Bei der Polemik um die Jugendarbeitslosigkeit scheint es nicht bloß um die jugendlichen Arbeitslosen zu gehen

Jugendgarantie und „streamlinen“

d'Lëtzebuerger Land du 25.01.2013

Die Jugendarbeitslosigkeit ist in allen EU-Staaten höher als die allgemeine Arbeitslosenrate und sie steigt auch in Luxemburg. Deshalb wird sie in ziemlich regelmäßigen Abständen ein Politikum. Beim Neujahrsempfang der Industriellenföderation Fedil hatte Premier Jean-Claude Juncker vergangene Woche den versammelten Unternehmern aus dem Herzen gesprochen: „Es kann doch nicht sein, dass wir hunderte, tausende junge unqualifizierte Arbeitslose im Arbeitsamt mehr führen als betreuen, und dass sich geweigert wird in den Bereichen, wo Arbeitsplätze entstehen, und wo Innovation stattfindet, dass da die luxemburgischen, oder die hier im Lande ansässigen jungen Arbeitslosen sagen: ‚Interessiert uns nicht.‘ Es wird sie interessieren müssen.“
Die damit angesprochene Verschärfung der Zumutbarkeitsklausel, unter der Arbeitsuchende Beschäftigungen annehmen, für die sie überqualifiziert und damit auch unterbezahlt sind, wenn sie nicht ihren Anspruch auf Arbeitslosengeld verwirken wollen, gehört zum üblichen Droharsenal der Regierung. Zuletzt hatte Finanzminister Luc Frieden am 6. November bei der Vorstellung seines dritten Sparpakts inerhalb weniger Monate angekündigt, dass neben der Abschaffung der Solidaritäts-Vorruhestandsregelung die Zumutbarkeitsklausel verschärft werde und der Beschäftigungsfonds so insgesamt 15 Millionen Euro jährlich sparen werde. So oft aber wie die Verschärfung der Zumutbarkeitsklausel in den vergangenen Jahren bereits angekündigt wurde, dürfte es sie längst nicht mehr geben.
In einem Rundfunkinterview hatte Jean-Claude Juncker am Wochenende ergänzt, dass er „nicht habe sagen wollen, dass die jungen Leute nicht arbeiten wollen, obwohl es viele gibt, die nicht arbeiten wollen“. Aber die Zeiten verlangten, dass man die Arbeit annehmen müsse, die verfügbar sei. „Wir sind jetzt in einer finanziell engeren Lage angekommen. Deshalb muss man die Arbeitskräfte dorthin mobilisieren, wo Arbeitsplätze auf sie warten.“ Es sei auch für Luxemburger keine Unehre, im Gaststätten- und Hotelgewerbe zu arbeiten.
Am Neujahrsempfang der Fedil hatte auch Arbeitsminister Nicolas Schmit (LSAP) teilgenommen und sich offenbar von seinem Premier kritisiert gefühlt. Denn er meinte diese Woche, dass zwei Drittel der jugendlichen Arbeitslosen gar kein Arbeitslosengeld beziehen, so dass das Arbeitsamt sie auch nicht unter Androhung des Entzugs des Arbeitslosengelds zur Annahme einer Beschäftigung zwingen könne. Gar nicht zu reden von all jenen Schulabbrechern, die sich nicht einmal beim Arbeitsamt einschreiben und für alle staatlichen Behörden und Ämter „vom Radar verschwinden“. Unter solchen Schulabbrechern gebe es viele, die schon mit Armut und Arbeitslosigkeit groß geworden seien. Wenn sie mangels erschwinglichen Wohnraums noch bei ihren Eltern wohnten, drohten die Eltern das garantierte Mindesteinkommen RMG gestrichen zu bekommen, wenn der Sohn oder die Tochter eine Arbeit annähme. Die gesellschaftliche Wirklichkeit sei komplexer als die Pauschalurteile, belehrte Schmit den Premier und rechnete ihm vor, dass innerhalb eines Jahres 327 jugendliche Luxemburger Staatsbürger durch Vermittlung des Arbeitsamtes im Hotel-, Gaststätten- und Reinigungsgewerbe arbeiteten.
In einer gemeinsamen Pressekonferenz vergangene Woche hatten die sich sonst wenig gewogenen Jugendorganisationen der beiden Regierungsparteien, CSJ und JSL, verlangt, „dass der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit in den nächsten Monaten absolute Priorität genießen muss“. Dabei hatte die CSJ der Regierung schon im Mai 2007 bescheinigt, „den richtigen Weg im Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit eingeschlagen“ zu haben und lobte im September 2009 die „Kontinuität im Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit“. Aber bis 2009 stellte die CSV den Arbeitminister. So dass die Jungsozialisten im Dezember 2010 ihrerseits den inzwischen im Arbeitsminsterium eingezogenen „Parteigenossen Schmit“ und dessen „Bemühungen, gegen die Jugendarbeitslosigkeit anzukämpfen“ gegen Kritiken der jungen Christlichsozialen in Schutz nahmen.
Die Jugendorganisation der DP hält die Vorschläge der Regierungsmehrheit sowieso für ideen- und alternativlos. Sie setzt auf die Marktkräfte und fordert: „Bürokratie abbauen und vertrauen für den Standort Luxemburg gewinnen, um flexibel neue Märkte und somit Arbeitsplätze zu schaffen“. Statt Beschäftigungsinitiativen sollen die Weiterbildung und die Berufsberatung im Sekundarunterricht gefördert werden.
Offenbar ist der Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit komplizierter als seine parteipolitische Verwertung. Denn in seiner Erklärung zur Lage der Nation hatte Jean-Claude Juncker vergangenes Jahr versprochen, dass allen Jugendlichen binnen vier Monaten nach ihrem ersten Vorsprechen beim Arbeitsamt „ein Beschäftigungsangebot gemacht werden muss, sei es in Form eines Praktikums, sei es in Form einer Ausbildung, sei es in Form ihrer Rückführung in die Schule“. Doch diese ebenfalls von EU-Sozialkommissar László Andor vorgeschlagene „Jugendgarantie“ gibt es auch fast ein Jahr später noch nicht. Zuletzt schrieben sich 15 Prozent der Arbeitsuchenden unter 25 Jahren beim Arbeitsamt ein, ohne mehr als eine Bestätigung ihrer Einschreibung zu bekommen. Nicolas Schmit versprach am Mittwoch, dass die Jugendgarantie bis zu den Wahlen nächstes Jahr Wirklichkeit wird.
Der Arbeitsminister scheint aber die Aufregung um die Jugendarbeitslosigkeit nicht ganz zu verstehen. Jenen, die nun umgehend einen Aktionsplan gegen die Jugendarbeitslosigkeit verlangen, antwortet er, dass der Plan schon vor einem Jahr im Kirchberger Hochhaus unterzeichnet wurde. Außerdem sei innerhalb eines Jahres die allgemeine Arbeitslosigkeit zwar von 5,8 auf 6,4 Prozent gestiegen; doch sei der Anteil der unter 25-Jährigen an den Arbeitslosen seit 2006 von 18,3 Prozent auf 13,4 Prozent gesunken. Das Problem der Arbeitslosigkeit suche nunmehr zunehmend die 30- bis 40-Jährigen und die Erwerbsfähigen, welche die Sekundarschule besuchten, heim.
Aber vielleicht hat die Aufregung um die Jugendarbeitslosigkeit noch einen anderen Grund: Es gab einmal eine Zeit, da spielte Geld keine Rolle, und die Regierung erfand ständig neue staatlich finanzierte Beschäftigungsmaßnahmen, gewährte den Beschäftigungsinitiativen fast unbegrenzte Mittel – derzeit noch immer über 50 Millionen Euro jährlich –, um die Arbeitslosen mit allen Mitteln aus den offiziellen Statistiken zu entfernen. Doch nun soll gespart werden.
Im Laufe des nächsten Monats soll das Parlament eine Reform der Contrats initiation à l’emploi – expérince pratique (CIE-EP) und der Contrats d’appui-emploi (CAE) verabschieden. Vergangenes Jahr kosteten rund 1 200 dieser Verträge zwischen Unternehmen, Arbeitsuchenden und Staat die Staatskasse 17,1 Millionen Euro. Mit ihrer Reform behauptet die Regierung zwar, der Jugendarbeitslosigkeit noch resoluter den Kampf anzusagen. Aber vor allem will sie erklecklich Geld sparen: Künftig sollen die Verträge nur noch um ein halbes und nicht mehr um ein volles Jahr verlängert werden dürfen. Gleichzeitig soll bei einer Verlängerung des Vertrags die Bezuschussung der nicht-gewerblichen Arbeitgeber von 75 Prozent auf 50 Prozent und in der Privatwirtschaft von 50 auf 30 Prozent gesenkt werden. Die Kostenerstattung für Gemeinden, Vereine, öffentliche Einrichtungen und Beschäftigungsinitiativen soll von 85 Prozent auf 75 Prozent gesenkt werden. Außerdem soll die einmalige Prämie von 30 Prozent der dem Jugendlichen gezahlten Entschädigung, mit welcher der Arbeitgeber die unbefristete Einstellung nach dem Ende eines Vertrags belohnt bekommt, durch die Übernahme der Patronatsbeiträge zur Sozialversicherung während eines Jahres ersetzt werden, was ebenfalls billiger zu stehen kommt.
Die Effizienz der CAE und CIE bleibt allerdings umstritten. Unter Berufung auf eine Bewertung durch Ceps/Instead lobt sie der Motivenbericht zur Gesetzesreform als „globalement  positif“. Denn nach Meinung von Ceps/Instaed hätten binnen sechs Monaten 25 Prozent der Nutznießer eines CIE und sechs Prozent der nicht-gewerblichen CAE ohne diese Hilfen keine Arbeitsstelle gefunden. Nach Ansicht von CSJ und JSL aber ist es „in den letzten Jahren nur viel zu selten der Fall gewesen“, dass durch diese Verträge junge Leute unbefristete Arbeitsverträge erhalten hätten.
Doch auch an anderen Stellen will der Arbeitsminister „streamlinen“. Die Wiedereinstellungsprä­mien seien ineffizient und extrem großzügig, manche Unternehmen kassierten die Prämie vier Jahre lang und setzten die Beschäftigten dann auf die Straße, wenn sie den vollen Lohn selbst tragen sollen. Es gebe keinen Grund, dass bei der Einstellung älterer Arbeitnehmer die Betriebe nicht nur den Patronats-, sondern auch den Salariatsanteil der Sozialbeiträge erstattet bekämen. Hierzu gehöre auch die angekündigte Abschaffung der Solidaritäts-Vorruhestandsregelung. Und wenn er schon beim „Streamlinen“ ist: Nicolas Schmit wünscht sich, dass auch hierzulande etwas möglich sei wie der Pakt über die „sécurisation de l’emploi“, den der französische Unternehmerverband am 11. Januar mit drei Gewerkschaften unterzeichnete und der unter anderem eine Flexibilisierung der Arbeitsverträge und des Kündigungsschutzes vorsieht.

Romain Hilgert
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