Wohnungsbaupakt

Schadensbegrenzung

d'Lëtzebuerger Land vom 23.04.2009

Es war kein Aprilscherz, den die Remicher Gemeindeverantwortlichen vom Wohnungsbauministerium zugestellt bekamen, auch wenn das Datum des Schreibens das hätte vemuten lassen können. Bis Ende April müsse die Gemeinde sich festlegen, ob sie am Wohnungsbaupakt teilnehmen wolle oder nicht, andernfalls würden die in Aussicht gestellten rückwirkenden Fördergelder verfallen. Das Gesetz zum Wohnungsbaupakt sieht aber keine derartigen Fristen vor. Um den Preis der Illegalität, so scheint es, will Wohnungsbauminister Fernand Boden (CSV) seine politische Bilanz aufpeppen: da kommt jeder Vertragsabschluss gerade recht. Und dann soll auch noch der lang versprochene Sektorplan Wohnungsbau am 4. Mai dem Parlament vorgestellt werden.

„Was soll der viel Neues bringen?, fragen sich nicht nur Oppositionspolitiker wie der grüne Abgeordnete Camille Gira. Nach der Zwischenbilanz des Integrativen Verkehrs- und Landesentwicklungskonzepts IVL und der vom Wiener Planungsbüro stadtland erstellten Wohnraumanalyse dürften die Eckdaten so weit bekannt sein: Die Bevölkerung wächst weiter, beide IVL-Entwicklungsszenarien wurden von der realen Entwicklung längst überholt, der Individualverkehr nimmt weiter zu. Gleichzeitig schrumpft die Größe der Haushalte, was die Nachfrage nach Wohnraum zusätzlich anheizt. Seit einigen Jahren wer-den mehr Mehrfamilien- und große Apartments als Einfamilienhäuser gebaut, dafür fehlt es zunehmend an bezahlbarem Wohnungsraum für Singles und Kleinfamilien mit schmalerem Geldbeutel. Die jetzt auch als Langfassung auf der Internet-Seite des Wohnungsbauministerium erhältliche Wohnungsbedarfsprognose bringt es auf den Punkt: „Der Zuwachs an Wohnfläche ist somit auf Grund der Marktmechanismen vor allem der noch besseren Versorgung bereits gut versorgter Haushaltstypen zu Gute gekommen.“ 

Da nützt es auch nichts, dass derselbe Minister jetzt beim Wohnungsbaupakt aufs Gas drückt. Auf dessen „Gießkannen-Effekt“ haben Umweltorganisationen und Oppositionsparteien wie Déi Gréng zur Genüge hingewiesen. Der großen Beliebtheit, der sich der Pakt bei den Gemeinden erfreut, wird das keinen Abbruch tun. Leudelingen erhält laut Gemeindesitzungsbericht für seinen Bevölkerungszuwachs zwischen 2008 und 2009 rückwirkend 400 000 Euro aus dem Staatssäckel. „Wir können uns kaum leisten, auf die Gelder zu verzichten“, bringt Henri Kox, grüner Schöffenrat der IVL-Gemeinde Remich, die Zwickmühle vieler Gemeinden auf den Punkt. Remich würde für 2008 und 2009 geschätzte 800 000 Euro kassieren – das Gros der Projekte war schon vor dem Pakt geplant. 

Eine „laangfristig prudent ungeluech­tene Budgetspolitik“, wie Juncker in seiner Rede die Politik der Regierung lobte, sieht anders aus – und mit nachhaltigem Wachstum und „zukunftsorientéierter Denke“ hat das Ganze auch wenig zu tun. Insiderinformationen zufolge gilt es als ausgemacht, dass der Sektorplan Wohnungen um flankierende Maßnahmen respektive Korrekturen des Wohnungsbaupaktes nicht herumkommen wird, will die Regierung die landesplanerischen Ziele nicht komplett verfehlen. „Korrekturen, die man von Anfang an hätte vorhersehen können“, stellt Kox lakonisch fest. Was erklärt, warum Fernand Boden die Veröffentlichung des Sektorplans Wohnungsbau bis zum allerletzten Augenblick hinausgezögert hat: Mit jeder Expertenempfehlung, wohnungsbau- oder bodenpolitische Instrumente zu schärfen oder neu zu entwickeln, wird sich der Minister den hämischen Kommentar gefallen müssen, warum er diese nicht gleich in den Pakt eingearbeitet habe. 

Vor allem die pauschale Wachstums­quote wurde schon im Vorfeld heftig kritisiert, denn sie ist aus landesplanerischer Sicht kontraproduktiv: Statt Nicht-IVL-Gemeinden ungeachtet ihrer Größe und verkehrstechnischen Lage ein Mindestwachstum der Bevölkerung von 15 Prozent in zehn Jahren vorzuschreiben – und das mit barer Münze zu belohnen –, wären differenzierte, mit dem IVL und Programme directeur abgestimm­te Entwicklungsszenarien für die verschiedenen Regionen und Gemeinden vonnöten. Wo bei strukturschwa­chen Gemeinden mit geringer Siedlungsdichte eher Obergrenzen für das Bevölkerungswachstum angesagt sind, müssen andere draufsatteln: Schon der IVL-Zwischenbericht hatte ergeben, dass Zentren wie Ettelbrück, Diekirch oder Wiltz weit unter ihrem Entwicklungssoll liegen, während verschiedene, aus IVL-Sicht unbedeutsame Landgemeinden fast doppelt so stark wuchsen. Dem anarchistischen Wildwuchs entgegenzusteuern erfordert aber, neben politischem Willen, klare regionale Vorgaben und eine enge Abstimmung zwischen Staat und Gemeinden – die noch immer nicht recht funktioniert. Obwohl im Landesplanungsgesetz vorgesehen, kommt die Regionalplanung einfach nicht vom Fleck. 

Experten aber sind sich einig, dass als oberste Handlungsmaxime gelten muss: Um den Flächenverbrauch nicht weiter anzuheizen, gehören zuallererst Baulücken geschlossen, bereits vorhandene Bebauung müsste nachverdichtet und Eigenheime müss­ten kleiner und flächensparend konzipiert werden. Was aber geschieht mit Gemeinden, deren Perimeter zu viel Bauland ausweist? Wie soll eine Umwidmung vonstatten gehen, und wer kommt dafür auf, wenn Bauland zur weniger wertvollen Grünzone zurückgestuft wird? Alles Fragen, auf die die Politik dringend eine Antwort finden muss, will sie die Baulandimmobilität endlich in den Griff bekommen. Wobei sich bei jeder Top-down-Ausführungsbestimmung die Fra­ge nach der Planungshoheit der Gemeinden stellt. 

Andererseits kann es nicht sein, dass Gemeinden, die über keine Baugrundstücke (mehr) verfügen, aufs Geratewohl neues Bauland auf der grünen Wiese ausweisen. Dafür müssten sämtliche Sektorpläne (Transport, Grün- und Aktivitätszonen, Wohnungsbau) mit den kommunalen Flächennutzungsplänen abgestimmt sein. Dass Fernand Boden am 4. Mai den Sektorplan mitsamt Karten vorlegen wird, ist jedoch wenig wahrscheinlich, aus demselben Grund, wie schon der Sektorplan Transport und Aktivitätszonen ohne Grafiken vorgestellt wurden: um eine frühzeitige Spekulation zu verhindern. Die laut EU-Recht vorgeschriebene strategische Umweltverträglichkeitsprüfung wird Land-Informationen nach ein Büro in München übernehmen; eine integrative Betrachtung aller Sektorpläne aber findet nicht statt. Auch wird keine Aussage darüber möglich sein, ob die im Plan ausgewiesenen vorrangigen Maßnahmen auch die effizientesten sind; angesichts des hohen Flächenverbrauchs und knapperer öffentlicher Finanzmittel nicht gerade ein Detail am Rande.

„Ich erwarte mir, ehrlich gesagt, nicht viel vom Sektorplan“, winkt Blanche Weber vom Mouvement écologique müde ab. Zu lange habe die Regierung gewartet, „wirksame Gegenmaßnahmen“ gegen den Flächenverbrauch und die Baulandspekulation zu ergreifen. Selbst wenn der Pakt erste Instrumente für ein koordiniertes professionelles Bauflächenmanagement vorsieht – das Vorkaufsrecht für Gemeinden oder die Strafsteuer auf aus Spekulationsgründen zurück gehaltenes Bauland: Wirkung können sie nur erzielen, wenn die Gemeinden sie tatsächlich anwenden. Inwieweit das geschieht, ist unklar: Über die Höhe rückwirkend bezahlter staatlicher Subventionen verweigert das Wohnungsbauministerium jede Auskunft, auch Angaben darüber, welche Gemeinden eine Strafsteuer eingesetzt haben oder werden, fehlen. Der Gesetzgeber, oder besser gesagt, der Wohnungsbauminister, hat es versäumt, ein Gremium zu schaffen, das über die Einhaltung der Pakt-Instrumente wacht und dort gegensteuert, wo sie ihren Zweck verfehlen. Und was nützt ein Vorkaufsrecht, wenn ohnehin kein Geld da ist, um davon Gebrauch zu machen? Der Fonds du logement kann laut Paktgesetz Gemeinden beim Bemühen um preiswerte Baulandreserven unterstützen, Grundstücke kaufen und erschließen, um diese dann zu günstigen Preisen anzubieten – und tut es auch, wie der kürzlich veröffentlichte Tätigkeitsbericht zeigt. 

Privatpromotoren, aber auch die Oppositionsparteien sehen das nicht ohne Argwohn und wollen die Zuständigkeit des Fonds stärker auf den sozialen Wohnungsbau ausrichten. Da müsste dringend auf die Tube gedrückt werden: Mit rund 3,6 Prozent Sozialwohnungen am Gesamtwohnungsmarkt klafft die Schere zwischen Angebot und Nachfrage hier besonders weit. Zum Vergleich: In Frankreich waren es 1996 zehn, in Deutschland 1993 13,5 Prozent. Das war, bevor klamme Kommunen im großen Stil „ihre“ Wohnungsbaugenossenschaften zu privatisieren begannen. Damit die Zehn-Prozent-Klausel greift, die gegen den Willen Bodens auf Drängen des Koalitionspartners im Pakt festgeschrieben wurde und die Gemeinden verpflichtet, bei Bauflächen von über einem Hektar zehn Prozent für den sozialen Wohnungsbau zu verwenden, muss das Gesetz über die Wohnungshilfen geändert werden: Demzufolge hat ein Promotor nur dann Anrecht auf Beihilfen, wenn mindestens 60 Prozent der Wohnungen unter die Konditionen der Hilfestellung fallen.

Alles in allem ist also nichts Geringeres verlangt als eine Umkehr und Entrümpelung der aktuellen Wohnungsbaupolitik: Statt den Markt gewähren zu lassen und Prämien oder Beihilfen auszugeben, die vor allem Eigentümer fördern, müssen Staat und Gemeinden zusammen regulierend zugunsten der einkommensschwachen Haushalte eingreifen – und gleichzeitig die Nachhaltigkeit zum obersten Prinzip jeglicher Förderpolitik machen. Das gilt umso mehr, als die Wirtschaftskrise die erwartbaren strukturellen Probleme auf dem Wohnungsmarkt noch beschleunigen dürfte. 

Lippenbekenntnisse à la „Wir werden uns aber auch verstärkt der Nachfrage nach Mietwohnungen zuwenden“, wie es im aktuellen CSV-Programm steht, hat es in der Vergangenheit viele gegeben. Im Wahlprogramm von 2004 hatte dieselbe Partei versprochen: „Wir werden die Wohnungspolitik zu einem Hauptbestandteil der zukünftigen Landesplanungspolitik machen.“ Vielleicht sollte das jemand nochmal nachlesen. 

Ines Kurschat
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