Leuchtraketen

Böllerwahn?

d'Lëtzebuerger Land vom 13.01.2012

Heute loben wir die Leuchtraketen. Das himmlische Spektakel in der Silvesternacht sollten wir zum Bürgerrecht erklären. Zwar spricht die Polizei ganz offiziell von „Böllerwahn“, aber diese arg verkürzte Version der Ereignisse wollen wir nicht gelten lassen. Die Polizei arbeitet leider immer mit Schablonen und Klischees. Alle Vorkommnisse, deren Feinheiten und tieferen Bedeutungen sie nicht erfasst, ordnet die Polizei sofort den Ordnungsverstößen und Ruhestörungen zu. Dabei ist die flächendeckende Feuerwerksbegeisterung zum Jahreswechsel nichts anderes als ein Zeichen, wie verantwortungsvoll der Bürger sich in seinem gesellschaftlichen Umfeld bewegt.

Was gibt es eigentlich zu kritisieren an dieser Massenbewegung, die mit Leuchtraketen ihren ausgeprägten Bürgersinn bekundet? Was soll der Vorwurf, hier würden binnen Minuten Unsummen verpulvert? Das entspricht doch genau der herrschenden Moral. Der leuchtraketenbewaffnete Bürger tut nichts anderes als beispielsweise sein Bankier oder sein Finanzminister. Er hat etwas gelernt von Wirtschaft und Politik, er setzt die Lektion geräuschvoll um. Er feuert einfach aus allen Rohren, bis die letzte Munition aufgebraucht ist. Auf einer höheren gesellschaftlichen Ebene heißt diese Tätigkeit Krisenmanagement. Warum soll dem Bürger verwehrt bleiben, was die Politiker und Wirtschaftskapitäne ihm vormachen?

Die Leuchtrakete ist das Symbol schlechthin unserer kapitalistischen Lebensordnung: zerplatzende Träume am Nachthimmel. Schön farbig, extrem bunt, aber leider nur von sehr kurzer Dauer. Und danach herrscht tiefste Finsternis. Wir sollten übrigens auch die akustische Qualität des Feuerwerks nicht unterschätzen. Es knallt einfach wunderbar. Das hat die Leuchtrakete den faulen Bankkrediten voraus. Die verpuffen lautlos im Nirgendwo. Milliarden und Abermilliarden Euro verschwinden einfach, ohne die geringste Spur zu hinterlassen. Die Wirtschaft ist bedauerlicherweise phantasielos und geizt dramatisch mit volksfreundlichen Effekten.

In der Tat: warum knallt das Geld nicht, wenn es platzt? Haben wir Bürger es nicht verdient, wenigstens zu hören, wenn unser Erspartes in die Grube fährt? Wozu diese haarsträubende Diskretion? Wenn schon ein ganzes System auf der sinnlosen Vernichtung von Geld aufbaut, muss doch nicht auch noch der Spaßfaktor dran glauben. Man verschummelt doch nicht sang- und klanglos Unmengen an Kapital. Das lässt sich doch spektakulärer inszenieren. Ab einer Million verpulverter Euro könnte es doch krachen und donnern. Da käme doch wenigstens Freude auf in unseren kargen Hütten. Der landläufige Geräuschpegel würde steigen und steigen. Wo Lärm ist, da ist Leben. Oder sind die Banken schon so knauserig, dass sie sich nicht einmal mehr einen ordentlichen Knallmeister leisten mögen? Bei jeder versauten Million eine prächtige Leuchtrakete abfeuern: das wäre das ewige Feuerwerk, die unendliche Volksbelustigung.

Von „Böllerwahn“ würden wir in diesem Fall nicht reden, soviel können wir versprechen. Nein, nein, wir würden die ästhetische Verbesserung der Krise vollauf genießen. Es wäre übrigens eine posthume Reverenz an unser zerstörtes Geld. Wenigstens ginge es nicht unbemerkt von dannen. Zu jeder Bestattung gehört die Trauermusik. Je wichtiger der Verblichene, umso pompöser die Abschiedsfanfare. Also, werte Herrschaften von der Bank: ihr habt doch noch euer Eingemachtes. Da werden doch wohl ein paar lumpige Euro für das volksnahe Klangerlebnis herausspringen.

Mit verstärktem Feuerwerkszauber ließe sich übrigens auch der kommende europäische Bürgerkrieg einüben. Man muss die Leuchtraketen nur ein bisschen effizienter einsetzen. Warum die zischenden Leuchtkörper in der Silvesternacht nicht mal zielgenau auf seine Nachbarn richten? Nur zum Spaß natürlich, als eine Art Ausweitung der Feierlaune. Nicht lebende Objekte sollte man visieren, wir sind ja hier nicht bei der Polizei und ihrem „Ballerwahn“, nein, es genügt, Hausfassaden anzupeilen oder Briefkästen. Die Wirkung wird nicht auf sich warten lassen. Bald geht es in den Dörfern zu wie auf dem Balkan. Ein Schießen und Knallen in allen Gassen und Winkeln, ein allgemeines Hauen und Stechen, eine funkensprühende Begleichung alter Rechnungen. So beginnen die großen Schlachten, die später in den Geschichtsbüchern verewigt werden. So könnten wir uns alle ein verkohltes Denkmal setzen.

Was ist schon ein gesprengter Briefkasten in einem luxemburgischen Dorf gegen ein gesprengtes Stadtviertel in einem ganz realen Bürgerkriegsland? Wir befinden uns hier immer noch im Spaßbereich. Briefkästen lassen sich schnell ersetzen. Tag für Tag werden neue Modelle angeboten. Wir sollten wirklich nicht kleinlich sein und uns nicht maßlos aufregen über ein paar verbrannte Postsendungen. Ohnehin stapelt sich in unseren Briefkästen nichts Erfreuliches. Die neueste Mahnung vom Steueramt werden wir doch wohl nicht vermissen. Wir wissen doch: mit unserem Geld wird der Staat wieder nur Unfug anstellen. Also können wir es auch gleich in die Luft jagen.

Guy Rewenig
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