Die Kunstsammlung der Villa Vauban schien von jeher einem akademischen Publikum vorbehalten. Das soll sich jetzt ändern. Kunterbunt locken die Lettern der neuen Ausstellung: Der Lauf des Lebens. Ein Museum für alle. Verspielt gibt sich die Schau, deren Titel an den des städtischen Service „Une ville pour tous“ angelehnt ist und rund 80 Gemälde, Zeichnungen und Skulpturen aus der Sammlung der Villa Vauban zeigt.
Dem Lebenszyklus von der Geburt über Kindheit, Jugend, Lebensmitte bis hin zum Alter und Lebensende folgend, kann man hier die Räume abschreiten und die Darstellungen dieser Alterszyklen in der Kunst aus den Schätzen der Sammlung vom 17. bis 19. Jahrhundert einmal „anders“ erkunden. Die Ausstellungsmacher haben sich Inklusion groß auf die Fahnen geschrieben. „Eigens entworfene Vermittlungsangebote ermöglichen es den Besuchern aller Altersstufen, die Kunstwerke (...) auf ungewohnte Weise und oftmals spielerisch zu entdecken und zu verstehen. Besonderer Wert wird dabei auf Menschen mit Einschränkungen gelegt, sind doch sämtliche Stationen für jedermann benutzbar“, heißt es vielversprechend.
„Barrierefreiheit“ oder „Zugänglichkeit“ ist eine der Kernforderungen der UN-Behindertenrechtskonvention, deren Artikel 21 unter anderem das Recht von Menschen mit Einschränkungen beinhaltet, sich Informationen und Gedankengut frei zu beschaffen, zu empfangen und weiterzugeben. – Ein schwieriges, wenn nicht gar schier unmögliches Unterfangen, bedeutet dies doch, dass nicht nur Rollstuhlfahrer Kulturangebote wie Theater und Museen genauso nutzen sollten wie alle anderen, sondern auch Blinde oder Menschen mit einer Hörschädigung.
Die Leiterin des städtischen Service „Intégration et besoins spécifiques“, Madeleine Kayser, weiß davon ein Lied zu singen. Im Rahmen des Konzepts „Une ville pour tous“ arbeitet sie seit Jahren kontinuierlich daran, das städtische Angebot in Luxemburg-Stadt in punkto Barrierefreiheit auszubauen und hat auch an der Ausstellung in der Villa Vauban beratend mitgewirkt. Genauso wie das Büro für Leichte Sprache „Klaro“. So wurde begleitend zur Schau ein umfassender Ausstellungsführer mit Texten in Leichter Sprache verfasst. Beim Gang durch die Ausstellung selbst findet man eine solche Tafel mit Texten für Menschen mit einer Lernschwäche jedoch nur im ersten Raum. Hätten die Kuratoren konsequent auf Leichte Sprache gesetzt, wäre an den Wänden eine Bleiwüste entstanden!
Stattdessen finden sich in der gesamten Ausstellung interaktive Angebote wie etwa Taktilmodelle, Federhüte, die Möglichkeit, Selfies zu machen, oder Filme mit Untertiteln, die es insbesondere Menschen mit Einschränkungen ermöglichen sollen, sich vereinzelte Werke zu erschließen. Die Perspektive ist immer auf das Menschenbild gerichtet. So kann man den Lauf des Lebens nachvollziehen, indem man in den Räumen von der Kindheit bis zum Alter verfolgt, wie Menschen in der Kunst dargestellt wurden: ein generationenübergreifendes Thema, das auch Menschen unterschiedlichen Alters ansprechen soll. „Man ist nicht behindert, man wird behindert“, lautet ein alter Slogan der Behindertenrechtsbewegung. Im Laufe des Lebens stößt jeder an physische Grenzen. Hier schließt sich der Kreis. Kaum ein Konzept könnte wohl besser geeignet sein, als die Sammlung anhand des Lebenszyklus’ zu präsentieren.
Einige Angebote wirken jedoch etwas unbeholfen. So soll das Erfahren der Kindheit im 17. Jahrhundert etwa durch das Tragen eines Federhutes nachvollzogen werden. Der Blick auf das Gemälde Pieter Nasons’ Porträt eines Jungen als Jäger, gemalt um 1670, gibt einem eine Ahnung, wie solch ein Knabe ausgesehen haben mag. An zwei Kleiderständen in der Mitte des Ausstellungsraumes kann man sich einen Hut aufsetzen und selbst austesten, wie sich mit der Kopfbedeckung die Perspektive auf die Gemälde verändert. An einer der Erfahrungsstationen werden die Besucher dazu angehalten, Selfies zu machen. An einer Wand hängen bereits erste kleinformatige Polaroidbilder. In einem Rahmen lassen sich einige Bilder verschieben, sodass man sie durch das Milchglas vergrößert sehen kann. Im Untergeschoss am Eingang zum vierten Raum „Innenraum und Perspektive“ kann man sich ein Video in vier Sprachen mit Untertiteln, darunter auch in Portugiesisch, ansehen. In der Mitte stößt man auf ein Taktilmo-
dell von Jan Steens Das Dreikönigsfest (17. Jahrhundert), das sich Menschen mit einer Sehbehinderung ertasten können. Neben diesem gibt es in der Ausstellung jedoch nur ein einziges weiteres taktiles Relief: Paul Delaroches Mutterfreuden (1843) im ersten Raum kann als konturiertes Reliefbild ebenfalls mit den Händen ertastet werden.
Von der „Liebe und Leidenschaft“ mit Titeln wie „Romeo & Julia“ oder „Der Heiratsantrag“ geht es weiter zur „Mitte des Lebens“, in der man sich, so wird es suggeriert, Fragen über die Zukunft stelle. In der Mitte des Raumes: ein großes Ölgemälde von Jean-Pierre Pescatore (1844) in Denkerpose. Und wieder lockt die spielerische Einbindung, diesmal durch die Möglichkeit, sich eine Halskrause anzulegen. Auf einer rezenten Arbeit (Lentikular-Druck) des Künstlers Marco Godinho sind die Köpfe der drei Begründer der Sammlung Vauban ineinander montiert. Blickt man drauf, so stellt sich ein Kipp-Effekt ein.
Die Gemälde im sechsten Raum „Tiere als Wegbegleiter des Menschen“ sind tiefer gehängt, um vor allem Kindern den Zugang zu erleichtern. Ein Spiel-Wandteppich mit Motiven, die sich abmontieren lassen, soll den Jüngsten zum Erkunden dienen. Im letzten Raum mit dem Titel „Ende des Lebens“ blickt man auf das Bild Die drei Klatschtanten, das drei betagte Damen beim Kaffeekränzchen zeigt. „Es ist das Ende einer Reise durch das Leben und unsere Bilderwelt“, so Kuratorin Gabriele Grawe, die sich bewusst ist, dass die Ausstellung in punkto Inklusion nur ein erster Schritt sein kann. Man werde sich selbst evaluieren, doch solange es Menschen gebe, die über die Texte in Leichter Sprache sagten, das seien „Texte für Dumme“, sei es klar, dass man noch eine riesige Aufgabe zu bewältigen habe. Zum Ausklang kann man sich in am Boden liegende Kissen fläzen. – Ein Chill-Bereich, der an Kinderspielecken von Ikea erinnert.
Der Lauf des Lebens ist eine sinnliche Schau, die den Besuchern auf vielfältige Weise Werke aus der Sammlung der Villa Vauban präsentiert. Doch wenngleich das begleitende pädagogische Programm spezielle Führungen für Menschen mit einer Einschränkung sowie Führungen in deutscher Gebärdensprache vorsieht, so ist die Ausstellung noch weit davon entfernt, wirklich umfassend zugänglich für alle zu sein. Und dennoch: Mit dem teilweise gut umgesetzten inklusiven Ansatz schreitet die Villa Vauban in Siebenmeilenstiefeln voran und zeigt, welche Möglichkeiten es gibt, eine Kunstsammlung einem breiten, heterogenen Publikum zugänglich zu machen. Nicht zuletzt mit Blick auf die demografische Entwicklung bleibt zu hoffen, dass andere Museen dem Modell folgen werden.