Der Innenminister hat es geschafft, die Wasserpreisdebatte zu entschärfen. Was nicht zuletzt der CSV nützt, deren Premier immer wieder Preisversprechen macht, die sich schwer halten lassen

Bloß keinen Keil in die CSV

d'Lëtzebuerger Land du 15.03.2013

Es war vielleicht Zufall, dass Ali Kaes am Montag zu spät kam. In dem Versammlungssaal im Erdgeschoss des erst vor ein paar Wochen bezogenen neuen Verwaltungsgebäudes an der Rock’n’Roll-Avenue in Belval gab es schon keine freien Stühle mehr und Innenminister Jean-Marie Halsdorf (CSV) hatte das Atelier-débat über den Wasserpreis schon zehn Minuten vorher eröffnet, da erschien mit wehendem Mantel und breit lächelnd der Mann, dem die Veranstaltung wahrscheinlich zu verdanken war.

Kaes, der Tandeler Député-maire von der CSV, verlangt seit 2006 einen landesweiten Einheits-Wasserpreis. 2008, als das neue Wassergesetz verabschiedet wurde, hatte er als einziger Abgeordneter seiner Fraktion gegen den Gesetzentwurf der Regierung gestimmt, weil darin nichts von einem Einheitspreis stand. Als Premier Jean-Claude Juncker am 8. Mai vergangenen Jahres in seiner Erklärung zur Lage der Nation den Einheitspreis versprach, griff er Kaes’ Ideen auf, denn außer diesem fordert den Einheitspreis niemand in der Landespolitik. Sollte sein Zuspätkommen demonstrieren, dass er sowieso Recht behalten werde? Noch auf dem CSV-Parteitag vergangenen Samstag hatte Kaes lautstark nach dem Einheitspreis verlangt. Oder war der Weg aus dem hohen Norden in den tiefen Süden einfach zu weit gewesen?

„Eine ganz objektive“ Debatte über den Wasserpreis wollte der Innenminister am Montag mit Gemeindevertretern und Lobbyisten eröffnen und versicherte: „Wir werden heute natürlich noch nichts entscheiden!“ Eine besondere Rolle spielte Ali Kaes dabei schon, denn in den ersten drei Stunden der Ganztags-Diskussion, in denen es um die Frage ging, ob ein landesweit „harmonisierter“ Preis oder ein „Einheitspreis“ besser sei, durfte er nicht nur jede Diskussionsrunde eröffnen. Er erhielt vom Minister auch oft „Verständnis“ bescheinigt. So oft, dass der Rümelinger LSAP-Bürgermeister Henri Haine sich beschwerte: „Wenn Sie Ali immer Recht geben, ist es schwer zu diskutieren.“

In Wirklichkeit aber hatte Halsdorf für jeden Redner Verständnis. Für die Direktorin der Bauernzentrale, die vorrechnete, die Wasserpreisunterschiede von einer Gemeinde zur anderen könnten für Landwirte bis zu 4 000 Euro im Jahr betragen. Was zehn Prozent der Gesamteinkünfte eines durchschnittlichen Bauernbetriebes entspräche und „wettbewerbsverzerrend“ sei. Für den Generalsekretär des Gastronomenverbands Horesca, der ankündigte, der Wasserkosten wegen müssten in Hotels „bald Leute entlassen werden“. Für den Direktor der Handwerkerföderation, der meinte, es könne doch nicht sein, dass für „produzierende Handwerksbetriebe“ wie Bäckereien oder Metzgereien dasselbe Preismodell gilt wie für Haushalte, und der für eine Preisstaffelung nach dem Verbrauch der Betriebe eintrat. Und für die Generalsekretärin des Campingplatzbetreiberverbands, die dem Saal beschrieb, wie hart der europäische Wettbewerb zwischen den Campingplätzen sei und weshalb es kaum in Frage komme, die gestiegenen Wasserkosten auf die Urlauber umzulegen: „Dann gehen die woanders hin!“

Auch für sozialistische Bürgermeister hatte der Minister Verständnis. Sogar für Dan Kersch aus Monnerich, gegenüber Ali Kaes der andere wasserpolitische Schreihals im Lande, der Halsdorf jahrelang mit der Idee traktiert hatte, in seiner Gemeinde jedem Bürger pro Tag zwanzig Liter Wasser gratis zu garantieren, obwohl im Wassergesetz geschrieben steht, jeder müsse bezahlen, was er verbraucht. Der vor zwei Wochen eigens eine Pressekonferenz einberief, auf der er erklärte, der Einheitspreis sei „eine Erfindung der Nord-CSV“, die eine „Illusion“ bleiben werde. Und der am Montag meinte: „Wir haben Streit im Land wegen der Kollegen aus dem Norden. Dabei haben wir Wichtigeres zu tun.“

Mangelnde Führungskraft dürfte aber nicht der Grund dafür gewesen sein, dass der Innenminister ein so offenes Ohr für alle Teilnehmer im Saal hatte. Sondern eher, dass die Wasserpreisdiskussion für den Minister, aber auch für die CSV, allmählich lästig wird.

Denn es ist ja nicht so, dass über einen Weg, der zu einem Einheitspreis führen könnte, nicht schon vor sechs, sieben Jahren diskutiert worden wäre, als der Entwurf zu dem Wassergesetz im Parlament lag, der aus der EU-Wasserrahmenrichtlinie das „Kostendeckungsprinzip“ übernahm. Schon damals war klar, dass ein Einheitspreis im kleinen Großherzogtum eigentlich dem gesunden Menschenverstand entspräche. Klar war aber auch, dass man dafür die Zuständigkeit für Trinkwasserversorgung und Abwasserbehandlung weg von den Gemeinden, wo sie sich seit 1789 und 1790 erlassenen Dekreten befindet, auf eine einzige Körperschaft übertragen müsste. Entweder auf den Staat, oder auf eine öffentliche Einrichtung privaten Rechts, oder auf ein einziges großes Gemeindesyndikat oder auf ein Privatunternehmen.

Es sei denn, man richtete eine Instanz ein, die für einen Lastenausgleich zwischen den Gemeinden mit ihren unterschiedlichen Wassergestehungskosten sorgt. Die Idee macht nun als „Agence de compensation“ die Runde, ohne aber neu zu sein. Das Problem an ihr ist damals wie heute, überhaupt einen Lastenausgleich zu schaffen. Denn Wasserkosten sind zu 80 Prozent Fixkosten, die sich wiederum aufteilen in einerseits die Funktionskosten für die Infrastruktur sowie andererseits in Kosten für Investitionen und Abschreibungen. Der letztgenannte Block unterscheidet sich von Gemeinde zu Gemeinde besonders stark. In ihm versteckt aber ist nicht nur der relativ hohe Aufwand, der einer flächenmäßig großen Landgemeinde mit wenigen Einwohnern entsteht, die Wasserleitungen, Speicherbehälter und Kläranlagen regelmäßig erneuern muss, aber vergleichsweise wenige Einnahmen aus ihrer lokalen Wasserkundschaft hat. Der Kostenblock enthält auch Altlasten in Form von in der Vergangenheit nicht getätigten Investitionen. In manchen Gemeinden sind 50 Prozent der Kanalisation marode. Der Investitionsbedarf in Kläranlagen beläuft sich landesweit auf hunderte Millionen Euro. Und dass in den letzten Jahren an die 20 Trinkwasserquellen schließen mussten, lag nicht nur daran, dass sie zu stark mit Schadstoffen belastet waren, sondern zum Teil auch an mangelnder Pflege durch die Gemeinden. Gegenüber der Aussicht, in einem Lastenausgleich auch für solche Versäumnisse der anderen mit aufkommen zu müssen, gab es schon vor sechs Jahren vor allem aus den politisch einflussreichen großen Stadtgemeinden ein klares „Njet!“

Zum Leidwesen für die CSV aber ist es heute nicht nur der blau-grüne Schöffenrat der Hauptstadt, der auf das vom Innenminister kurz vor Weihnachten in die Diskussion gebrachte Arbeitspapier zum Einheitspreis Nein sagt, weil Lastenausgleich hieße, „schlechte Schüler“ zu belohnen. Oder das LSAP-regierte Düdelingen, und Monnerich natürlich. Die Mehrzahl der Stellungnahmen zu der Diskussionsvorlage ist negativ – und unter ihnen sind auch solche von CSV-regierte Gemeinden.

Die Junglinster Bügermeisterin Francine Colling-Kahn zum Beispiel schrieb dem Innenminister kaum verhohlen: „Je vous informe que notre commune a poursuivi dans le passé ses devoirs en investissant sans cesse dans les infrastructures de l’eau sur le territoire de notre commune.“ So deutlich wollte der Ettelbrücker CSV-Schöffenrat zwar nicht werden, erwähnte in seiner „réponse mitigée“ jedoch, es seien „nombreuses questions à traiter“, vor allem die, ob eine nationale Solidarität nicht eine Einladung zur Verschwendung wäre. Der rot-schwarze Schöffenrat von Schifflingen, dem CSV-Kammerfraktionssprecher Marc Spautz angehört, ließ zwar wissen, in in der Einheitspreisfrage „gespalten“ zu sein. Die Stellungnahme selbst erwähnt jedoch sehr deutlich Versäumnisse anderer Gemeinden an deren Infrastruktur. Der Schöffenrat von Käerjeng, wo CSV-Präsident Michel Wolter mit den Grünen und einer Bürgerinitiative regiert, schließt sich kurz und bündig der Position dreier Trink- und Abwassersyndikate an, die entweder beklagen, der Innenminister habe für die Debatte noch nicht genug Vorabinformationen geliefert und um mehr Bedenkzeit bitten, oder Nein sagen zum Einheitspreis. Die Stellungnahme aus Hesperingen ist die einzige aus einer CSV-regierten Gemeinde, in der erwähnt wird, der Einheitspreis führe „für 87 Prozent“ der Landesbevölkerung zu höheren Wasserkosten. Was eine „demarche malsaine“ sei.

Jean-Marie Halsdorfs Wasserwirtschaftsamt hatte sogar errechnet, dass der Einheitspreis die Wasserrechnung für 89 Prozent der Haushalte verteuern würde, aber gleichviel: Die Aussicht auf eine politische Entscheidung, die für meisten Bürger zu noch höheren Preisen führen würde, stellt für die CSV den schwierigsten Punkt der Debatte dar. Doch die wurde, neben Ali Kaes, immer wieder vom Premier himself belebt. Vor vier Jahren versprach Jean-Claude Juncker einen landesweiten Einheitspreis für den Agrarsektor von einem Euro pro Kubikmeter Trinkwasser. Am 16. Dezember 2011 nach der gescheiterten Tripartite und der Entscheidung der Regierung, den Index erneut zu manipulieren, versprach er eine „landesweite Sozialstaffelung“ im Wasserpreis. Das Versprechen vom Mai letzten Jahres war nur das Ende einer Serie.

Doch erst nach Junckers letztem Vorstoß konnte Halsdorf nachrechnen lassen, was ein Einheitspreis tatsächlich kosten würde. Was auch daran liegt, dass nun erst so gut wie alle Gemeinden ihre Wassergestehungskosten aufgeschlüsselt haben. Die Aussicht auf eine Kostensteigerung für fast neun von zehn Haushalten hat aber auch den Koalitionspartner in der Regierung beeindruckt. Im Koalitionsvertrag heißt es noch, „à terme“ strebe man einen Einheitspreis an. Doch am 28. Februar bezog ausgerechnet die LSAP als einzige politische Partei Stellung zu Halsdorfs Papier, und die von Präsident Alex Bodry und Frak-tionssprecher Lucien Lux unterzeichnete Antwort ist negativ. Wenn der Wasserpreis für die meisten Bürger schon steigen soll, dann nur dank der CSV.

Da verwunderte es am Montag gar nicht so sehr, dass der Hesperinger Bürgermeister Marc Lies sich zuerst alle Versuche verbat, zwischen die CSV-regierten Gemeinden „einen Keil zu treiben“, und dann mit einer Art Vorschlag zur Güte aufwartete: mit dem „harmonisierten Preis“, den der Innenminister vor zwei Jahren vorgeschlagen hatte. Damit sollte nicht nur der Preis für Haushalte höchstens sieben Euro pro Kubikmeter betragen, was immerhin viel weniger wäre als elf bis zwölf Euro in manchen Landgemeinden im Norden. Das harmonisierte Modell enthält auch Erleichterungen für Gastronomie und Campingplätze, und mit ihm soll sich sogar eine Art Einheitspreis für die Bauern ergeben – zwar nicht ein Euro landesweit, wie vom Premier versprochen, aber auch nicht mehr mehr als an die zwei Euro.

Dieses Modell gehe aber nicht auf, rief Ali Kaes von der anderen Seite des Saales. Vor allem nicht für Gemeinden wie Tandel, wo die Hälfte der Wasserkunden Landwirte sind. Sollte der harmonisierte Agrar-Wasserpreis etwa gegenfinanziert werden, indem man doch mehr von den Haushalten nimmt? Vielleicht, erwiderte Parteikollege Lies, könnte in solchen Fällen der Staat helfen. Im Wassergesetz stehe ja, besonderer geografischer, ökologischer und ökonomischer Umstände wegen könne es Subventionen geben. Der Innenminister gab Lies nicht Unrecht: „Darüber muss ich mit Luc reden“, dem Finanzminister.

Diese Fügung war so schön, dass die Dramaturgie der Debatte beinah CSV-intern entworfen worden sein konnte. In Wirklichkeit will ja auch der Innenminister den Einheitspreis nicht wirklich, weil er weiß, dass der interkommunale Kostenausgleich nicht durchsetzbar ist; weil er nichts davon hält, Gemeinden mit Investitionsrückstand zu entlasten, und sich durchaus vorstellen kann, dass der Ausgleichsmechanismus kein Anreiz zur Sparsamkeit wäre.

Allerdings meldete sich am Montag auch der Präsident des Wasserversorgerverbands Aluseau zu Wort, der meint, noch lägen nicht alle Daten der Gemeinden vor. Manche hätten in ihre Wasserkosten „alles Mögliche“ eingerechnet, andere „etwas vergessen“. Womöglich könne die Wasserversorgung noch teurer werden als derzeit.

Das wäre folgenreich. Dann wäre womöglich nicht nur der harmonisierte Preis mit dem Plafond von sieben Euro unrealistisch. Es könnte auch Probleme geben, wenn der Innenminister mit dem Finanzminister über Subventionen spricht. Oder wenn er andere Finanzierungswege in Betracht zieht. Am Montag erklärte er noch, ein Kostenausgleich sei vielleicht auch über den allgemeinen Gemeindefinanzausgleich denkbar. Wogegen LSAP-Bürgermeister prompt protestierten und für den Fall einen Finanzausgleich für alle Gemeindemissionen verlangten, von der Wasserversorgung bis hin zu den Maisons relais.

Das werde man alles sehen, wehrte Halsdorf den neuen potenziellen Konfliktherd ab und bedankte sich für die „sehr konstruktive“ Diskussion. Er werde alle Ideen prüfen, sämtliche Sonderwünsche nach Extratarifen und sogar den von vielen Seiten laut gewordenen Ruf nach verbrauchsabhängigen Preisstaffelungen. Einen Termin für eine nächste Diskussionsrunde abmachen wollte Halsdorf nicht. „So einen Grenelle können wir einmal im Jahr abhalten“, meinte er. Gut möglich, dass vor den nächsten Wahlen niemand mehr laut vom Einheits-Wasserpreis spricht. Bis auf Ali Kaes, der nach dem Atelier-débat versicherte: „Ich gebe nicht auf!“

Peter Feist
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