Europäische Ratspräsidentschaft

Dänemark übernimmt das Steuer

d'Lëtzebuerger Land vom 06.01.2012

Man kann ins Fettnäpfchen treten oder Bella figura machen; den Lauf der europäischen Politik bestimmen, das kann man nicht. Dänemark hat offiziell die aktuelle sechsmonatige EU-Ratspräsidentschaft übernommen, sein Programm stellt es diesen Freitag vor. Das kleineste skandinavische Land übernimmt den Stab von Polen und wird ihn Ende Juni an Zypern übergeben. Der Bruch mit England und die Lösung der Euro-Schuldenkrise werden die Agenda bestimmen. Für eigene Initiativen bleibt keine Zeit.

Das hatte schon Polen feststellen müssen. Es wollte sich vordringlich um die gemeinsame europäische Verteidigung kümmern und um die östlichen Nachbarn. Beides sind wichtige, aktuelle Themen, die zudem miteinander verknüpft sind. Man denke nur an die Nato-Raketenabwehr, die die Europäische Union vor vollendete Tatsachen stellt und ihr Verhältnis zu Russland und anderen osteuropäischen Staaten verändern wird. Für beide Themen war kein Platz. Der arabische Frühling und die Euro-Schuldenkrise haben Polen zu sehr in Atem gehalten.

Es ist nun keineswegs so, dass Dänemark die unerledigten Themen von Polen übernehmen wird. Es hat sich, natürlich, eine eigene Agenda gesetzt: ein verantwortliches Europa, ein dynamisches Europa, ein grünes Europa und ein sicheres Europa. Zur Wirtschaft, grünem Wachstum, Nachbarn und die Welt, Sicherheit und Gemeinsamer Markt hat die dänische Regierung jeweils ein kleines Filmchen auf Youtube veröffentlicht. Wer reinschaut, hat schon Mühe, den ersten Trailer bis zum Ende anzusehen, so voller Gemeinplätze ist er. Macht alles nichts. Das Wichtigste für die dänische Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt ist es sowieso, das jeweils eigene Haus in Ordnung zu bringen. Das einzig europäische daran sind die Leitlinien, nach denen das geschehen soll. Die wiederum stammen aus keinem europapolitischen, sondern lediglich aus einem wirtschaftspolitischen Drehbuch. Man gehorcht der Not. Wenn noch ein bisschen mehr Integration dabei herauskommt, umso besser.

Mehr Integration ist nicht das Ziel Dänemarks. Es ist neben Großbritannien das Land mit den meisten Opt-outs der EU. Vielleicht hilft das Dänemark, besser zwischen England und den Eurostaaten zu vermitteln. Man versteht die Engländer in Dänemark europapolitisch besonders gut. Um dieses Verstehen in realpolitischer Überraschungen ummünzen zu können, dafür fehlt es Dänemark jedoch an Macht. Das Land hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten vor allem selbst genügt. Die angekündigte Wiedereinführung von Grenzkontrollen für das Schengenland in 2011 ist unvergessen. Erst ein Regierungswechsel hat das Land zurück auf die europäische Spur geführt.

Vielleicht würde es Europa viel mehr nützen, wenn Dänemark die eigene Rolle, die es in der EU spielt, einmal genauestens untersuchen würde. Es ist nicht im Euro, aber die dänische Krone bewegt sich in einem engen Wechselkursband zum Euro. Das heißt in der Praxis, man ist dabei, nur unter eigener Flagge und ohne Mitspracherecht. Es ist Teil des Schengenraums, kann sich aber jeglicher gemeinsamer europäischer Justizpolitik widersetzen. Ein Europa à la carte ist lange der rote Faden dänischer Europapolitik gewesen. Man wollte den gemeinsamen Markt, aber nicht den deutschen Grenzgänger, der sich eine eigene Immobilie am Strand kauft. Die Euro-Schuldenkrise sollte allen Dänen klargemacht haben, dass es damit nun vorbei ist.

Dänemark hat Gelegenheit, Flagge zu zeigen. In seine Präsidentschaft fällt der 20-jährige Geburtstag des Gemeinsamen Marktes. Mit EU-Kommissar Michel Barnier hätte das Land einen starken Verbündeten für eine wirtschaftspolitische Initiative, die über Haushaltssanierungen hinausgeht. Zugleich muss es die finalen Budgetverhandlungen für den mehrjährigen Finanzrahmen so vorbereiten, dass es bei den Verhandlungen in der zweiten Jahreshälfte nicht zu einem unappetitlichen Showdown kommt. Letzteres ist eine Herkulesaufgabe, denn es die Budgetverhandlungen enthalten die Sollbruchstelle für einen Austritt Großbritanniens aus der EU. Schon vor sieben Jahren hat das britische Beharren auf einem überkommenen Rabatt die EU an den Rand des Scheiterns gebracht. Dieses Mal werden schon die Messer gewetzt. Es gibt nicht wenige, die David Cameron bei dieser Gelegenheit sein Abstimmungsverhalten zur Vertragsänderung heimzahlen wollen.

Ungarn, Polen, Dänemark, Zypern, Irland, Litauen, Griechenland, Italien ..., das ist die Reihe der EU-Präsidentschaften. Seit der Rat einen ständigen Präsidenten hat, ist sie noch unwichtiger geworden. Statt eine solche Präsidentschaft mit eigenen Initiativen zu überladen, sollten die jeweiligen Ländern das vorwiegend symbolische Amt viel stärker innenpoltisch nutzen. Die Rolle der EU für Dänemark muss im Land einer traditionell europaskeptischen Bevölkerung breit diskutiert werden. Das wäre die vornehmste Aufgabe der neuen sozialdemokratischen Regierungschefin. Sie ist dafür prädestiniert, denn sie hat ihre politische Karriere als Europaabgeordnete begonnen. Es bleibt zu hoffen, dass sie mehr zu sagen hat, als in den Youtube-Filmchen angedeutet wird.

Christoph Nick
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