Geld ohne Angst? Die Schweizer stimmen über eine Verstaatlichung der gesamten Geldschöpfung ab.

Momo und die grauen Männer von Zürich

d'Lëtzebuerger Land vom 27.04.2018

Totschweigen hat nicht geholfen. Kein Medienkonzern, keine politische Partei, keine Lobby unterstützt Momo. Trotzdem ist es dem kleinen Verein Monetäre Modernisierung gelungen, 110 000 beglaubigte Unterschriften bei der Bundeskanzlei in Bern abzuliefern. Damit kommt die so genannte Vollgeld-Initiative zustande: Am 10. Juni 2018 werden die Schweizer über die Vorlage „Für krisensicheres Geld: Geldschöpfung allein durch die Nationalbank!“ abstimmen.

Diese Initiatve haben Hansruedi Weber, ein pensionierter Volksschullehrer, und Reinhold Harringer, ehemaliger Leiter des Finanzamts St. Gallen, im Gefolge der Finanzkrise von 2008 gestartet. Es geht um eine scheinbar winzige Änderung der Schweizer Verfassung. In Artikel 99 sollen zwei Wörter eingefügt werden: „Der Bund allein schafft Münzen, Banknoten und Buchgeld als gesetzliche Zahlungsmittel.“ Politisch wäre die Verstaatlichung auch des elektronischen Geldes eine Revolution: Die Macht der Banken würde empfindlich getroffen.

Geld regiert die Welt. Das Geld aber wird heute überwiegend (gut 90 Prozent!) von privaten Geschäftsbanken elektronisch per Knopfdruck geschaffen, durch Kreditvergabe. Die Geldmenge explodiert. Geld auf dem Girokonto ist dabei lediglich ein Darlehen, eine Forderung des Kunden an die Bank, ihm echte gesetzliche Zahlungsmittel (also Bargeld) auszuzahlen. Giralgeld ist Teil der Bankbilanz – geht die Bank pleite, ist es weg.

Die Vollgeld-Verfechter wollen, dass Geld ausschließlich von der staatlichen Zentralbank ausgegeben wird, im Einklang mit der Entwicklung der „realen“ Wirtschaft. Zahlungskonten würden dann, wie heute schon Wertpapier-Depots, dem Kunden gehören – und im Fall einer Bankpleite einfach auf ein anderes Institut übertragen. Banken müssten nicht mehr mit Steuergeldern gerettet werden; man könnte sie wie andere Firmen bankrott gehen lassen. Der Geldschöpfungsgewinn würde dem Staat zufließen, der weniger Schulden machen müsste. Wachstumszwang und Druck auf Mensch und Natur würden gemildert, wenn Geld ohne Schuld und Zins auf die Welt käme.

Eine Referendumskampagne ist immer eine Art Volkshochschule zum Abstimmungsthema. In der Schweiz diskutiert nun erstmals eine breitere Öffentlichkeit über das Geldwesen. Der eine oder die andere vertieft sich vielleicht gar in die Schriften des Geldtheoretikers Joseph Huber, auf den das Vollgeld-Konzept zurückgeht. Viele Menschen erfahren zum ersten Mal, dass es Geldschöpfungsgewinne gibt, über deren Verteilung man durchaus nachdenken kann. So viel Aufmerksamkeit kann nicht im Interesse der Finanzbranche sein.

Wie konnte es überhaupt so weit kommen? Ein Grund für das PR-Desaster der Schweizer Banken könnte ihre Internationalisierung sein. Bei der Credit Suisse zum Beispiel sind zwei Drittel der Leitung Ausländer, angefangen beim CEO Tidjane Thiam. Kosmopoliten mangelt es möglicherweise an Verständnis für das politische System der Eidgenossen. Vielleicht haben die Manager auch aus ihren Heimatländern die Auffassung mitgebracht, demokratische Regungen der Untertanen seien für Banken grundsätzlich irrelevant. Eine weitere Erklärungsmöglichkeit ist, dass die Geldschöpfung immer zu den intimsten Arcana Imperii zählte. Politiker, Professoren und Journalisten, die Diskussionen frühzeitig abwürgen oder in genehme Richtungen lenken können, haben oft selbst keine Ahnung davon – und werden erst jetzt hektisch mit Argumentationshilfen versorgt.

Da die Schweizer nicht zu Revolutionen neigen, das Thema von finanzstarken Gegnern nach Kräften vernebelt wird und Momo ganz alleine kämpft, wird allgemein mit einem Scheitern der Geldreform-Initiative gerechnet. In letzter Zeit haben systemkritische Anliegen bei Volksabstimmungen jeweils 23 bis maximal 40 Prozent Ja-Stimmen erzielt, so etwa das bedingungslose Grundeinkommen, die Begrenzung von Manager-Löhnen und das Verbot von Nahrungsmittel-Spekulation. Ein ähnliches Potential hat wohl auch die Vollgeld-Initiative. Überraschungen sind aber nicht ausgeschlossen.

Die Schweizer haben schon einmal für Vollgeld entschieden: Anno 1891 verboten sie Privatbanken den Druck von Banknoten. Vielleicht erscheint ihnen nun die Verstaatlichung der elektronischen Geldschöpfung als logische Fortsetzung. Momo bemüht sich, Vollgeld nicht als radikalen Umsturz, sondern als „liberales Projekt“ darzustellen: Geld sei eine öffentliche Infrastruktur, die nun einfach modernisiert gehöre. Außerdem wird die Begeisterung der Eliten für Schulden und Inflation von schlichteren Menschen kaum geteilt: Vollgeld entspricht volkstümlichen Wünschen nach stabilen Werten.

Ein neuer Ausbruch der schwelenden Finanzkrise könnte wieder spektakuläre Banken-Rettungen nötig machen und das Stimmvolk verärgern. Ist die Schweiz wichtig genug, damit der nächste Crash auf jeden Fall über den Abstimmungstermin hinausgezögert wird? Allerdings könnte die Angst um Sparguthaben auch dazu führen, dass sich das Volk dann erst recht um die Banken schart und nichts von Reformen der Geldordnung wissen will. Psychologen nennen das „Stockholm-Syndrom“.

Eine weitere Bombe, die jederzeit hochgehen kann, ist die Schweizer Nationalbank. Im vergangenen Jahr hat sie 54 Milliarden Franken Gewinn gemacht – aber das kann sich schnell ändern. Die SNB hat mehr als 90 Prozent ihrer Mittel im Ausland investiert und gilt als „größter Hedgefonds der Welt“. Laut Bloomberg stecken derzeit 21 Prozent ihrer 800 Milliarden Dollar Fremdwährungen in Aktien, besonders Apple, Microsoft und Amazon. Die SNB ist selbst eine Aktiengesellschaft: Ihr nach dem Kanton Bern zweitgrößter Einzelaktionär ist der deutsche Spekulant Theo Siegert (rund 6 Prozent). Der Kurs der SNB-Aktie wurde in den letzten Monaten von unter 2 000 auf zeitweise mehr als 8 000 Franken hochgezockt. Möglicherweise stellt sich mancher Schweizer eine seriöse Zentralbank anders vor.

Spannend ist auch das Potential der Initiative, Zwist innerhalb der Eliten zu schüren: Unternehmer und Politker könnten in Versuchung geraten, sich aus der Vorherrschaft des Finanzkapitals zu befreien. Müssen die Geldsäcke jetzt ihren Lakaien mehr zahlen, damit sie treu auf Linie bleiben? Dagegen spricht der enge personelle und ideologische Zusammenhalt der Eliten. Dazu kommt der absehbare Ärger mit den USA: Im Außen- und Devisenhandel würde sich mit Vollgeld-Franken zwar unmittelbar nichts ändern. Goldman Sachs und die anderen Eigentümer der privaten De-facto-Welt-Zentralbank FED wären aber vermutlich not amused, wenn ausgerechnet die angesehene Schweiz aus der Schuldgeld-Wirtschaft aussteigen wollte.

Die Schweizer Politiker wollen kein Risiko eingehen. Nach dem Bundesrat (Regierung) und dem Ständerat (Kantone) hat sich auch der Nationalrat (das Parlament) bei 17 Enthaltungen mit 165 zu zehn Stimmen gegen Vollgeld ausgesprochen, also dem Volk eine Ablehnung empfohlen. Dabei wurden die Argumente der Schweizer Bankiervereinigung übernommen: Vollgeld sei ein weltweit einzigartiges „Hochrisiko-Experiment“, das die „Glaubwürdigkeit der SNB“ (!) beeinträchtige, ja die ganze Schweizer Wirtschaft gefährde. Es sei auch unnötig, weil das Finanzwesen ohnehin bestens reguliert und sicher sei. Wieso Negativzinsen und quantitative easing solider, historisch erprobter als Vollgeld sein sollen, wurde von den Abgeordneten nicht erläutert.

Meist stimmen die Eidgenossen brav so ab, wie von den Eliten gewünscht. Wenn sie den Vorgaben einmal nicht folgen, etwa den Bau von Ferienwohnungen bremsen oder Masseneinwanderung verhindern wollen – dann werden die Voten oft einfach umgangen oder schlicht ignoriert. Ein interessantes, wenn auch rein theoretisches Gedankenspiel: Was wäre, wenn die Schweizer für Vollgeld stimmen und die Regierung das tatsächlich umsetzen würde? Dann müsste wohl – wie in irgendeiner Bananenrepublik – das Militär putschen, notfalls gar die US-Armee einmarschieren, um mit nackter Gewalt wieder „geordnete“, also profitable Verhältnisse zu schaffen. Für das Schweizer Finanz-Establishment wäre das ein massiver Gesichtsverlust, denn im eigenen Land hat es (meistens) Wert auf eine elegante, demokratische Fassade gelegt.

„Die Wenigen, die das System verstehen, werden dermaßen an seinen Profiten interessiert sein, dass aus ihren Reihen niemals eine Opposition hervorgehen wird“, sollen einst die Gebrüder Rothschild geschrieben haben: „Die große Masse der Leute aber, geistig unfähig zu begreifen, wird ihre Last ohne Murren tragen, vielleicht sogar ohne je Verdacht zu schöpfen, dass das System ihnen feindlich ist.“ Für dieses Zitat gibt es keinen Beleg; man weiß nicht, ob die Banker das wirklich jemals ausgeplaudert haben. Vor der Schweizer Vollgeld-Initiative hat aber auch noch nie jemand den Versuch unternommen, das Gegenteil zu beweisen.

Martin Ebner
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