Regierung und Kammer-Mehrheit sind gegen eine höhere Mindestrente. Das geht vor allem gegen die Frauen. Und die Bauern

Sozialamt statt Schlauch

Rentner/innen in Diekirch
Foto: Olivier Halmes
d'Lëtzebuerger Land vom 22.08.2025

Noch bis vor kurzem konnte man glauben: Ganz gleich, wie die Rententreform am Ende aussieht – Teil davon wird eine Erhöhung der Mindestrente sein. Denn ab Sommer vergangenen Jahres war viel von der Altersarmut die Rede. Die Salariatskammer hatte vorgerechnet, dass das Armutsrisiko Pensionierter ab 60 von 3,9 Prozent im Jahr 2010 auf 10,4 Prozent im Jahr 2022 gestiegen war. Ein Bericht der EU-Kommission über die „Adäquatheit“ der Renten in der Europäischen Union sah noch ein Stück besorgniserregender aus. Für Menschen ab 65 gab er das Armutsrisiko in Luxemburg mit elf Prozent an, neun Prozent bei den Männern, 13,6 Prozent bei den Frauen.

Die breite Öffentlichkeit nahm davon Kenntnis. Auch, weil das Statec ein „Budget minimum des seniors“ aufgestellt hatte. Gemessen an den Preisen vom November 2022, müsste eine alleinstehende Person ab 65 demnach über mindestens 2 551 Euro monatlich verfügen, um „dezent“ leben zu können, ein Seniorenpaar über mindestens 3 471 Euro. Weil die Mindestrente 2022 bei 2 035,19 Euro lag, und zwar brutto, und weil „Minimum“ und „Mindest“ semantisch nicht weit auseinanderliegen, lag der Schluss nahe, dass die Mindestrente um mehrere hundert Euro angehoben werden müsse.

Forderungen wurden laut. OGBL, LCGB und CGFP traten im Juli 2024 in ihrem Beitrag zum Rentenbericht des Wirtschafts- und Sozialrats für eine Anhebung der Mindestrente um zehn Prozent ein. Das wäre „un gain considérable pour les retraités le plus vulnérables“, der nur um 0,3 Prozent höhere Rentenausgaben mit sich brächte. Die Bauernzentrale verlangte im September 2024 zwanzig Prozent mehr. Die Parteijugend aus CSJ, Jungsozialisten, Jonk Liberal, Jonk Gréng und Jonk Lénk trat diesen März einstimmig für mehr Mindestrente ein. Als kurz darauf die Kammer einen ganzen Tag lang über die Renten debattierte, plädierte die LSAP dafür, die Mindestrente um „mindestens 300 Euro“ zu erhöhen. Die Grünen boten „circa 400 Euro“ mehr. Die Piraten stellten fest, sie müsse „wahrscheinlich“ steigen. Die Linken forderten, sie an den sozialen Mindestlohn anzugleichen. Ein paar Wochen später tauchte eine Erhöhung um zehn Prozent – wie OGBL, LCGB und CGFP das vorgebracht hatten – in einem von vier Rentenreform-Szenarien der Fondation Idea auf. Zwar ginge in dem Szenario „Social“ die höhere Mindestrente einher mit sehr starken Kürzungen hoher und mittlerer Renten. Doch das Thema „mehr Mindestrente“ hatte damit auch der think-tank der Handelskammer weitergesponnen.

Auch Spitzenpolitiker der Mehrheitsparteien konnte man so verstehen, als sei ihnen eine Erhöhung der Mindestrente nicht fremd. DP-Fraktionspräisident Gilles Baum sagte dem Land vorigen Dezember, die Liberalen würden sich in ihrer Position zu einer Rentenreform von dem „sozialliberalen Profil“ leiten lassen, das sie in den zehn Jahren Regierungskoalition mit LSAP und Grünen geschärft hätten. Deshalb sei für sie „die Aufbesserung der kleinen Renten“ eine „Prämisse“ (d’Land, 13.12.2024). Drei Wochen vorher hatte Baums CSV-Amtskollege Marc Spautz im RTL Radio erklärt, es wäre „e komesche Wee“, würde man Pensionierten „d’office“ sagen, „du musst bei den Office social goen“. Deshalb sei „ganz kloer“, dass in die „Grondrent massiv investéiert“ werden müsse.

„Grondrent“ ist zwar etwas anderes als die Mindestrente, aber Spautz’ Plädoyer, Pensionierte möglichst nicht ans Sozialamt zu verweisen, war deutlich. Und: In den Schwätzmat-Konsultationen, die CSV-Sozialministerin Martine Deprez zwischen Oktober 2024 und April 2025 führte, sei „la protection contre la pauvreté des personnes âgées“ eines der „cinq éléments sur lesquels il existe une convergence de vues“ gewesen. So zitiert das Protokoll der Sitzung des Kammer-Ausschusses Santé & Sécu vom 2. Juli die Ministerin in ihrer großen Schwätzmat-Abschlussbilanz gegenüber den Abgeordneten.

In dieser Sitzung aber setzte Martine Deprez auch allen Spekulationen über eine Mindestrenten-Erhöhung ein Ende. Die Altersarmut werde „dans le cadre du Plan d’action national pour la prévention et la lutte contre la pauvreté“ behandelt, erklärte sie. Abgezeichnet hatte sich das schon in der großen Kammerdebatte am 19. März. Die 300 Euro mehr Mindestrente, wie die LSAP sie verlangte, und die circa 400 Euro, die den Grünen angemessen scheinen, kommentierte DP-Fraktionspräsident Baum: „Bei der LSAP hat ech bei mir d’Gefill, dat wär e Gaardeschlauch, mat deem Der wéilt iwwert d’Land fueren. Bei deene Grénge war et souguer e Pompjeesschlauch.“

Das steht nicht unbedingt im Widerspruch zur „Prämisse“, die kleinen Renten aufbessern zu wollen. Es demonstriert, dass die Mindestrente offenbar nicht darunter fallen soll. So wird das in Deutschland gehandhabt, auf dessen Rentenformel die Luxemburger Formel zurückgeht. In Deutschland gab es noch nie eine Mindestrente. Dort muss, wessen die Rente zu klein ist, „d’office“ zum Sozialamt gehen.

Diesen Weg zumindest in der Tendenz auch in Luxemburg einzuschlagen, vertraten CSV und DP im März. Mochte Marc Spautz ihn vier Monate zuvor im Radio auch „komisch“ genannt haben. Der rentenpolitische Sprecher der CSV-Fraktion, Alex Donnersbach, fand, „an engem räiche Land wéi Lëtzebuerg däerf et net akzeptabel sinn, datt eis Senioren hiert Liewen an Onsécherheet oder Prekaritéit verbréngen“. Er erklärte das aber zur Herausforderung für die Sozialhilfe: Die Regierung solle „préiwen, wéi d’sozial Hëllefen nach méi staark un déi konkreet finanziell Situatioun vun de Pensionnairë gebonne kënne ginn“.

Gérard Schockmel, der rentenpolitische Sprecher der DP, nannte eine Erhöhung der Mindestrente „ze vill simplistesch“. Eine kleine Rente zu haben, bedeute nicht automatisch, finanziell schlecht gestellt zu sein. „De Pensionéierte kéint nach aner Revenuen hunn, zum Beispill vum Loyer op engem Appartement, dat him gehéiert, oder am Zesummenhang mat enger Ierfschaft.“ Eine niedrige Rente könne auch entstehen, „well ee wärend dem Beruffsliewen de perséinleche Choix getraff hat, manner Stonnen ze schaffen, well dat engem finanziell ëmmer nach gutt duergaangen ass“. Die DP-Fraktion setze deshalb auf den Armutsbekämpfungsplan. Den DP-Familienminister Max Hahn schon vergangenes Jahr vorlegen wollte, und der nun für Ende dieses Jahres angekündigt ist. Der Plan, so Gérard Schockmel, werde neben gezielten Hilfen ein zentrales „Guichet social“ vorsehen und das Prinzip „Once only“ für weniger Verwaltungsaufwand bei der Zuerkennung von Leistungen.

Von der Hand zu weisen sind diese Argumente nicht. Sie bedeuten aber, dass die Zuständigkeit zur Verhinderung prekärer Lebenssituationen aus der Sozialversicherung herausgelöst werden soll. Der Unterschied zwischen Sozialversicherung und Sozialhilfe ist fundamental: Leistungen der Sécu sind Rechte, die unabhängig von der Einkommenslage sind. Sozialhilfe dagegen ist means-tested, wie der Fachjargon das nennt. Ob jemand Anspruch auf Sozialhilfe hat, wird geprüft. Ob sich daran mit der Zeit etwas ändert, auch. Das Stigma „Sozialhilfeempfänger“ könnte demnächst mehr Mindestrentenbeziehern anhaften.

Der politischen Tradition hierzulande entspricht das nicht unbedingt. Man könnte sogar behaupten, dass es ein Bruch ist mit bisheriger Politik. Auf jeden Fall mit einer, die Frauen besserstellte. Nicht zuletzt für sie war jener Passus in der Rentenreform von 1987 gedacht, der noch heute als Artikel 175 im Code des assurances sociales steht. Er erlaubt, rund ein Drittel eines Monats als vollen Arbeitsmonat anzuerkennen. Das bessert die Zahl der Jahre auf, bis der Bezug einer vollen Mindestrente nach 40 Jahren möglich wird. Vermutlich war diese politische Entscheidung eine der frauenfreundlichsten in der Luxemburger Sozialgeschichte.

Eine andere besondere politische Geste war 1979 die Ausweitung der Mindestrente auf die Landwirte. Dass die Bauernzentrale vor elf Monaten verlangte, die Mindestrente um zwanzig Prozent anzuheben – rund 500 Euro zum damaligen Stand –, dürfte damit zu tun haben, dass die Mehrheit der pensionierten Bauern nur die Mindestrente bezieht. Was einerseits nicht verwundert, weil nur 45 Jahre vergangen sind seit die Mindestrente auch im Agrarsektor gilt. Andererseits dürften viele Bauern für sich als freiberufliche Betriebsleiter und für ihre Ehefrau oder Partnerin nicht mehr Beiträge gezahlt haben, als für die Mindestrente reicht. Dabei bezuschusst der Staat die Rentenbeiträge der Landwirte in besonderem Maß. Vom Beitrag von 16 Prozent, den ein Landwirt als Versicherter und als Selbstständiger zahlen muss, übernimmt die Staatskasse das Äquivalent eines Viertels vom Mindestlohn. Außerdem schießt sie einen variablen Betrag zu, der abhängig ist vom Einkommen des Bauernbetriebs. Ökonomisch würde daraus folgen, dass der Ertrag vieler Betriebe kaum mehr hergibt, als Beiträge in Richtung Mindestrente zu entrichten.

Mittlerweile scheint die Bauernzentrale sich damit abgefunden zu haben, dass es keine Mindestrentenerhöhung geben wird. Im Frühjahr forderte sie, stattdessen die Staatszuschüsse am qualifizierten Mindestlohn auszurichten und nicht am unqualifizierten – Landwirte seien schließlich „qualifiziert“. Dass ihnen erlaubt werden soll, kurz vor der Pensionierung noch Rentenrechte nachzukaufen, ist eine weitere Forderung der Centrale paysanne. Ob die Regierung, und besonders die CSV, geneigt sein werden, für eine wichtige Wahlklientel einen Schlauch auszurollen, statt sie ans Sozialamt zu verweisen, bleibt abzuwarten. Dass die Entscheidung, die Mindestrente nicht zu erhöhen, insbesondere gegen die Frauen und die Bauern geht, liegt auf der Hand. Als Martine Deprez am 29. Januar in der Kammer-Kommission Santé & Sécu auf die Forderungen der Bauernzentrale angesprochen wurde, erklärte sie, dafür sei die Landwirtschaftsministerin zuständig.

In dieser Sitzung Ende Januar hatte die Sozialministerin zum ersten Mal angedeutet, dass eine Mindestrentenerhöhung nicht beschlossene Sache ist. Sie erwähnte eine Studie der Generalinspektion der Sozialversicherung (IGSS), die ergeben habe, dass die Sache mit der Mindestrente „komplex“ sei. So steht es in dem Bericht auch. Doch nur zwei der 47 Seiten, auf denen es um die Wirkung von Sozialtransfers auf die Einkommenslage von Haushalten generell geht, sind der Situation von Pensionierten gewidmet. Zu ihnen stellt die IGSS fest, der „größte Teil“ jener Personen, die ein complément beziehen, das ihre Rente auf die volle Mindestrente hebt, gelange über die Schwelle von Prekarität hinaus, wenn man ihre Situation als Haushalt betrachtet – wie das für Sozialhilfeleistungen immer geschieht, im Gegensatz zu den personengebunden Leistungen der Sécu. Von den in Luxemburg ansässigen Mindestrentenbezieherinnen (meist sind es Frauen) sei rund die Hälfte verheiratet, hält die IGSS fest, weitere 40 Prozent verwitwet mit Hinterbliebenenrente. Entsprechend teilen die Lebenskosten sich entweder auf, oder es kann auf zwei Renten zurückgegriffen werden. Hinzu komme, dass eine Mindestrente auch Anrecht geben kann auf Hilfen aus dem Revis, auf die Teuerungszulage, die Energieprämie und verschiedene Steuerkredite. Und dass zumindest in den Steuerklassen 2 und 1a in diesen Fällen keine Einkommensteuer fällig wird. All dies in Betracht gezogen, habe eine solche Rentnerin 2023 über ein Jahreshaushaltseinkommen von 30 414 Euro verfügen können. Wogegen die Schwelle zur Prekarität für eine Person sich auf 28 160 Euro belief. Nur wer die halbe Mindestrente bezog, nach 20 Beitragsjahren statt nach 40 für die volle Mindestrente, geriet mit 27 237 Euro unter diese Schwelle.

So einleuchtend es ist, dass Sozialhilfe wirkt – wieso daraus der politische Schluss gezogen wurde, die Mindestrente nicht zu erhöhen und nicht dem Grundsatz zu folgen, dass die Sécu eine auskömmliche Altersvorsorge bieten soll, ist unklar. Es könnte damit zu tun haben, möglichst wenig Renten exportieren zu wollen – 2024 überwies die Rentenkasse CNAP zum ersten Mal mehr Rente ins Ausland, als sie im Inland auszahlte. Falls die Schlussfolgerung so lautete, läge sie nah bei dem Ansatz, Luxemburger Sozialleistungen frontaliers möglichst vorzuenthalten. Nicht mit jeder politischen Tradition würde der Verzicht auf eine höhere Mindestrente dann brechen.

Und leider ist das Senioren-Minimalbudget des Statec nur bedingt eine politische Entscheidungshilfe. Zwar wurde es mit dem festen Vorsatz aufgestellt, ein Minimum zu definieren. Die Dokumentation zum Senioren-Budget erläutert das: Sollten zum Beispiel Restaurantbesuche im Minimalbudget enthalten sein? Ja, wurde nach Diskussionen mit „Fokusgruppen“ entschieden, aber nur zwei pro Monat. Und eine Urlaubsreise? Ja, doch nur für eine Woche an die belgische Küste. Dann könne sogar Halbpension in einem Hotel (natürlich außerhalb der Saison) dem Minimium entsprechen. Denn dass ein alleinstehender Pensionierter eine Ferienwohnung mietet und sich dort alle Mahlzeiten selber zubereitet, gehe vermutlich an der Realität vorbei: Niemand fahre in Urlaub, um dort ähnlich wenig Gesellschaft zu haben, wie daheim.

Doch das Statec-Budget orientiert sich an Pensionierten, die zur Miete wohnen. Während in Wirklichkeit 82 Prozent Eigenheimbesitzer sind und 77 Prozent ihren Kredit getilgt haben. So dass dem Senioren-Budget unterstellt werden könnte, es greife zu hoch. Dem widerspricht gegenüber dem Land die Abgeordnete Djuna Bernard von den Grünen: „Das ist eine statische Sicht.“ Nicht nur würden Ehen geschieden und es könne sein, dass anschließend eine oder beide Ex-Eheleute zur Miete wohnen müssen. „Die Wohnungsnot ist außerdem groß genug, dass niemand wissen kann, wie viele Pensionierte in Zukunft Eigenheimbesitzer sein werden.“

Mit Blick auf die Zukunft hatte auch die Fondation Idea argumentiert, als sie in eines ihrer Reformszenarien eine höhere Mindestrente einbaute: Der Zuwachs der Altersarmutsrate um das Zweieinhalbfache innerhalb von zwölf Jahren deute vielleicht einen Trend an; das war für Idea ein Grund. Ein zweiter war der „Gender pension gap“, der laut EU-Kommission in Luxemburg 2022 bei 38 Prozent lag, zwölf Punkte höher als der EU-Schnitt und der drittgrößte nach Malta (45%) und den Niederlanden (40%). Er spiegele den hohen Anteil nur teilweiser Beitragskarrieren von Frauen wider, was zur Mindestrente führen kann, so Idea.

Dass sich an der Position der Regierung zur Mindestrente bei der nächsten Sozialronn noch etwas ändert, könnte sein. Bei dem Treffen am 3. September wird es vor allem um die Renten gehen, bei der letzten Runde am 14. Juli hatten OGBL und LCGB dem Vernehmen nach eine Erhöhung der Mindestrente verlangt. Doch nach allem, was über den letzten Vorschlag der Regierung bei diesem Treffen an die Öffentlichkeit gedrungen ist, scheint sie die Finger von den beiden „Stellschrauben“ im Rentenreformgesetz von 2012 lassen zu wollen: Dass die Anpassung bestehender Renten an die Reallohnentwicklung um mindestens die Hälfte gekürzt würde, sobald die Jahresausgaben der CNAP die Einnahmen aus Beträgen übertreffen – womit die CNAP nächstes Jahr rechnet. Und dass die Jahresendzulage zu den Renten ersatzlos wegfiele, wenn der Beitragssatz steigt – am 14. Juli stellte die Regierung eine Steigerung um drei Mal 0,5 Prozentpunkte in den Raum. Bliebe es bei all dem, könnte die Regierung argumentieren, dass der Verzicht auf das Stellschrauben-Drehen vor allem der Mindestrente zugutekomme. Auf ihr macht die Jahresendzulage 3,5 Prozent aus, dagegen 0,7 Prozent auf den – sehr theoretischen – 10 883,69 Euro Maximalrente im Privatsektor.

Peter Feist
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