Die Sozialpartner sitzen wieder an einem Tisch, um über Maßnahmen gegen die steigende Arbeitslosigkeit zu beraten. Konkrete Ergebnisse sind nicht vor Juni zu erwarten

„Konstruktive Diskussion“

d'Lëtzebuerger Land du 22.02.2013

Nach einer kurzen Phase der Stabilisierung hat sich die Talfahrt auf dem Arbeitsmarkt im letzten Trimester 2012 beschleunigt. Das steht im jüngsten Konjunkturbericht des Statistischen Amts Statec. Statt bei 6,1 Prozent lag die Arbeitslosenquote im Dezember bei 6,4 Prozent und stieg um mehr als 13 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die Zahl der Arbeitslosen stieg somit auf rund 17 000 Personen. Rechnet man die Arbeitssuchenden in Beschäftigungsinitiativen hinzu, übersteigt die Zahl sogar die 20 000.

Die schlechten Nachrichten zum Arbeitsmarkt trug der Arbeitsminister am Mittwochabend mit ernstem Gesicht vor, ließ sich aber eine positive Meldung nicht nehmen. Man habe in „konstruktiver Atmosphäre diskutiert“, berichtete Nicolas Schmit. Den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit nannte der LSAP-Politiker eine „politische Priorität der Regierung“. Gemeinsam mit Wirtschaftsminister Etienne Schneider (LSAP) und Mittelstandsministerin Françoise Hetto-Gaasch (CSV), die aus unbekannten Gründen nicht anwesend war, hatte er die Presse zum kurzen Debriefing eingeladen, nachdem die Sozialpartner im Rahmen des Comité permanent du travail et de l’emploi zuvor rund zweieinhalb Stunden über die Lage am Arbeitsmarkt beraten hatten. Im Mittelpunkt der Gespräche standen mögliche nächste Schritte, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.

Der Sozialdialog war nie tot, er ist nur schwieriger geworden, bestätigte Patrick Dury. Die Gespräche kommentieren wollte der LCGB-Präsident aber erst, „wenn konkrete Ergebnisse vorliegen“. Immerhin: Man habe erste Vorschläge gemacht.

Das positive Gesprächsklima kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es weiterhin zum Teil erhebliche Meinungsdivergenzen zwischen den Parteien gibt. Während die Arbeitgeber nicht müde werden, die hohen Lohnkosten am Standort Luxemburg zu beanstanden und einen flexibleren Arbeitsmarkt zu fordern, verlangen die Gewerkschaften einen besseren Schutz der Arbeitnehmer vor Kündigungen sowie Frühwarnsysteme im Falle von Betriebsinsolvenzen.

Es sei immer schwieriger zu diskutieren, wenn es um konkrete Inhalte wie die Lohnkosten gehe, sagte Schmit. Allerdings bestehe ein Konsens unter den Diskussionspartnern, dass die künftige Beschäftigungspolitik nicht zur „Prekarisierung“ führen dürfe, dass jedoch Luxemburgs Unternehmen flexiblere Lösungen bräuchten, um im Standortwettbewerb zu bestehen. Was genau die Maßnahmen sein sollten, um den Arbeitsmarkt zu flexibilisieren, sagte der Minister nicht. Stattdessen gab er das Wort weiter an Parteikollege Etienne Schneider, der die Instrumente vorstellte, mit der die schwarz-rote Regierung neue Arbeitsplätze zu schaffen hofft.

Neues gab es von dieser Seite aber nicht zu hören. Die Bio- und Ökotechnologien gehören zu den Bereichen, in denen der Staat verstärkt Betriebe anwerben und Stellen schaffen will, so Schneider, der betonte, die neuen Jobs müssten dann von hiesigen Arbeitskräften eingenommen werden. Das verlangt Anstrengungen vor allem in der Aus- und Weiterbildung: Bisher gibt es in diesen Sektoren kaum Ausbildungsberufe. Die wenigen, die geschaffen wurden, haben sich noch nicht etabliert. Überhaupt zählt das Vermitteln von anwendungsorientierten technologischen und mathematischen Kompetenzen nicht unbedingt zu den Stärken des Luxemburger Bildungssystems.

Auch auf die Logistikbranche verwies der Wirtschaftsminister. Das sei eine Branche, in der in Zukunft Jobs entstehen würden. 3 000 bis 5 000 Stellen vor allem für Geringqualifizierte, hatte der Wirtschaftsminister vorgerechnet, könnten geschaffen werden, und an dieser Zahl hält er weiter fest. Ob seine Rechnung aufgehen wird, bleibt freilich abzuwarten, ebenso, ob diese Arbeitsplätze wirklich den Geringqualifizierten zugute kommen. Zum einen gibt es Stimmen in der Branche, die höhere Abschlüsse in der Logistik befürworten, zum anderen hat sich in anderen Ländern gezeigt, dass die Beschäftigungseffekte für Niedriglöhner in der Logistik nicht so groß sind wie oftmals erhofft.

Dann wäre da noch der Ausbau des ICT-Sektors. Viele Millionen Euro habe der Staat in Informations- und Kommunikationstechnologien investiert, so Schneider, der die Spieleindustrie und Amazon als Erfolgsbeispiele nennt. Allerdings steht der Online-Händler in Deutschland derzeit wegen mieser Arbeitsbedingungen seiner Leiharbeiter in der Kritik, und auch die Steuervorteile, die der US-Konzern hierzulande genießt, stoßen der Konkurrenz im Ausland bitter auf. Amazon, der seinen Europahandel in Luxemburg versteuert, zahlt dank hiesiger Steuergesetze auf seine Elektronik-Bücher einen Mehrwertsteuersatz von derzeit lediglich drei Prozent.

Wenn Unternehmen wie Amazon auch dann bleiben, wenn die Steuervorteile 2015 abgeschafft würden, sei das „den guten Infrastrukturen zu verdanken“, die man in den vergangenen Jahren aufgebaut habe, so Schneider, der für Luxemburg einen Platz unter den ersten drei ICT-Ländern weltweit anpeilt. Bisher lag Luxemburg nach Angaben des Wirtschaftsministeriums unter den Top Ten. Ob die ICT-Branche wirklich zur Boom-Branche taugt – und was das genau heißt, muss sich noch zeigen. In den vergangenen Jahren seien viele ICT-Jobs geschaffen worden, sagte der Wirtschaftsminister. Konkrete Zahlen, wo die Arbeitsplätze im Einzelnen entstanden, nannte er nicht.

Die mangelhafte Datenlage ist ein wiederkehrendes Thema in der Debatte um Beschäftigung. Das Statec ermittelt den monatlichen Beschäftigungszuwachs, die Adem schlüsselt die Arbeitslosigkeit nach Branchen und nach dem Ausbildungsstand auf. Allerdings fehlen detailliertere Hintergrundanalysen. Diese Daten sollten über das Programm Retel in Zusammenarbeit von Adem, Statec und Sozialversicherung erhoben werden sollen, hatte der Arbeitsminister schon im November 2011 versprochen. Noch ist davon nicht viel zu sehen.

Und das ist ein Problem. Auch wenn der Arbeitsminister und der Wirtschaftsminister einhellig betonen, Luxemburg habe trotz Konjunkturkrise stets neue Stellen geschaffen – in der Industrie und im übrigen Gewerbe sind die Jobverluste inzwischen so groß, dass der Beschäftigungszuwachs diese nicht mehr kompensieren kann. Was aber genau die Ursachen für steigende Arbeitslosigkeit ist, wo die Stellen konkret verloren gehen und wer neue Arbeitsplätze schafft, die von Dauer sind, ist nicht sicher gewusst. Zu lange hat sich Luxemburg beziehungsweise seine Regierung auf wirtschaftliche Erfolgsmeldungen verlassen, dass nun in der Krise wichtige Hausaufgaben noch nachgeholt werden müssen. Arbeitsminister Schmit räumte gegenüber dem Land ein, es gebe eine „gewisse Urgence“ zu handeln.

Tatsächlich hätten die Vermittlungspraxis und die Wirksamkeit der Wiedereingliederungsmaßnahmen schon vor Jahren auf den Prüfstein gehört. Beschäftigungsmaßnahmen, wie die Jobgarantie für junge Arbeitslose, sind keine Erfindung des Luxemburger Arbeitsministers, sondern stammen aus anderen EU-Ländern, auch wenn Nicolas Schmit verspricht, Luxemburg wolle hier künftig eine Vorreiterrolle in Europa spielen. In Deutschland und Österreich, vom Minister als Modelländer in Sachen Beschäftigungspolitik gepriesen, wurde mit den Reformen des Arbeitsmarktes und der Arbeitsvermittlung Anfang der 2000-er Jahren begonnen, lange vor der Krise. Dank einer kohärenten Arbeitsmarktspolitik zählt Österreich heute zu den EU-Ländern, die in punkto Beschäftigung besonders gut abschneiden.

Größte Sorgenkinder sind und bleiben in Luxemburg Langzeitarbeitslose und Jugendliche. Von den rund 17 000 Arbeitslosen sind 6 000 mehr als ein Jahr arbeitslos, davon wiederum sind zwei Drittel reklassiert und gelten als schwer vermittelbar. „Wichtigster Punkt im Kampf gegen Arbeitslosigkeit ist und bleibt eine gute Ausbildung“, bekräftigte Schmit am Mittwoch. Beim nächsten Treffen des Comité permanent in zwei, drei Monaten soll denn auch die Unterrichtsministerin mit von der Partie sein. Parteikollegin Mady Delvaux-Stehres hat zwar die Grundschulen und die Berufsausbildung reformiert, aber die Umsetzung ist noch nicht abgeschlossen. Erste Auswirkungen sind frühestens in ein paar Jahren zu erwarten, und ob dies viel verbessert, steht in den Sternen. Zumal die Sprachenproblematik weiterhin nicht gelöst ist und die anhaltende Immigration vor allem aus südeuropäischen Ländern die Heterogenität in den Klassen noch verschärft. Die Validation des aquis, ein weiterer Punkt auf Minister Schmits To-Do-Liste, hatte ein Beamter im Unterrichtsministerium jahrelang fast im Alleingang koordiniert, bis er entnervt das Handtuch warf.

Bis Juni soll nun eine aus den Sozialpartnern und den zuständigen Ministerien bestehende Arbeitsgruppe über zukünftige Maßnahmen beraten, auch im Bereich Maintien de l‘emploi. Im Juni, so Arbeitsminister Schmit, wolle er erste Ergebnisse präsentieren.

Ines Kurschat
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