Deutschland

Liebes Internet

d'Lëtzebuerger Land vom 14.07.2017

Einhörner. Katzen. Regenbogen. Das Internet ist ein Hort des Guten im Menschen und für den guten Menschen an sich – vor allen Dingen in den sozialen Netzwerken. Es gibt virtuellen Zuspruch, Streicheleinheiten, gepflegte Diskussionen und Debatten über Kontinente, Kulturen und Generationen hinweg. So lieb möge es sein. Das Internet. Doch in der elektronischen Welt mit all seiner Anonymität sieht es anders aus: Hass, Gewalt, Drohung und Verrohung nehmen überhand, so sehr, dass der deutsche Bundestag Ende Juni das sogenannte „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ beschlossen hat. Berlin sieht es als eine Blaupause für ähnliche Vorhaben in anderen europäischen Staaten. „Wir werden bei dem beobachtet, was wir hier machen“, sagte etwa die christdemokratische Rechtsexpertin Elisabeth Winkelmeier-Becker nach Verabschiedung des Gesetzes.

Das Gesetz mit dem sperrigen Namen – gerne auch abgekürzt als Facebook-Gesetz – war eine Herzensangelegenheit von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD). Es soll Hetze und Verleumdung in sozialen Netzwerken eindämmen und dazu Anbieter und Plattformen wie Facebook und Twitter in die Pflicht nehmen. Es sei eine „Grundsatzentscheidung für das digitale Zeitalter“, so Maas. Schließlich seien andere Medien auch gesetzlich verpflichtet rechtswidrige Inhalte zu unterbinden. Und was bei Fernsehen und Zeitung Recht ist, muss den sozialen Medien im Netz billig sein. Monatelang habe er versucht, so Maas vor der Abstimmung im Bundestag, Facebook zum eigenen Tätigwerden anzuhalten, nun sei der Zeitpunkt für gesetzliche Maßnahmen gekommen.

Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz zielt nicht auf einzelne Forenbeiträge oder Kommentare im Internet ab, sondern will ein wirksames Beschwerdesystem in den sozialen Plattformen etablieren. Bislang hatte sich etwa Facebook einer solchen Forderung verweigert. Künftig sollen sich Betroffene von Hass und Hetze bei festen Stellen in den Netzwerken melden und anschließend nachvollziehen können, was aus ihrer Beschwerde geworden ist. Offensichtlich rechtswidrige Inhalte müssen binnen 24 Stunden entfernt oder gesperrt werden. Zugleich sind diese für Beweiszwecke zu sichern. Für andere rechtswidrige Inhalte galt ursprünglich eine starre Frist von sieben Tagen, die jedoch nach den Beratungen im Rechtsausschuss des Bundestags flexibler geregelt wird. So kann diese Frist etwa dann überschritten werden, wenn weiterer Aufklärungsbedarf zu dem Fall besteht.

Darüber hinaus müssen die Betreiber vierteljährlich einen Bericht über ihren Umgang mit den Beschwerden veröffentlichen. Sollten sie gegen diese Pflichten verstoßen, drohen ihnen Bußgelder von bis zu 50 Millionen Euro. Für den Gesetzgeber spielt es dabei keine Rolle, dass Dienste wie Facebook, Twitter oder Instagram ihren Sitz im Ausland haben, denn die „Ordnungswidrigkeit kann auch dann geahndet werden, wenn sie nicht im Inland begangen wird.“ Zuständig dafür wird das Bundesamt für Justiz, das ein Gericht einschalten muss, bevor es Bußgelder verhängt. Doch damit nicht genug an Pflichten. Die Betreiber der sozialen Netzwerke müssen zudem zwingend einen Zustellungsbevollmächtigten benennen. Damit möchte das Gesetz dem Umstand Rechnung tragen, dass sich Nutzer und Behörden immer wieder daran scheitern, dass es keine klar erkennbaren und umgehend zu kontaktierenden Stellen gibt, an die sie sich wenden können und die für das weitere Verfahren verantwortlich sind. Gerade Staatsanwaltschaften klagen über bisher fehlende Kooperation.

Facebook kritisiert das Gesetz als „umfassend rechtswidrig“. In einer Stellungnahme wertete der Konzern die Regelungen als „unvereinbar mit dem Europarecht“. Die Bundesregierung „etabliert ein Modell für ein Gesetz zur Beschränkung der Meinungsäußerung“. Die Bußgelder seien „unverhältnismäßig“ und führten dazu, dass die Netzwerke eher löschten als Beiträge stehenzulassen. In diese Richtung geht auch die Kritik von Verbänden, die ein „Overblocking“ befürchten. Die EU-Kommission hatte allerdings grünes Licht gegeben, was selbst Maas überraschte. Das Gesetz enthalte in der Tat „Regelungen, die europarechtlich nicht unproblematisch sind“, sagte der Bundesjustizminister vor der Abstimmung. Bedenken meldete auch David Kaye an, der Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen für Meinungsfreiheit.

Kritik, die von der Regierung in Berlin nicht geteilt wurde. Die Opposition im Bundestag war unentschieden. Die Linke stimmte gegen das Gesetz. Den Betreibern von Netzwerken würden damit schwierige rechtliche Fragen und Entscheidungen übertragen, die sie nicht beantworten und treffen könnten, sagte etwa die parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion Petra Sitte in der Debatte. Die Grünen enthielten sich. Die Vorsitzende des Bundestags-Rechtsausschusses Renate Künast befürchtet die Einschränkungen für die Meinungsfreiheit. Schließlich sei es für Anbieter nicht klar erkennbar, welche Inhalte strafbar seien, was Meinung sei und was Straftatbestand. Als Beispiel führte sie den Post eines Nutzers ein, der über Künast geschrieben habe, er würde gerne ein „Enthauptungsvideo“ von ihr sehen. So etwas sei nach Auffassungen der Staatsanwaltschaften straflos, auch wenn es anders erscheinen möge. Verbraucherverbände fürchten, dass nun die Entscheidung über den manchmal sehr feinen Unterschied zwischen Meinungsäußerung und etwa Aufruf zur Straftat den sozialen Medien übertragen werde. Katzen, Einhörner und Regenbogen sind da weitaus unverdächtiger.

Martin Theobald
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