ZUFALLSGESPRÄCH MIT DEM MANN IN DER EISENBAHN

Management

d'Lëtzebuerger Land vom 01.11.2024

Die soziale Zusammensetzung des Parlaments hat wenig mit derjenigen der Gesellschaft zu tun. Nach den Wahlen vom 8. Oktober 2023 hat sich die Konzentration zugespitzt: Das Parlament wurde liberaler. Die Zahl der Lohnabhängigen aus der Privatwirtschaft fiel von 17 auf 14 Abgeordnete. Die Zahl der Selbständigen stieg von 18 auf 23.

Die soziale Herkunft von Abgeordneten spielt eine Rolle. Selbst wenn viele seit Jahren Berufspolitiker sind. Manche vertreten unverblümt die Interessen ihrer Klasse, ihres Stands, ihrer Geschäfte. Auch das Urteil Wohlmeinender ist von ihrer Gesellschaftsklasse geprägt. In die sie geboren, in der sie erzogen wurden, die ihren Bekanntenkreis darstellt. In der Regierung ist es nicht anders – in die Regierung kommen meist die erstgewählten Abgeordneten.

Drei Viertel der Arbeiterklasse sind als Eingewanderte (27 %) und Grenzpendler (48 %) nicht wahlberechtigt. Arbeiter stellen ein Drittel der Erwerbsbevölkerung dar. Der Arbeiterklasse entstammt kein Drittel der Abgeordneten. Sie zählt zwei Volksvertreter. Vor fünf Jahren waren es vier. Außerhalb des Parlaments gibt es über 20 000 Arbeiterinnen und Lehrmädchen. In 183 Jahren Parlamentsgeschichte war noch nie eine Arbeiterin Abgeordnete.

Zum Überleben müssen auch Angestellte ihre Arbeitskraft verkaufen. Das Statut unique zählt sie seit 2009 als „salariés“ zur Arbeiterklasse. Auch sie sind im Parlament unterrepräsentiert. 12 Abgeordnete sind Angestellte – eine weniger als vor fünf Jahren. Die einen in gehobeneren Positionen. Die anderen auf dem gewundenen Pfad von Journalisten über Parteifunktionäre zu Berufspolitikern.

Die besitzlosen Klassen sind im Parlament schlecht vertreten. Die besitzenden Klassen sind gar nicht vertreten. Die großen Kapitalbesitzer leben im Ausland. Die heimische Bourgeoisie zog sich vor einem Jahrhundert aus dem Parlament zurück. Als sich das allgemeine Wahlrecht und die Aktiengesellschaften durchsetzten.

23 Abgeordnete oder 38 Prozent arbeiteten beim Staat, in Gemeinden und öffentlichen Einrichtungen. Ihr Anteil an der Zahl aller Erwerbstätigen ist vier Mal geringer. Das Gesetz vom 5. August 1968 gewährt gewählten Beamten Ruhegehalt und Arbeitsplatzgarantie. Es fördert eine Kaste von Berufspolitikern. Die die Staaträson von Berufswegen verinnerlicht haben. Denen Sorgen um Einkommen und Arbeitsplatz fernliegen. Und damit auch die soziale Frage. Das passt den besitzenden Klassen.

Die Selbständigen machen sechs Prozent der Erwerbstätigen und 38 Prozent der Abgeordneten aus. Sie verfügen über Zeitsouveränität für die Wahrnehmung ihres Mandats. Der Besitz eines Betriebs, einer Praxis, einer Kanzlei macht leistungsorientiert, konkurrenzbewusst, staatsskeptisch, liberal. Das gefällt den besitzenden Klassen.

Die Hälfte der Selbständigen, zwölf, sind Rechtsanwälte. Sie machen ein Prozent der Erwerbstätigen und 20 Prozent der Abgeordneten aus. Ihnen ist der Umgang mit Gesetzestexten vertraut. Sie teilen das Weltbild von Selbständigen. Sie reduzieren gesellschaftliche Konflikte gerne auf private Streitigkeiten. Das ist ihr Beruf.

Das kulturelle Kleinbürgertum von Beamten, das ökonomische Kleinbürgertum von Rechtsanwältinnen und anderen Selbständigen dominiert in Parlament und Regierung. Es liefert das politische Management der herrschenden Klassen. So wie die Besitzer von Aktienkapital das Tagesgeschäft dem betrieblichen Management überlassen. Beflissen hält sich der Premierminister für einen CEO.

Im Sprachgebrauch der besitzenden Klassen verbrämt das politische Management deren Interessen als Wettbewerbsfähigkeit, Arbeitsplatzbeschaffung, Talentpflege. Sie sollen als Interessen der beherrschten Klassen erscheinen.

Romain Hilgert
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