Fallbeispiel Als die CSV 2013 auf der Oppositionsbank Platz nehmen musste, suchte ein Mann das Weite: Luc Frieden. Der langjährige Finanzminister konnte sich mit den Niederungen des parlamentarischen Alltags nicht anfreunden: „Das war mir alles zu negativ“, sagte er in einem Interview mit RTL. Also öffnete er sein prall gefülltes Adressbuch und arbeitete an einem Wechsel von der Politik in die Privatwirtschaft. Im Juli 2014, also etwas mehr als ein halbes Jahr nach dem Ausscheiden aus dem Regierungsamt, gab der frühere Finanzminister des größten Private-Banking-Finanzplatzes der Eurozone bekannt, zukünftig im Dienst der Deutschen Bank in London zu stehen. Das sorgte kurzzeitig für Aufregung, das Problem eines Interessenkonfliktes stand im Raum. Aber es gab nichts, was den früheren CSV-Minister an seinen Plänen hätte hindern können. Denn der Verhaltenskodex für Minister (Code de déontologie), der noch unter CSV-Justizminister François Biltgen ausgearbeitet worden war, trat erst in Kraft, nachdem die CSV-LSAP Koalition bereits Geschichte war. Also blieb es im persönlichen Ermessen des früheren Ministers, über seine berufliche Zukunft zu entscheiden. Das klang so: „Nach reiflicher Überlegung bin ich zur Überzeugung gelangt, dass sich das Problem der Deontologie in meinem Fall nicht stellt, dies umso mehr, da ich ins Ausland wechsele.“ (Luxemburger Wort, 19.09.2014)
Die Woxx sprach damals wie andere Medien auch von einem „regelrechten ,cas de figure’ eines Interessenkonflikts“. Allerdings war es nicht der einzige fliegende Wechsel eines Regierungsmitglieds in die Wirtschaft in der jüngeren Vergangenheit Luxemburgs. LSAP-Politiker Jeannot Krecké war 2012 in einem ähnlichen Fall und stand unmittelbar nach seinem Rücktritt als Wirtschaftsminister im Dienst von mehreren Unternehmen, darunter der Verwaltungsrat von Arcelor-Mittal, der East-West United Bank sowie dem Seebaggerunternehmen Jan De Nul. Und auch ein aktueller Minister liebäugelt ganz offen mit einem fliegenden Wechsel: Etienne Schneider. Der einstige Hoffnungsträger der LSAP war damals Nutznießer von Kreckés Rückzug. Schneider übernahm den Ministerposten seines Ziehvaters und war zentraler Akteur der Bildung des bis heute bestehenden Dreierbündnisses. Manche sagen, er sei gar der eigentliche „Macher“ der Koalition.
Karenzzeit Schneider hat dabei nie einen Hehl daraus gemacht, dass er sein Schicksal nicht an die Politik koppelt. Die Frage nach der Mandatsbegrenzung von zehn Jahren im Referendum von 2015 war seine Idee. Und so war es auch wenig überraschend, als er unlängst ankündigte, sein Regierungsmandat nicht zu Ende führen zu wollen. Während hinter seinem Rücken bereits ein Machtkampf um seine Nachfolge als Wirtschaftsminister geführt wird, den Land-Informationen zufolge Franz Fayot für sich entscheiden konnte, hat Schneider den genauen Zeitpunkt seines Abgangs sowie seine beruflichen Pläne noch nicht mitgeteilt. Kreckés Mandat als Regierungsvertreter im Verwaltungsrat von Arcelor-Mittal endet dabei im Frühjahr 2020. Den naheliegenden Schluss, dass Schneider den Pfaden seines einstigen Mentors folgen könnte, dementiert der scheidende Minister klar und deutlich.
Für Transparenzorganisationen ist das Verhalten von Schneider grenzwertig. Wer schon in der Zeit als Politiker einen Posten in der Wirtschaft anstrebt, laufe Gefahr, seine Entscheidungen zu Gunsten des neuen Arbeitgebers zu fällen, heißt es in der „Drehtür-Studie“ der Organisation Lobbycontrol. Allein schon der Verdacht auf unternehmensfreundlichere Entscheidungen schade dem Vertrauen in die Demokratie. Doch auch der aktuelle Verhaltenskodex für Minister könnte für Schneider zu einer Hürde werden. Darin heißt es, dass ehemalige Minister während einer Karenzzeit von zwei Jahren keinen Gebrauch von ihrem ministeriellen Insiderwissen machen dürfen. Dass das kontrolliert und gegebenenfalls sanktioniert werden soll, und ob das einen Etienne Schneider in seinen beruflichen Plänen aufhalten wird, darf zumindest bezweifelt werden. Biltgens ursprünglichen Vorschlag, Minister nach Amtsende für zwei Jahre gar nicht im Bereich ihres vorherigen Ministerressorts arbeiten zu lassen, haben weder die Regierung Juncker/Asselborn noch die späteren Fensteröffner von Gambia bei ihrer Reform des Verhaltenskodex zurückbehalten. Doch die Regierung bastelt aktuell an einem neuen, restriktiveren Kodex, der dem Land vorliegt. Im „Avant-projet d’arrêté grand-ducal“ heißt es, dass zukünftig der Ethikrat zwei Monate vor einem Wechsel in die Wirtschaft informiert werden muss. Der Rat soll daraufhin dem Premierminister ein Gutachten erstellen, im Falle eines Interessenkonflikts könnte die Regierung den Wechsel für zwei Jahre blockieren. So zumindest die Theorie.
Wie hast du’s mit den Immobilien Warum die Regierung gerade jetzt an einem neuen Verhaltenskodex arbeitet, hat laut Angaben des Staatsministeriums weniger mit den Plänen von Etienne Schneider zu tun, geschweige denn mit den Affären um Corinne Cahen (DP) und Carole Dieschbourg (déi Gréng). Vielmehr geht die Arbeit auf Druck von außen zurück. Bereits im Juni 2018 kurz vor den Wahlen hat der Greco (Staatengruppe gegen Korruption des Europarats), den zu laschen Luxemburger Verhaltenskodex für Minister deutlich angeprangert: Die Handhabung von Interessenkonflikten für scheidende Regierungsmitglieder sei ebenso verbesserungsfähig wie die Regeln im Umgang mit Lobbyismus und Annahmen von Geschenken. Der neue Text trägt diesen Empfehlungen nun Rechnung. Im Entwurf steht die Einführung eines Lobbyregisters, das öffentlich für alle sichtbar festhält, mit welchen Vertretern sich Regierungsmitglieder treffen, ähnlich wie es bei der Europäischen Kommission oder auch dem Europäischen Parlament bereits der Fall ist. Zudem sollen die Minister bei Amtsantritt nicht nur ihre Aktienanteile offenlegen, sondern auch ihren Immobilienbesitz. In Artikel 2 (4) heißt es, dass „les propriétés immobilières qui ne leur servent pas d’habitation ainsi que les parts dans des sociétés immobilières“ ebenso veröffentlicht und dem Ethikrat mitgeteilt werden müssen wie „toute dette dépassant le montant de 50.000 euros“. Der neue Kodex sieht demnach vor, die Vermögensverhältnisse der Minister transparent darzulegen. Damit würde nicht nur für alle sichtbar werden, dass der Premierminister Aktienanteile von Unternehmen wie Nintendo, Deutsche Bank oder Société générale besitzt, sondern wie er es mit den Immobilien in einem Land hält, dessen größtes Problem die Wohnungsknappheit ist.
Kodex für hohe Beamte Doch der eigentliche Clou des neuen Kodex ist eine andere Reglung: Denn auf Drängen des Greco bezieht sich der Verhaltenskodex nicht nur auf Minister, sondern auch auf den höheren öffentlichen Dienst. Es handelt sich dabei um die Beamten in der sogenannten politischen Karriere, die von der Regierung direkt ernannt werden, ohne Staatsexamen, ohne Probezeit. Das sind aktuell neun Conseillers de gouvernement adjoints (Dienstgrad 14 der Gehaltsleiter), 18 Conseillers de gouvernement (Grad 15), 35 Conseillers de gouvernement première classe (Grad 16), 58 Premiers conseillers de gouvernement (Grad 17) sowie einige wenige Kommissare und Direktoren. Ihr Grundgehalt liegt je nach Erfahrung und Dienstgrad zwischen 7 500 und 12 000 Euro.
Auch diese politischen Beamten sollen laut Vorentwurf eine Liste erstellen, die über Vermögens- und Immobilienbesitz aufklärt. Allerdings gehören diese Informationen nicht veröffentlicht, sondern werden lediglich dem Ethikrat zur Verfügung gestellt, damit mögliche Interessenkonflikte geprüft werden können. Im schlimmsten Fall kann der Ethikrat eine Nominierung verhindern. Doch auch der Wechsel eines Regierungsrats in die Privatwirtschaft soll ähnlich streng gehandhabt werden wie bei Regierungsmitglieder. Der fliegende Wechsel des hohen Beamten Tom Eischen aus dem Energieministerium zum Energieunternehmen Encevo wäre mit dem neuen Kodex nicht möglich gewesen. Ziel ist es, den Drehtür-Effekt beziehungsweise die Pantouflage zu unterbinden.
Dabei stellt sich grundsätzlich die Frage, warum es bis heute noch keinen Verhaltenskodex für hohe Beamte gibt. Denn bereits seit 2006 kündigen die Regierungen regelmäßig einen verbindlichen Rahmen mit deontologischen Regeln für den öffentlichen Dienst an. Und 2011 gab es sogar schon ein „Avant-projet“, das eigentlich mit dem Ministerkodex von 2014 umgesetzt werden sollte. Doch die Beamtengewerkschaft CGFP konnte die Regierung zunächst davon überzeugen, die Einführung des Kodex bis zur Reform des öffentlichen Diensts zu verschieben. Und als der Beamtenkodex aus dem öffentlichen Gedächtnis verschwand, ignorierte die Dreierkoalition fünf Jahre diskret den Text. Angesichts von mittlerweile rund 120 hohen politischen Beamten und dem Druck des Greco sollte dieses Kunststück nicht noch einmal fünf Jahre gelingen.