Quartett

Charleys Tunten

d'Lëtzebuerger Land vom 20.01.2012

Luxemburg, beziehungsweise Esch-Alzette hat eine besondere Beziehung zu Quartett. Denn als die Inszenierung des Berliner Theaters im Palast am 11. Oktober 1989, einen Monat vor der Öffnung der Berliner Mauer, im Escher Theater aufgeführt werden sollte, war nur die Schauspielerin Vera Oelschlegel aus der DDR angereist. Regisseur Bernd Peschke und Schauspieler Manfred Ernst hatten sich gerade über Ungarn abgesetzt. Da kam kurzfristig Autor Heiner Müller nach Esch, setzte sich neben Oelschlegel an einen kleinen Tisch auf der Bühne und las jene Teile seines Textes, die der abhanden gekommene Darsteller spielen sollte.

Was soll’s auch? Schließlich stellen in diesem Quartett für zwei Zyniker die freigeistige Marquise de Merteuil plötzlich den Libertin Vicomte de Valmont dar, Valmont die tugendhafte Présidente de Tourvel, Merteuil die jungfräuliche Cécile de Volanges…

Bei dem zuvor bereits für das Théâtre national tätigen freien Regisseur Stefan Maurer, der das Stück im Kasemattentheater inszeniert hat, können deshalb auch zwei Männer die Rollen übernehmen, je nach Bedarf Rock und Hose tauschen: Christian Wirmer, freier Schauspieler aus Deutschland, und der Direktor des Kasemattentheaters und ewiger Besserwisser aus Weemseesdet, Germain Wagner.

Quartett ist noch immer Müller belieb-testes Drama, weil es für unpolitischer als seine Stücke aus der Produktion und seine historischen Dramen gehalten wird. Aber die Variation auf Pierre Choderlos de Laclos sieben Jahre vor der Französischen Revolu[-]tion veröffentlichten Briefroman Les Liaisons dangereuses führt die Geschlechterbeziehung als Gewaltverhältnis vor, zeigt, wie der Druck gesellschaftlicher Verhältnisse menschliche Beziehungen verformen und zerstören kann. Sei es in einem aristokratischen Salon kurz vor dem Untergang des Ancien Régime oder in einem Bunker nach dem Dritten Weltkrieg – wie Müller in der Regie-anweisung 1981 schrieb, als die Gewiss-heit galt, dass niemand einen atomaren Weltkrieg überleben würde.

Trotzdem nannte Müller im Interview sein Travestiestück eine Komödie, die wie Charleys Tante als Klamotte aufgeführt werden soll. Zum Glück hörte Maurer auf den Autor, griff tatsächlich immer wieder auf Slapstick-Elemente zurück, mit denen Wirmer die Brutalität des Textes ins Lächerliche zieht, während Wagner hilflos herumsteht. Die Distanz zwischen Zuschauer und Geschehen vergrößert noch der Einschub des Nachtstücks aus Müllers Germania Tod in Berlin, die Regieanweisung zu einer weiteren grotesken Demontage eines Menschen – oder vielleicht einer Puppe – auf der Bühne.

Doch über weite Strecken kämpfen sich Wirmer und Wagner durch die monströse Textkonstruktion, als sei in der einstündigen Aufführung leider keine Zeit für Pausen und Schweigen, welche die komplexen Monologe erst lebendig machen. So hört noch einmal, wer an das Primat der Produktionsmittel glaubt, dass Quartett das erste Drama ist, das Heiner Müller auf einer elektrischen Schreibmaschine schrieb.

Quartett von Heiner Müller, Regie und Bühne: Stefan Maurer, mit Germain Wagner und Christian Wirmer; weitere Vorstellungen am 25., 26., 27. und 31. Januar, 1., 2. und 3. Februar um 20.00 Uhr im Kasemattentheater, 14, rue du Puits in Bonneweg; Vorbestellungen über Telefon 291 281 und ticket@kasemattentheater.lu; Informa-tionen unter www.kasemattentheater.lu.
Romain Hilgert
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