Tanz

Nacktheit als Statement?

d'Lëtzebuerger Land vom 11.06.2021

Die Ankündigung der Tanzperformance im Mierscher Kulturhaus klingt vielversprechend. Sie liest sich als Plädoyer für die Akzeptanz des Anderen und mündet in einem Zitat von Mahatma Ghandi: “Our ability to reach unity in diversity will be the beauty and the test of our civilization“. Für die Performance Out of Range ist dies das Leitmotiv. Die sechs TänzerInnen auf der Bühne bringen einen unterschiedlichen kulturellen Background mit, der in die Choreografie von Saeed Hani und Giovanni Zazzera einfließt.

Die Beiden, mit jeweils beeindruckenden Lebensläufen, brächten ihre eigenen, unterschiedlichen künstlerischen Ansätze ein, um gemeinsam die gesellschaftliche Wirkung von Diversität zu erforschen und diese durch Bewegung auszudrücken, so der begleitende Flyer. Saeed Hani wuchs in Syrien auf, kam 2015 nach Trier und gründete 2016 seine eigene Tanzkompanie Hani Dance; seit 2021 ist er Mitglied des TROIS C-L. Im Rahmen des „3 du Trois“ präsentierte er Anfang Mai Ausschnitte aus seiner gelungenen Choreografie The blind Narcissist (2020). Nacktheit erweist sich in dieser Choreografie Hanis’ als Chiffre für und Spiel rund um Selbstbestimmung.
Out of Range ist seine fünfte Produktion und die erste Zusammenarbeit mit Giovanni Zazzera.

Zazzera ist umtriebig in der Luxemburger Tanzszene und hat mit zahlreichen internationalen Tanzkompagnien in Paris, New York und Tel Aviv zusammengearbeitet. Seit rund zehn Jahren ist er auf den Bühnen Luxemburgs präsent (beeindruckend Until you fall, 2019) und wurde 2013 mit dem Lëtzebuerger Danzpräis ausgezeichnet.

Ein Tänzer kauert anfangs nackt zwischen Baumpfählen am hinteren Bühnenrand. Während die fünf TänzerInnen in schwarzen Kostümen eine dynamische Choreografie mit Ballettelementen performen, nähert er sich zuckend der Gruppe, bis man dem Außenvorstehenden Kleidung reicht und ihn eingliedert: Eine Inszenierung der Aufnahme des Fremden. – Ein Eindruck, der durch das Bühnenbild sinnlich verstärkt wird. Wenn ein Tänzer (Kenji Shinoe) auf japanisch monologisiert, dabei einen orientalischen Teppich auf die Bühne zieht und sich darauf eine Tänzerin (Esther Morena) lasziv unbekleidet rekelt, darin einrollt und schließlich Zuflucht in der Verschmelzung mit einem anderen nackten Körper findet, steht der Effekt im Kontrast zur dynamisch-minimalistischen Gruppenchoreografie zu Beginn des Stücks. Die herumtollenden nackten Körper werden sukzessive auf dem Teppich zu einer Einheit, die wallenden lockigen Haare einer Tänzerin (Juliette Teller) werden immer wieder von Tänzern in die Höhe gehalten, bevor diese auf dem Teppich ineinander verkeilt verschmelzen. – Ein visuelles Erlebnis einer vereinigenden, humanistischen Orgie, das allein durch die audiovisuellen Soundelemente gebrochen wird.

Über Entblößung Intimität, gar Individualität und einen gesellschaftlichen Gegenentwurf vor Augen zu führen, ist nicht einfach. Was in den 90er Jahren auf den großen Bühnen (Volksbühne) noch als Provokation funktionierte, empfindet man hier nicht als überzeugend. Es bleibt die plakative Nacktheit, die keine kontroversen Aussagen erzeugt, sondern vor allem Zustimmung verlangt. Dies dokumentiert auch die anschließende Fragerunde. Während Saeed Hani über die Kunstfreiheit in Syrien sagt “We’re locked in a box“ und Nacktheit als Statement beschwor, sieht Zazzera Nacktheit als Zutat und Pfefferkorn im großen Ganzen. Für diejenigen, die ihre nackten Körper bis dato nicht als gesellschaftliche Projektionsfläche wahrgenommen hatten, bot sich kein gedanklicher Zwischenraum. Das Beschwören von Diversität allein ist eben auch kein Programm.

Out of Range: Choreografie: Saeed Hani Moeller, Giovanni Zazzera; TänzerInnen: Cesare Di Laghi, Esther Moreno Suarez, Juliette Tellier, Mario Gonzalez, Gabriel Lawton, Kenji Shinohe. Premiere war am 4. Juni im Merscher Kulturhaus. Weitere Spieltermine Ende 2021 in Trier

Anina Valle Thiele
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