter Premier Jean-Claude Juncker; das galt in den fünf Jahren der ersten DP-LSAP-Grüne-Regierung, die sich an Reformen traute, die der CSV zu heiß waren. Heute kann, wer geschäftsfreundliche Politik für die oppen Ekonomie machen und Talente aus der ganzen Welt anziehen will, ein in der Verfassung verankertes Abtreibungsrecht auch als Wettbewerbsfaktor für den Standort ansehen. Würde die CSV offen Front machen gegen den Vorschlag von Marc Baum und diese Debatte sich hinziehen, könnte das der Partei elektoral schaden. Das Thema Abtreibung ist brisant und politisch schwer steuerbar.

Daran liegt es, dass CSV und DP nun öffentlich darüber reflektieren, ob der Schwangerschaftsabbruch besser als ein „Recht“ oder als eine „Freiheit“ in die Verfassung aufgenommen werden soll. Es geht nicht um das Prinzip, nur um ein Detail. Die Luxemburger Welt ist eine andere als in der Euthanasie-Debatte. Kardinal Jean-Claude Hollerichs Aussagen im RTL-Radio, wie „Zwangsmeinung“ oder „ein Schritt in den Totalitarismus“, hätte vermutlich auch Papst Franziskus vertreten, der 2024 Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, „Auftragsmörder“ nannte. Einen konservativen Aufstand hat Hollerich nicht ausgelöst. Zwar wurde die seit Donnerstag vergangener Woche zur elektronischen Unterschrift ausliegende Petition gegen die Verfassungsänderung bisher 827 Mal unterzeichnet (Stand 17 Uhr am gestrigen Donnerstag) und erreicht vielleicht die für eine Debatte in der Kammer nötigen 5 500  Signaturen. Doch ob das viel ändert am Abstimmungsverhalten der Abgeordneten, darf bezweifelt werden.

Schon erzählen CSV-Abgeordnete freimütig, dass sie für den Vorschlag sind, sofern dessen „Wording“ stimmt. Das Wort nannte am Dienstag sechs beim Namen: Laurent Zeimet, Paul Galles, Laurent Mosar, Stéphanie Weydert, Diane Adehm sowie Nathalie Morgenthaler, die schon mit Marc Baums ursprünglichem Text einverstanden ist. Radio 100,7 berichtete am Mittwoch, dass in der DP-Fraktion Gilles Baum, Luc Emering, Fernand Etgen, Gusty Graas, Mandy Minella, Corinne Cahen und Barbara Agostino dafür seien. „Unter anderem“; denn „die meisten“ seien dafür. Dazu passt, dass Gérard Schockmel, der als einziger DP-Abgeordneter öffentlich erklärt hat, gegen das Vorhaben zu sein, ganz gleich, wie es formuliert wird, im 100,7 seine Kolleg/innen in der Fraktion mit einem „Schwarm“ von Vögeln verglich, „die alle in eine Richtung ziehen“.

Politisch geht es bei der ganzen Auseinandersetzung bei weitem nicht nur um die Frage, ob es angebracht ist, das Recht auf Abtreibung in die Verfassung aufzunehmen und auf welche Weise. Sondern zwischen CSV und DP vielleicht noch mehr darum, wer die Richtung vorgibt. Und am Ende von sich behaupten kann, am meisten dazu beigetragen zu haben, dass Luxemburg nach Frankreich zum zweiten Land der Welt wurde, das diesen Schritt ging. Die Meinungsführerschaft liegt derzeit bei der DP. Die am Montag vergangener Woche im Livestream übertragene Sitzung des parlamentarischen Institutionenausschusses war für die CSV eine Blamage. Ihre Abgeordneten sagten kein Wort, weil das Thema intern noch nicht ausdiskutiert war. Der CSV-Nationalvorstand sollte darüber erst Stunden später sprechen. Der CSV-Nationalrat wird das kommenden Montag tun. So kam es, dass auf den Stühlen der DP Carole Hartmann und Simone Beissel laut darüber nachdachten, ob der Vorschlag Marc Baums besser in Richtung einer „Freiheit zur“ Abtreibung umformuliert werden sollte anstelle eines „Rechts auf“. So sah auch in Frankreich der politische Kompromiss zwischen der Nationalversammlung und dem – konservativeren – Senat aus. Marc Baum erklärte am Schluss der Sitzung, wenn „Freiheit“ konsensfähig sei, „trage ich das mit“.

Das war von Baum meisterlich gespielt, wie sein Vorschlag überhaupt. Am Dienstag im Wort fragte Diane Adehm sich, wieso Baum nicht gleich die französische Konsens-Formulierung vorgeschlagen hatte, sondern eine, die jener ähnelt, die 2023 in Frankreich auf Initiative von Präsident Emmanuel Macron zur Diskussion gestellt worden war. Die Antwort dürfte auf der Hand liegen: CSV und DP sollten Spielraum erhalten, sich einem Konsens zu nähern und den Weg dahin nach außen als politisch dramatisch verkaufen können. Was am Mittwoch voriger Woche Luc Frieden tat, als er im RTL-Radio erklärte: „Mir wëllen net, dass et en absolutt Recht gëtt, well dat géing zum Beispill bedeiten, dass en Dokter oder och e Spidol misst Avortementer maachen, well et jo e Recht wier vun all Bierger. Mir wellen, dass et eng Libertéit ass vun der Fra fir déi de Gesetzgeber muss Konditioune festleeën.“ Doch ein „absolutes Recht“ auf Schwangerschaftsabbruch, ein Grundrecht, wie etwa die Unverletzlichkeit der Menschenwürde in Verfassungsartikel 12, stand nie zur Debatte. Sondern eine weitere „liberté publique“, von denen in den Artikeln 15 bis 36 manche ein „droit“ genannt werden, wie das Recht auf Privatsphäre etwa, andere eine „liberté“, wie die Pressefreiheit beispielsweise oder die Handelsfreiheit.

Diesen Mittwoch im Wort geschah, was irgendwann kommen musste: Die Verfassungsrechts-Eminenz der CSV Paul-Henri Meyers legte dar, dass es keinen Unterschied gibt zwischen Recht und Freiheit: „Wenn man eine Freiheit hat, dann hat man auch ein Recht, da die Verfassung immer über eine Freiheit spricht.“ So sieht das auch der Verfassungsrechtler und frühere Staatsrat mit DP-Mandat Paul Schmit: „Das ist eine semantische Diskussion. Es besteht ein Unterschied zwischen Grundrecht und Recht, aber keiner zwischen Freiheit und Recht.“ Und LSAP-Verfassungsrechtler Alex Bodry: „Zwischen einem individuellen Recht, wie in Marc Baums Initiative vorgesehen, und einer garantierten Freiheit gemäß dem französischen Verfassungstext besteht meines Erachtens kein rechtlicher Unterschied“, schrieb Bodry dem Land in einer E-Mail.

Aber wahrscheinlich wissen Luc Frieden und die CSV das. Ihr Problem ist vor allem, dass sie unter Zeitdruck eine Diskussion nachholen müssen, die in der DP schon über den Sommer geführt wurde, wie Carole Hartmann vor einer Woche im 100,7 unüberhörbar streute. Dass Xavier Bettel einer Kundgebung von Frauenverbänden per Megafon seine Unterstützung zusicherte, und dass der Vizepremier einen Tag nach Friedens Erklärung, was die CSV wolle, im RTL-Interview locker proklamierte: „‘t ass mir egal, wéi et heescht. Droit, Fräiheet… wichteg ass, dass et an d’Verfassung kennt.“ Die Schwächung des Premiers durch den verpatzten Sozialdialog wirkt weiter nach.

Dass Droit oder Fräiheet „egal“ sind, ist auch der ADR aufgefallen. Parteipräsidentin Alexandra Schoos nannte am Mittwoch im RTL-Radio Marc Baums Vorschlag und Luc Friedens Gegenrede „Symbolik“ und „Augenwischerei“: Entscheidend sei das Gesetz, das eine liberté publique regelt. Doch das stimmt nur zum Teil. Jura und Politik begegnen einander in Verfassungsartikel 37. Der schreibt fest: „Toute limitation de l’exercice des libertés publiques doit être prévue par la loi et respecter leur contenu essentiel. Dans le respect du principe de proportionnalité, des limitations ne peuvent être apportées que si elles sont nécessaires dans une société démocratique et répondent effectivement à des objectifs d’intérêt général ou au besoin de protection et libertés d’autrui.“

Darin läge eine Bremse, wollte eine stramm konservative Regierung das Abtreibungsrecht fundamental ändern. Vielleicht so, wie am 28. Juni 2022 im Parlament Fernand Kartheiser auf Carole Hartmanns Resolution für Selbstbestimmung reagierte: Auch wenn die ADR sich zur geltenden Gesetzgebung über den Schangerschaftsabbruch bekenne, sei sie eigentlich für eine Indikationslösung. „Natirlech kann eng Fra an enger Noutsituatioun net am Stach gelooss ginn. Dofir proposéiere mir och déi Indikatiounsléisung, wou mer soen, zum Beispill am Fall vun engem Viol, vun Inzest, vu gesondheetleche Problemer, déi kenne zu gravéierende Problemer fir d’Mamm oder d’Kand féieren, soe mir net Nee. Awer de Grondprinzipp, deen d’ADR vertrëtt, ass och ëmmer deen, dass mer de Schutz vum Liewen op déi éischt Plaz setzen.“

Peter Feist
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