Adergrabenausheber und Wirbelschneider

Cello, Kranich, Harlem Shake

d'Lëtzebuerger Land vom 15.03.2013

Heute loben wir den Adergrabenausheber und den Wirbelschneider. Es ist keine Schande, diese besonderen Werkzeuge nicht zu kennen. Sie kommen zum Einsatz beim Geigenbau. Wie das geht, kann man im wunderbaren Film Cello Tales von Anne Schiltz besichtigen, der vor ein paar Tagen Premiere in Luxemburg feierte. Dieses Werk wirkt wie aus der Zeit gefallen. Es handelt im Kern von der Intimität. Und von ein paar Menschen, die radikal und konsequent genug sind, sich Intimität zu leisten in einem Umfeld, wo leider zunehmend die hektischen Exhibitionisten das Sagen haben.

Cello Tales erzählt von der Ruhe und Hartnäckigkeit, die einer braucht, um eine Leidenschaft auszuleben. Die Filmemacherin beobachtet ein paar Menschen dabei, wie sie voller Konzentration und Energie ein Ziel verfolgen, das in den lärmenden Arenen der durchgeknallten Warenwelt schon fast einer Provokation gleichkommt: es sind bedingungslose Liebhaber der Geigenmusik. Sie haben nichts anderes im Sinn, als dieser Musik auf den Grund zu gehen, entschlossen und manchmal auch wider alle wirtschaftliche Vernunft. Roland Schueler zum Beispiel, ein Wiener Geigenbaumeister, zeigt im Film, wie aus einem Stück Holz ein Cello entsteht. Eine völlig unspektakuläre Geschichte? Ganz im Gegenteil.

Es ist ungemein spannend, wie Roland Schueler sein Holz „behandelt“, wie er seine Idee auf das Material überträgt. Nach und nach beginnt das Holz buchstäblich zu „singen“. Die vielfältigen Klangnuancen der Scharr-, Schab- und Schürfgeräusche an den Holzrändern nehmen das Vibrieren des künftigen Resonanzkastens vorweg. Die Musik, die später einmal aufs dem fertigen Cello erklingen soll, taucht schon fragmentarisch auf während der Verfertigung des Instruments. Diese breite Skala von „Holztönen“ entwickelt sich regelrecht zur Partitur des Films. Der ungemein inspirierte Kameramann Nikos Welter zeichnet nach, wie Roland Schueler verfährt: Er „streichelt“ förmlich das Holz mit den diversen Werkzeugen, da ist nichts Rabiates, nichts Überstürztes, nur eine intensive Zuwendung, eine große Achtung vor der eigenen Arbeit, also unprätentiöser, sachlicher Selbstrespekt. Diese Liebe zu seinem Handwerk schlägt sich auch nieder in der Art und Weise, wie Roland Schueler die einzelnen Arbeitsgriffe kommentiert: seelenruhig, mit heiterer Gelassenheit, immer fixiert auf sein Ziel, mit ironischer Souveränität sozusagen.

Am Tag der Filmpremiere flogen ganz zufällig enorme Kranichschwärme über Luxemburg. Wer die Flugbewegungen dieser Vögel verfolgt, kann sich einer starken Faszination nicht entziehen. Man könnte auch von einer sonderbaren, unergründlichen Rührung sprechen. Warum sind wir so gebannt von den Kranichen? Nichts kann sie abbringen von ihrer Flugroute. Da ist eine Zielstrebigkeit am Werk, die sich keiner noch so aufdringlichen Störung von außen unterwirft. Die präzise Formation der Kraniche hat etwas von einem fliegenden Uhrwerk. Alles greift perfekt ineinander, fließend und spielerisch leicht, aber zugleich spürt man die innere Motorik, den hohen Kraftaufwand und die kollektive Disziplin. Insofern wären die Kraniche ein archaisches Sinnbild für eine Qualität, die immer gründlicher unter die Räder kommt: das ruhige, unnachgiebige, wenn man will auch sture Anstreben eines Ziels. Wenn man Cellomusik „visualisieren“ müsste, würde ein Kranichschwarm sicher nahtlos passen.

Leider waren am Tag der Cello Tales-Premiere auch die hektischen Exhibitionisten wieder besonders aufgedreht. Ihre neueste Masche heißt „Harlem Shake“. Sogar die Feuerwehrleute aus Bettemburg haben eigens einen Harlem Shake-Werbeclip fabriziert, wohl um besonders körperbetonte Einsatzbereitschaft zu signalisieren. Bei eisiger Kälte stürzten sie voll uniformiert vor ihren Geräteschuppen und vollführten wie von der Tarantel gestochen jenen grotesken Pseudotanz, der seit Wochen in allen sozialen Netzwerken tobt. Harlem Shake, übrigens eine triste Verballhornung der Gettokultur im sozial gefährdeten New Yorker Bezirk, ist nur der Ausdruck totalitärer Beliebigkeit. Irgendetwas wird auf Knopfdruck hingeschludert, eine sinn- und zweckfreie Bewegungssimulation, geschichtslos, bewusstlos, kopflos, formlos, lautstark und nur ausgerichtet auf den schnellen und billigen Effekt. Nach dem Motto: Ich schüttele mich, also bin ich. Und wenn ich mich im Rudel schüttele, dann bin ich erst recht. Die kollektive Dumpfheit sieht aus der Ferne betrachtet wohl nur relativ dumpf aus. Je schwachsinniger, umso auffälliger. Vielleicht wird dieses Fazit einmal als Leitsatz der Bettemburger Feuerwehrphilosophie gelten.

Es gibt noch schöne Fluchtmöglichkeiten. Eine davon ist ein abgeschirmter Kinosaal, wo gerade der Film Cello Tales läuft. Das unscheinbare Geräusch des Adergrabenaushebers im Holz des künftigen Geigenkörpers hat einen ungleich stärkeren Nachhall als die ganzen Harlem Shake-Knallfanfaren aus dem Gettoblaster. Es ist das Geräusch einer leisen, beharrlichen, in sich gekehrten, abgeklärten Arbeitsanstrengung. Man wird es sobald nicht wieder vergessen.

Guy Rewenig
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