Tanz

Wir sind Andrea

d'Lëtzebuerger Land vom 22.11.2019

Sie möge Ironie im Tanz, hat Simone Mousset einmal in einem Interview gesagt. Und ironisch-absurd ist das neue Stück der Luxemburger Choreografin, die 2017 den Lëtzebuerger Danzpräis gewann, allemal. In The Passion of Andrea 2 stehen drei Männer (Luke Divall aus Großbritannien, Lewys Holt, ebenfalls Brite, und Mathis Kleinschnittger aus Deutschland) auf der Bühne, verrenken sich in alle Richtungen und laufen imaginäre Linien unter einem Himmel voller farbenfroher Riesen-Ballons. Sie summen und brummen, reden und singen in drei Sprachen. Um dann wieder von vorne zu beginnen.

Alle drei heißen Andrea, und so hieß auch das Stück, das sozusagen die Vorlage und den Aufhänger für diese Fortsetzung der Leidensgeschichte von Andrea liefert. Anhand der in holprigem Französisch, auf Englisch und in verballhorntem Luxemburgisch mal gesprochenen, mal gesungenen Einlassungen wird klar: Alle drei hatten darin eine Rolle und wollen an den Erfolg anknüpfen, indem sie Elemente daraus re-inszenieren. Wobei unklar ist, ob es sich dabei um ein Musical oder ein Tanzstück handelt.

Wahrscheinlich war es eine frühere Arbeit Moussets, die sie unter anderem mit dem aus Albanien stammenden, heute zwischen Luxemburg und Berlin lebenden Tänzer Andrea Rama im Rahmen des Nachwuchs fördernden TalentLab begonnen, aber nie fertiggestellt hat. The Passion of Andrea 2 ist wie ein verschmitztes selbstironisches Augenzwinkern, die unterbrochene Zusammenarbeit nicht aus dem Lebenslauf auszuradieren, sondern daraus Elemente aufzugreifen und weiterzuentwickeln. Das Publikum bekommt ebenfalls eine Rolle zugeteilt, denn die drei Andrea-Versionen geraten in Konkurrenz, der Streit eskaliert, einer „tötet“ den anderen im Spiel, die Szene beginnt wie in einer Endlos-Schleife wieder von vorne – immer dann, wenn es dem in drei Gruppen unterteilten Publikum nicht gelingt, den ihr jeweils zugeteilten Andrea per Zuruf vor dem Todesschuss zu warnen und so zu „retten“.

Im Trailer zum Stück erklärt Mousset, die Wahl dreier männlicher Tänzer sei Zufall gewesen. Sie seien von ihr wegen ihrer überzeugenden Darbietungen ausgewählt worden. Für Mousset sind wir alle Andrea mit unserer jeweiligen persönlichen Passionsgeschichte, wobei ihr Blick, bei allen burlesken Verrenkungen, allen Ausrutschern und geraden bis schiefen Tönen, immer ein ironischer, ein leichter ist – und nie religiös. Nicht nur bei den Proben wurde herzlich gelacht, auch das Publikum im Studio des Grand Théâtre amüsierte sich sichtlich.

Dabei macht die absurde Performance als Männerstück mehr Sinn: die kumpelhaften Annäherungen, die Selbstverliebtheit und die Geltungssucht, die so weit gehen, dass der eben noch als Freund Umarmte plötzlich als Konkurrent verraten und dann symbolisch erschossen wird. Gewalt als (Auf-)Lösung eines Streits, um eine (bessere) Position im Gefüge zu erzwingen – Mousset greift Elemente (zugespitzter) Interaktionen auf, die patriarchale Strukturen prägen und die erst aus der (sicheren) Distanz in ihrer Absurdität erkennbar werden und zu belächeln sind.

Wie in der Filmkomödie Groundhog Day wiederholt sich die immer gleiche Szene, bis die Geste eines Tänzers, das kann eine Verweigerung oder Neuinterpretation sein, die Routine sprengt und die Situation eskaliert – um dann doch im selben Muster steckenzubleiben. Es gibt keinen Ausweg, kein Entrinnen aus der tragikomischen Passionsgeschichte. Mehr Plot ist aber nicht.

Das ist zugleich das Problem des Stücks. Anders als beim Tanzstück Bal, Simone Moussets Geniestreich von vor zwei Jahren, der ihr zu Recht viel Lob und Anerkennung brachte und wofür sie die Herstellung und Verbreitung von Fake News ironisch aufs Korn nahm (und die Luxemburger Kulturkritik gleich mit), bleibt sie mit The Passion of Andrea 2 an der Oberfläche.

Oder versucht sie mit dem absurd-surrealen Plot sich dem Erfolgsdruck, der auf ihr als einer der vielversprechendsten Choreografinnen hierzulande lastet, zu verweigern? Und sich von hochfliegenden Erwartungen ironisch zu distanzieren? Tänzerisches Können ist in The Passion of Andrea 2 allenfalls am Rande zu sehen, als lustiges Zitat aus einem Stück, das das Publikum nicht überprüfen kann. Weil es das nie gab. Ines Kurschat

The Passion of Andrea 2 von Simone Mousset, mit Luke Divall, Lewys Holt, Mathis Kleinschnittger; Kostüm und Bild: Lydia Sonderegger, Licht: Alberto Ruiz, Seth Rook Williams, Dramaturgie: Thomaus Schaupp, Produktion: Vasanthi Argouin, et al. Derzeit keine weiteren Vorstellungen

Ines Kurschat
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