In seiner Sitzung vom 25. April hieß der Regierungsrat nicht nur entsprechend dem Gesetz von 1989 die Bilanz der Sparkasse gut, sondern gestattete auch der Staatsbank eine Senkung ihrer Zinsen für Sparbücher und Wohnungsbaukrediten. Als Reaktion auf die Zinssenkungen der Europäischen Zentralbank vom 10. März gewährt die Sparkasse deshalb seit dem 1. April auf ihren Sparbüchern 0,05 Prozent Zinsen. Zu dem Basiszinsfuß können im Laufe des Jahres je 0,15 Prozent Treueprämie und Sparprämie auf Teilen des Sparguthabens hinzukommen. Auf den Sparkonten werden bis zu einem Guthaben von 250 000 Euro 0,20 Prozent gezahlt, darüber hinaus bis fünf Millionen Euro 0,10 Prozent und über fünf Millionen Euro zahlt die Sparkasse gar keine Zinsen mehr, sie kassiert, bei einer vom Statec im März errechneten Jahresinflationsrate von 0,05 Prozent, also real Negativzinsen.
Die Europäische Zentralbank hatte am 10. März ihren Leitzins für die Hauptrefinanzierungsgeschäfte des Eurosystems auf null gesenkt. Banken, die der Zentralbank Geld überweisen, bekommen keine Zinsen mehr, sondern müssen nunmehr 0,4 Prozent Zinsen zahlen. Außerdem beschloss die Zentralbank, noch mehr öffentliche und private Schuldverschreibungen zu kaufen. Um gegen das anhaltend schwache Wirtschaftswachstum und das steigende Deflationsrisiko anzukämpfen, versucht sie mit dem Mut der Verzweiflung, Geld in die Banken und Unternehmen zu pumpen. Aber der Erfolg ist bisher bescheiden, weil weit mehr Kapital brach liegt, als die Unternehmen mangels Nachfrage gewinnversprechend investieren können, sowie die niedrigen Erdölpreise desinflationär wirken.
Die Politik der Europäischen Zentralbank wird international viel diskutiert, weil sie widersprüchliche Interessen unterschiedlich bedient und sich nicht immer mit den Lehrbuchmeinungen deckt, die seit Jahren in der Öffentlichkeit verbreitet werden. Während sie die Schuldzinsen hochverschuldeter Staaten und Unternehmen des Euro-Raums senkte, wird sie in Deutschland, das mit seinem Handelsbilanzüberschuss die Euro-Krise provozierte, dafür kritisiert, dass sie die Erträge der Geldbesitzer verringert. Auch wenn sie die Habenzinsen immer schneller als die Sollzinsen senken, klagen viele Banken darüber, dass der Spielraum für Zinsmargen, ihr Grundgeschäft, verschwindet.
Umso überraschender ist – nicht zuletzt angesichts der Bedeutung des Finanzplatzes und der Anwesenheit von gleich zwei Luxemburgern im 25-köpfigen EZB-Rat – wie wenig hierzulande die Politik der Europäischen Zentralbank diskutiert wird. Finanzminister Pierre Gramegna (DP) lobte wiederholt in Interviews mit ausländischen Wirtschaftsdiensten den Präsidenten der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, dafür, dass er „das Richtige“ tue und „eine ausgezeichnete Arbeit“ leiste, und nahm ihn so implizit gegen die Anfeindungen aus Deutschland in Schutz. Am 4. September vergangenen Jahres hatte Pierre Gramegna gegenüber Bloomberg TV erklärt, dass die „quantitative Lockerung“ der Europäischen Zentralbank „den erwünschten Effekt“ habe und „ganz bestimmt kompatibel“ mit der Geldpolitik der US-Zentralbank sei. Aber zu Hause stoßen solche Aussagen kaum auf Widerhall.
Als vor vier Monaten der Entwurf des Staatshaushalts für 2016 im Parlament diskutiert und verabschiedet werden sollte, war die Politik der Europäischen Zentralbank kein Thema. Sowohl in den Budgetdokumenten wie in den Gutachten wurde sie bestenfalls nebenbei im Zusammenhang mit dem staatlichen Schuldendienst erwähnt. Die Handelskammer stellte fest: „Le taux d’inflation est repassé en territoire négatif en septembre, à -0,1%, malgré la politique de quantitative easing opérée par la BCE depuis le début de l’année, censée permettre de garder une inflation proche de 2%.“ Die Salariatskammer erwähnte eine mögliche Deflationsgefahr. Der Rechnungshof kritisierte die Regierung für ihren Optimismus, von einem weiteren Rückgang der Zinsen auszugehen. Der Finanzminister hatte dagegen im Oktober in seiner Haushaltsrede gewarnt: „Man soll sich von den gegenwärtig niedrigen Zinsen nicht täuschen lassen. Die Zinssätze werden steigen und damit auch das Gewicht der Schuld im Haushalt.“ Offenbar redet die Politik nicht gerne über Geldpolitik, weil sie den nützlichen Schein der Unabhängigkeit der Zentralbanken nicht trüben und nicht auf ihre Widersprüche eingehen will: der Widerspruch zwischen einer Zentralbank, die mit zinslosem Kapital die Konjunktur ankurbeln will, und einer europaweiten Haushaltspolitik, die mit ihrer Austerität die Nachfrage abwürgt; der Widerspruch zwischen dem Kampf gegen die Deflation und dem ständigen Schüren von Inflationsängsten zur Verhinderung von Lohnerhöhungen.
Unterdessen macht sich die Presse weitgehend zur für Wirtschaftskompetenz gehaltneen Interessenvertretung der deutschen Exportindustrie. Über die Leitzinssenkung der Europäischen Zentralbank auf null Prozent berichtete das Luxemburger Wort mittels eines deutschen Agenturbericht, der nur deutsche Bankensprecher mit deren gewohnten Zentralbankkritik zitierte, als gäbe es nicht noch 18 andere Euro-Staaten. Das Tageblatt warnte am 11. März: „Zu viel des Guten. Die Dosis macht das Gift.“ Und das Lëtzebuerger Journal moralisierte: „Finanzminister klammer Länder dürfte indes freuen, dass die EZB noch massiver Staatsanleihen kauft und den Zins de facto abgeschafft hat. Für manche gute Argumente, Reformen wieder auf die lange Bank zu schieben [...].“ Ohne sich für die volkswirtschaftlichen Konsequenzen zu interessieren, hatte sich der CSV-Abgeordnete Laurent Mosar einen Tag nach der Zinssenkung zum Sprecher der Sparer und Eigenheimbesitzer gemacht und wollte in einer parlamentarischen Anfrage wissen, ob die Regierung die Banken ermahne, ihre Darlehenszinsen ebenfalls zu senken. Außerdem fragte er, wie die Regierung reagieren werde, falls die Banken Negativzinsen auf den Kundeneinlagen verrechneten. Finanzminister Pierre Gramegna antwortete lediglich, dass – mit Ausnahme der Sparkasse – die Festsetzung des Zinsfußes Geschäftspolitik der Banken sei.