Im öffentlichen Diskurs scheint es keinen Platz für zwei Krisen gleichzeitig zu geben. Aber: Klimawandel ist trotz Covid-19 nicht verschwunden

Wann ist eigentlich wieder Freitag?

Eine Kundgebung von Youth for Climate Luxemburg
Foto: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land vom 28.08.2020

Rund 15 000 Schüler/innen zogen am am 15. Mai 2019 durch Luxemburg Stadt. Ihre Nachricht war unmissverständlich: „There is no planet B!“ „Stop global warming!“ Mit ihnen zogen Journalist/innen, Videocrews, Photograph/innen, Handykameras. Sie hatten die Aufmerksamkeit des ganzen Landes. Der Schneeball schien ins Rollen gekommen zu sein: Die Klimakrise war das heißeste Thema, der Premierminister traf sich mit Vertreter/innen der Bewegung zu einem Gespräch und selbst in den konservativsten Kreisen redete man über die Jugendlichen, und sei es nur um zu nörgeln, dass sie „Freitags nicht die Schule schwänzen sollen“. Die Bewegung, die hierzulande vor allem von Youth for Climate Luxembourg (YFCL) organisiert wird, schien nicht zu bremsen. Und dann kam Covid-19. Genau zehn Monate nach der größten Fridays for future-Demonstration in Luxemburg kündigte die Regierung den Lockdown an. Seither ist es ruhig auf den Straßen. Aber hinter den Türen des Oekozenters im Pfaffental werden immer noch – sehr vorsichtig – Pläne geschmiedet und aus der gegenwärtigen Situation gelernt. Denn die Klimakrise ist nur aus den Schlagzeilen verschwunden, nicht aber aus der Realität.

Zwangspause „Für April war eigentlich ein Streik geplant, wir waren kurz davor, das Ganze öffentlich zu machen, bevor wir alles abblasen mussten“, sagt Zohra Barthelemy. Die Siebzehnjährige ist seit etwa zwei Jahren bei YFCL, deren Kerngruppe aus etwa 20 Mitglieder/innen besteht, in erster Reihe aktiv. Für viele von ihnen war die kollektive Vollbremsung Fluch und Segen zugleich: „Es war schon komisch, weil wir die letzten anderthalb Jahre nonstop unterwegs waren und plötzlich – nichts.“ Dennoch kam vielen eine kleine Pause entgegen, sagt Barthelemy. Es sei ein wichtiger Moment gewesen, sich zu sammeln, durchzuatmen. Demonstrationen sind aktuell unmöglich, nicht nur weil die nötigen Genehmigungen nicht ausgestellt würden. Die Gruppierung ist unter der Fahne verantwortungsbewussten, solidarischen Handelns zusammengekommen, ein Ideal, das grundlegend inkompatibel mit dem Risiko wegen Covid-Ausbruchs bei einer Demo wäre. Das Hauptprogramm der Bewegung liegt damit also ersmal auf Eis. Vor allem in Luxemburg, mit seiner fehlenden Protestkultur, ist das Wegfallen des Alleinstellungsmerkmals der Fridays for Future-Bewegung – die großen Demos – mit einem Sichtbarkeitsverlust verbunden. Passanten sind es hier nicht gewohnt, an einem Streik vorbeizugehen, da fällt man als organisierte Demonstration auf. Das bedeutet jedoch nicht, dass in den wöchentlichen Treffen der Gruppe im Oekozenter keine Ideen gesammelt und Pläne für die mittelfristige Zukunft geschmiedet werden, versichert Barthelemy. Sie ist zuversichtlich, dass die Gruppe nach den Einschränkungen wieder Momentum aufbauen kann. „Wir arbeiten aktuell vor allem mit anderen Organisatinen zusammen an kleineren, greifbaren Projekten, damit wir in den Köpfen der Leute präsent bleiben,“ betont die Umweltschützerin. In nächster Zukunft wird dies die Form eines gemeinsamen, mehrtägigen Projekts mit der Bürgerinitiative der Gemeinde Sassenheim annehmen. Vom 3. bis 5. September wird YFCL dort gemeinsam mit gleichgesinnten Organisationen gegen die geplante Umgehungsstraße protestieren. Dennoch bleibe es schwer einzuschätzen, wie es weitergehe, betont Barthelemy, weil man nicht weit in die Zukunft planen könne. Bis dahin muss der nächste Freitag warten. Der Klimawandel jedoch wartet nicht.

Mit der Unsicherheit, die andere ein bisher unbekanntes Gefühl war, kennt sich die Jugendorganisation bereits gut aus. „Es ist quasi die gleiche Angst, wie wir sie seit Jahren haben“, sagt die 17-Jährige. Tatsächlich hat die aktuelle sanitäre Krise viele Parallelen zur Klimawandel- und Biodiversitätskrise: Beides sind Herausforderungen, die auf globaler Ebene angegangen werden müssen, denen ohnehin schwach gestellte Gruppen unverhältnismäßig stark ausgesetzt sind, und die von unterschiedlichen Akteuren unterschiedlich ernst genommen werden. Und genau diese Ähnlichkeiten machen Jessie Thill von Déi jonk Gréng, die während des Lockdowns eine neue Liste an Forderungen für einen Neustart verfasst haben, Hoffnung: „Die Krise zeigt, dass Politiker/innen hierzulande und weltweit sehr schnell reagieren können, wenn sie akuten Handlungsbedarf sehen.“ Diese Feststellung untermauert die Überzeugung der Klimaschützer: Gelingt es ihnen, den Entscheidungsträgern vor Augen zu führen, wie ernst das Problem des Klimawandels ist, besteht nun ein Präzedenzfall für die schnelle Mobilisierung von Ressourcen und Anpassung von Regeln.

Unsichtbares sichtbar machen Während das primäre Ziel aller Umweltschützer ist, die „Mächte da oben“ auf ihre Seite zu ziehen, sehen sich viele junge Klimaaktivisten mit Gegenwind aus der Bevölkerung konfrontiert. Denn eine weitere Parallele zwischen der Corona- und der der Klimakrise ist das vehemente Verneinen des Problems durch Gegenbewegungen. Covid war eine Ohrfeige ins Gesicht der Gesellschaft: schmerzvoll, laut, nicht zu ignorieren. Die aktuelle Zahl der Toten wird täglich im Radio bekannt gegeben, im Internet findet man solche Ticker für die ganze Welt. Im Gegensatz zu ihr ist der Klimawandel schleichend, körperlich kaum wahrnehmbar. Wissenschaftlich ist er unbestreitbar und in vielen Hinsichten besser verstanden als Corona, aber niemand kennt eine Person, die wegen „Klimawandel“ auf die Intensivstation musste.

Dennoch reagieren einige Menschen ähnlich auf beide Herausforderungen, stellen sowohl Barthelemy als auch Thill fest: Verneinen, verharmlosen, ignorieren. Während manche das Problem ernst nehmen und mehr oder weniger aktiv an Lösungen arbeiten, verweigerten sich andere komplett. Selbstkritik ist schwierig, passive Bequemlichkeit einfach, sagt Barthelemy: „Selbst bei einem offensichtlichen Problem wie Corona gibt es Leute, die sich die Mühe machen, aktiv Meldungen zu fälschen, um Unsicherheit unter die Leute zu bringen.“ Menschen sind bereit, große Anstrengungen auf sich zu nehmen, um ihre vorgefassten Ansichten nicht in Frage stellen zu müssen, und sich auf Nachrichten zu beschränken, die ihre Ideen bestätigen. „Es ist nicht einfach, sich an die eigene Nase zu fassen und zu fragen, wo man selbst etwas verbessern könnte. Die Angst, Privilegien und Macht abzugeben und die Illusion, die Welt würde untergehen, wenn man nur noch zweimal die Woche Fleisch isst oder weniger Auto fährt, sind weit verbreitet.“

Häufig artet dies in Angriffen auf die Überbringer der Nachricht aus: „Meine Profile sind relativ anonym, zum Glück. Einige Kommentare, die ich lese, sind dennoch sehr problematisch, vor allem wenn man bedenkt, dass sie sich an Minderjährige richten.“ Der Versuch, so viele Menschen wie möglich zu erreichen, wird noch schwieriger dadurch, dass die Fragen, die von den Jugendlichen lautstark aufgeworfenen werden, oft mit sozial begründeten existentiellen Ängsten einhergehen. Genau wie auch während der Covid-Krise sind sozial schwach gestellte Menschen, die kein Sicherheitsnetz haben, auch diejenigen, die der Klimakrise und mit ihr einhergehenden Veränderungen am meisten ausgesetzt sind.

Ein Ziel, viele Wege Welche Methode die Beste ist, um Politiker/innen und die Bevölkerung aller Ablenkungen zum Trotz – Thill und Barthelemy kamen beide auf Brexit und Trump zu sprechen – von ihrem Zugzwang zu überzeugen, hängt davon ab, wen man fragt. Barthelemy ist von der Wirkung der Demonstrationen überzeugt: „Wir zeigen den Politiker/innen eindeutig: ,Hier sind wir, und wir sind viele.’ Es ist eine sehr visuelle Methode der Kommunikation, die nicht ignoriert werden kann.“ Treffen mit Politikern, wie unter anderem auch das Gespräch zwischen Greta Thunberg und Bundeskanzlerin Angela Merkel vergangene Woche, sind Zwischenerfolge, aber letztlich Mittel zum Zweck. Vertröstet werden, ist ignoriert werden. „Ich persönlich und wir als Bewegung sind explizit gegen jegliche Form der Gewalt, darum würde ich nicht sagen, dass wir den Entscheidungsträger/innen Angst per se machen. Unsere Demonstrationen sind dennoch eine gute Erinnerung daran, dass die Bürger das Fundament der Gesellschaft sind und, dass sie die Entscheidungsträger auch zu Fall bringen können, wenn es gar nicht anders geht.“

Votum Klima, ein Verband von 23 NGOs, der sich seit 2009 für Umweltschutz einsetzt und Schulter an Schulter mit den jungen Fahnenträgern des Umweltschutzes steht, bestehen besonders auf die Wichtigkeit, endlich auf Wissenschaftler zu hören: „Klimawissenschaftler sagen Politikern seit Jahrzehnten, dass diese Krise besteht, dass sie imminent ist und hier und jetzt gelöst werden muss.“ Vor und während der Corona-Krise habe es kleine Fortschritte gegeben, die Leute haben die Fragilität der globalen Lieferketten erkannt, sich verstärkt auf lokale Produkte besonnen. Der strukturelle Umbau, sagen die Vertreter/innen von Caritas, Natur& Emwelt und dem Cell jedoch, müsse nun top-down umgesetzt werden und dürfe nicht auf dem Rücken ohnehin schwach gestellter Bevölkerungsschichten passieren.

Die Lösung für das Problem? „Politik“, lacht Thill: „Forscher/innen stellen fest, publizieren ihre Ergebnisse, weisen auf Probleme hin. Sie selbst haben aber keine Möglichkeit, nötige Maßnahmen umzusetzen. Es ist die Aufgabe der Politiker/innen, auf sie zu hören und dann basierend auf der Forschung Entscheidungen zu treffen und die Bürger zu informieren.“ Die Entscheidungsträger/innen waren lange lethargisch, es sei höchste Zeit, daran etwas zu ändern. Die Zeit für Ablenkungen ist vorbei.

In einen Punkt sind sich alle einig, von den apolitischen Jugendlichen bei Youth for Climate, über die parteipolitischen jungen Grünen und die eingesessenen Veteranen: Veränderung liegt in der Luft, die junge Generation ist politisch aktiver als je. Umso mehr gilt es nun, die gesamte Bevölkerung mit an Bord zu bringen, auf die Änderungen, die durch die Krise möglich geworden sind, aufzubauen und von der Konsumgesellschaft wegzukommen. Und die Verantwortung, liegt bei der Politik, die sich sicher sein kann, dass die jungen Demonstranten schnellstmöglich wieder die Straßen stürmen werden, um auf eine Lösung zu drängen.

Misch Pautsch
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