Sophie Mousel hat das Café Nummer 12 in ihrem Heimatstädtchen Diekirch als Treffpunkt vorgeschlagen. Die Schauspielerin lebt seit 2011 in Paris, derzeit im belebten und politisch linken zwanzigsten Arrondissement, und pendelt für Theater- und Filmprojekte immer wieder nach Luxemburg. Die Sommerzeit nutzt sie, um Kindheitsfreunde wiederzusehen, um Sport zu machen, um zur Ruhe zu kommen. Sie erscheint in blauer Yankees-Kappe, die Haare nach hinten gegelt, trägt eine sommerlichen Bluse und Ray-Bans und bestellt einen Eistee.
Ihre großen, stahlblauen Augen und hohen Wangenknochen verleihen ihr ein unverkennbares, ernsthaftes Gesicht. Die Rollen, in denen man sie zuletzt auf der Bühne und auf dem Bildschirm sehen konnte, hatten etwas Kampfbereites, Kompromissloses („un côté plus rock, plus dark“, wie sie sagt). In Elena, der beeindruckenden Inszenierung von Myriam Muller am Großen Theater, spielte sie mit Bravour die Figur der Katia, einer jungen Frau mit dickem Panzer, die sich philosophisch mit der conditio humana auseinandersetzt und zu harten Schlussfolgerungen kommt. In schwarz gekleidet, mit einem Hoodie über dem Kopf, sinniert sie über den menschlichen Egoismus und das knallharte Überleben. In Läif a Séil, dem ersten luxemburgischen Western, verkörperte sie die rachsüchtige Hélène/Oona. Die Rolle, die ihr via Netflix internationales Anerkennen einbrachte und für die sie 2021 den Luxemburger Filmpreis für die beste weibliche Schauspielleistung erhielt, ist die der jungen Polizeiagentin Elsa Ley in den beiden Staffeln der Serie Capitani (sie sei „eng vun de Revelatioune“ der Serie, urteilte das Land 2019).
Sophie Mousel wuchs in Diekirch als Tochter einer Kunstlehrerin und eines Gemeindesekretärs mit einem älteren Bruder auf. Mit sechs Jahren begann sie, Klavier zu spielen, wurde unter anderem vom Organisten Maurice Clement unterrichtet. Sie hörte auf, obwohl eine Karriere als Pianistin eine Möglichkeit gewesen wäre. „Ich habe gemerkt, dass Musik mir liegt, aber ebenfalls gespürt, dass es keine Berufung ist.“ Mit 15 Jahren entdeckt sie das Schultheater, das sich damals unter der Leitung von Bob Flammang und Hubert Bauler einen Namen im Land gemacht hat. Sie übt sich als Kriegstreiber Demokos in Giraudoux’ La guerre de troie n’aura pas lieu, spielt Pantomime.
Heute sagt sie, das Schultheater des LCD habe sie „aufgeweckt“, doch eine professionelle Laufbahn sei damals keine Option gewesen. Stattdessen erwägt sie ein konventionelles Studium der Lettres modernes, um später in Luxemburg zu unterrichten. Sie zieht in die französische Hauptstadt, besucht die Sorbonne. Es ist ihre Mutter, die ihr vorschlägt, den Schauspielkursen des Cours Florent einen Besuch abzustatten. Sie ist begeistert und fokussiert sich fortan auf die Schauspielausbildung. Seit ihrem Abschluss spielte sie Tschechow, Racine, Marivaux in den Theatersälen des Landes – unter der Regie von Myriam Muller, Laurent Delvert, Anne Simon.
Diesen Sommer stand sie für die neue Serie Droneland an der Seite von Oliver Masucci und Mark Limpach in Polen, den Niederlanden, Deutschland und Luxemburg vor der Kamera. Sie spielt darin eine zielstrebige Europol-Agentin, die gemeinsam mit ihren Kollegen zu einem Mord im Europaparlament ermittelt. Das ambitiöse Projekt – 15,2 Millionen Euro, vier Drehländer – (d’Land, 31.07.2025) zeigt genauso wie Elmar Ivanovs Film Der Kuss des Grashüpfers, der auf der diesjährigen Berlinale Premiere feierte, ihre Bemühungen, neben Französisch und Luxemburgisch auch auf Deutsch zu spielen und ihre internationale Karriere weiter auszubauen. Im Englischsprachigen Raum war sie in der japanisch-amerikanischen Serie Drops of God zu sehen und in der Paramount-Serie NCIS Tony & Ziva.
Sie boxt und spielt Tennis. Sie mag explosive Sportarten, sagt sie, in denen sie sich auspowern könne. Der Sport helfe ihr, Selbstvertrauen aufzubauen – sie suche die Herausforderung, die Stimulation. Dabei wirkt sie vielleicht stärker, als sie es in manchen Situationen ist. In einem Beitrag zur diesjährigen Berlinale filmte RTL sie beim Make-up-Termin. Zur Präsenz auf dem Festival sagte sie: „Man kommt als fragiler Künstler zum Festival und muss die Rolle der stolzen, selbstvertrauten Person spielen. Es gibt eine Diskrepanz zwischen dem, was man von außen sehen kann und was wir innendrin empfinden: Stress, Angst, Überstimulation. Das Ganze ist nichts, was jemand einem beibringt, sondern man lernt es.“ Fake it till you make it.
Sie sei sich nicht sicher, ob Paris noch die richtige Stadt für sie sei, erzählt sie. Das Hin-und-Hergereise zwischen den Drehorten sei ermüdend. Es klingt fast so, als sei sie bereit für den ruhigeren Lebensstil, den Luxemburg symbolisiert. Dabei würde sie sich wenig nach vorne projizieren. „Ich gucke, wo ich lande, was kommt.“ Ein Teil der Millennials, der privilegierte, der die Welt beruflich sowie privat bereist hat, stellt sich die Frage der Wahlheimat und der Heemecht stärker als die Elterngeneration oder gar die Kriegsgeneration davor. „Ich fühle mich schon so, als sei ich von hier“, sagt sie, auch wenn die Rückkehr in die dörflichen Straßen der Kindheit und Jugend immer gleichzeitig etwas seltsam sei. Viele, die weggingen, haben auch etwas „weggedrückt“, meint sie. Einer unserer Komplexe könnte sein, dass wir verwöhnt, etwas kleinkariert und provinziell seien – sie denkt an eine Szene aus Flauberts Madame Bovary, in der er die vertratschte Dorfgemeinschaft beschreibt. „Es ist an dieser Generation, von außen Neues einzubringen“, sagt die 34-Jährige. Sie wechselt kurz ins Französische, wenn sie einen Punkt machen will oder sich über etwas aufregt. Als gute Gesprächspartnerin entwickelt sie eine Unterhaltung, statt sich lediglich auf das Antworten von Fragen zu beschränken. Sie zeugt von Neugier.
Hubert Bauler, Französischlehrer im Ruhestand, der sie in den Sekundarschuljahren bei Theaterprojekten begleitete, erinnert sich an den hohen Anspruch, die Disziplin und die Selbstkontrolle, die sie von den anderen Gleichaltrigen unterschied. Sie sei morgens die erste bei den Proben gewesen und die letzte, die ging. Auch Luc Schiltz, der den titelgebenden Ermittler in Capitani spielte, attestiert ihr Zielstrebigkeit. Sie wisse genau, was sie bei einer Einstellung machen wolle, und setze alles daran, dieses Resultat auch zu bekommen. Sie sei zerebral, bereite sich minutiös vor und stelle auch Details infrage. Und dann, wenn man es am wenigsten erwartet, blitze ihr Sinn für Humor auf. „Ich will immer mehr“, sagt Sophie Mousel im Gespräch, „nicht, weil ich nicht mit etwas zufrieden sein könnte, sondern weil man sonst nur an 10 Prozent seines eigenen Selbst herankommt“. Was internationale Regisseur/innen angeht, würde sie – „aiming high“ – gerne eines Tages mit Justine Triet (L’anatomie d’une chute), Georgia Oakley (Blue Jean), Ruben Östlund (The Square, Triangle of Sadness), Joachim Trier (Sentimental Value) oder Jonathan Glazer (The Zone of Interest, Under the Skin) zusammenarbeiten.
In der Vergangenheit lieh sie Samsung, Activia und zuletzt Audi ihr Gesicht für Werbezwecke. In einem Podcast von Losch sieht man sie eine halbe Stunde mit einem Elektro-
audi durch die Hauptstadt fahren, während sie mit dem Host und Sänger Andrea Galleti über Capitani, die Ruhe von Elektroautos und Gott und die Welt spricht. Geld muss frau eben auch mal verdienen. Mittlerweile sei sie vorsichtiger geworden, was Werbung angeht. Immerhin könnte sich ein paar Jahre später herausstellen, dass die Firma irgendwo Kinder ausbeutet.
Wenn es darum geht, über das Frausein im Showbusiness zu sprechen, sucht sie eine Weile nach den richtigen Worten. Ihr falle auf, dass traditionell eher von Frauen besetzte Filmdomäne wie Make-Up und Kostüm zum Teil weniger ernst genommen würden. Dass Augen verdreht werden, wenn das Make-up kurz verbessert wird, nachdem man vorher dreißig Minuten das Licht perfektioniert hat. Auch gibt es regelmäßig Verhaltensweisen von ein bis zwei Männern in der Branche, die sie als „narzisstisch, toxisch und manipulativ“ einstuft. Nicht immer käme man aufgrund der wechselseitigen Abhängigkeit dagegen an. Namen verrät sie nicht, das sei „nicht von Interesse“. Man müsse sich „eine gewisse Bestimmtheit“ aneignen, sagt sie. Sie berichtet von Momenten, in denen sie bewusst den Mund aufgemacht hat, zum Beispiel, wenn es um einen unangebrachten Umgang mit anderen Frauen ging. Etwas später erzählt sie von einem Vorfall, in dem ein Schauspielkollege ihr an ihrem eigenen Körper noch einmal zeigen wollte, wo er den Leistenbruch genau erlitten hatte. Sie durchblickte sein Spiel, sagte jedoch nichts. „Ich bin nicht die, die sich direkt äußert.“
Im Juni unterschrieb Sophie Mousel mit mehr als 100 anderen Personen des öffentlichen Lebens (u.a Vicky Krieps, Jean Asselborn, Guy Rewenig, Luc Heuschling) einen offenen Brief für einen sofortigen Waffenstillstand in Gaza. „Der politischste Mensch bin ich nicht. Es war einfach, meinen Namen darunterzusetzen. Ich müsste mich mehr einarbeiten, um stärker Position beziehen zu können. Ich finde es jedoch wichtig, als Künstler Haltung zu zeigen.“
Für ihre Rollen erstellt sie oft musikalische Playlists, die sie in das Universum ihrer Figuren versetzen. Am Set setzt sie dann Kopfhörer auf, wenn sie Ruhe braucht und sich abschotten will, und hört sich hinein. Bei manchen Songs, die sie später wieder hört, taucht die Rolle wieder in ihr auf. Für Elsa Ley etwa war es der Soundtrack der britischen Krimiserie Broadchurch, der vom isländischen Musiker Ólafur Arnalds komponiert wurde. Auch musikalisch betätigt sie sich. Im November 2024 brachte sie die EP Solitude is fine unter dem Künstlernahmen Somou heraus: ätherische, melancholische Musik mit Ambient-Stimmung und Klaviereinlagen, die stellenweise an Soap&Skin erinnert. Auf zwei der sechs Lieder hört man sie singen: „We’re marching alone / to where we think we belong“. Auch ihre Musik klingt wie ein Soundtrack. Für welchen Film? „Auf jeden Fal ein verträumter Indie-Streifen. Vielleicht so etwas wie The Eight Mountains von Felix van Groeningen.“ Sophie Mousel verabschiedet sich, sie muss zum Sport.