Die kleine Zeitzeugin

Die gute Kaffeefee

d'Lëtzebuerger Land du 06.04.2018

Jetzt hat es auch dich getroffen, du edelste Bohne unter der Sonne und unter dem Mond und unter dem Halbmond. Jetzt hast auch du es auf die schwarze Liste geschafft, zumindest in deiner gerösteten Variante. Ein Verdacht steht im Weltraum, du könntest unser Kleben drastisch verkürzen. Könntest. U.U.. Eventuell. Es ist nämlich nicht bewiesen, dass du es nicht könntest. Diesen Unschuldsnachweis musst du erbringen, so fordert es die kalifornische Justiz von dir.

Denn wie so vieles, was erregend ist, könntest du Krebs erregen. Deswegen soll auf den Pappkübeln von Starbucks in Bälde ein Warnhinweis kleben, der die, die dich lieben, über die Gefahr informiert, in die sie sich begeben, wenn sie sich mit dir einlassen.

Als wäre Liebe je ungefährlich! Bei jedem Date wird bald ein Warnsignal aufblitzen: Achtung, Ihr Herz könnte brechen!

Kaffeetrinker nehmen, wie wir jetzt lernen, Acrylamid zu sich. Was nichts besonders Besonderes ist, das tut bratende, backende Menschheit seit Jahr und Tag, seit Jahrtausenden. Aber jetzt soll sie es bitte nur noch im vollen Bewusstsein ihres lasterhaften Risikoverhaltens tun, so sadistisch ist die kalifornische Justiz.

Risikoverhalten? Jeder Sonnenstrahl erregt den Krebs, Küssen und Liebe auch, Nicht- Lieben noch viel mehr. Und vielleicht sollten die kalifornischen Kaffee- Hunter mal eine über drei Jahrzehnte laufende, 2015 von der Harvard Universität veröffentlichte Studie zu sich nehmen. Danach sind Kaffeetrinker_innen weniger fett, die DNA wird praktischerweise auch gleich instand gehalten, die meisten Krebse kriegen sie nicht und sie leben länger. Und auch für ältere Dramen gibt es gute News. Trotz hoher Dosen bleiben sie knochendicht, also relativ. Kein Wunder, alles schwarze Magie.

Zur wichtigen Leber ist der Kaffee auch sehr nett und damit das perfekte Zweitgetränk für Weinliebhaber. Wasser, Wein und Kaffee, sowieso die große heilige Dreifaltigkeit! Gesegnet der Blutgruppenguru, nach dessen Lehre der Zeitzeugin exklusiv Rotwein, Wasser und Kaffee als Getränke verordnet wurden. Und die Pendlerin, die nachdem der in Kaffee getauchte Pendel über ihrem Schädel ausflippte, den Kaffee zu ihrem Lebenselexier ernannte.

Was wären wir denn ohne dich, holde Bohne mit Scharf, die die Türken uns neben Kanonenkugeln und Croissants mitbrachten? Barbar_innen, damit beschäftigt, stumpfsinnig Chikoree und Gerste zu verkohlen. Wer würde uns gerade richtig aufputschen, uns inspirieren? Und wie viele Dichterinnen gibt es, in deren Adern nicht altmodische Tinte, sondern lebendiger Kaffee fließt? Die assistiert von der Kaffeefee, der verlässlichsten Muse, ihre Tragödien verfassen? Balzac z.B. nahm täglich, nächtlich 50 Tassen zu sich. OK, schlechtes Beispiel, er wurde knappe 51.

In den Wiener Kaffeehäusern, ehrerbietig und liebend nach dir benannt und immer noch Rückzuggebiete für Zeitungs- und Kaffeesüchtige, bald vermutlich verpönt als Lasterhöhlen, kann man sich durch alle möglichen von der Kaffeefee inspirierten Eingebungen schlürfen.

Der sorgfältig zelebrierte Kaffeegenuss in Bosnien oder der Türkei, der knappe, scharfe italienische Espresso, das ätzend-bittere Gebräu, das in deutschen Landen unter dem Namen Kännsche das Urvertrauen unbedarft Reisender für immer zerstört. Um dann bei den tristen Alu-Kapseln zu enden, beim erbärmlichen Kaffeeautomaten, der jeden Haushalt, der auf sich hält, dominiert. Zu dem jeder Single pilgert, in diesen Kaffeeautomatenfamilien ist jeder ein Kaffee-Single, um sein Kaffee-Event autistisch autark durchzuziehen. Diese Auswahl! Dieses Programm! Entscheide dich, unterscheide dich! Gut, Kaffeemüllerin als Tag- und Nachtjob muss nicht sein, Kaffeemaschinistin ist schon ok., aber warum schart sich der Clan nicht mehr um die freundliche Kanne, die für alle da ist? Warum muss jeder auf den anstrengenden Ego-Kaffeetrip?

Vielleicht klebt wirklich bald auf den Pappkübeln des ausbeuterischen Kaffee-Imperiums Starbucks ein abschreckendes Foto mit verleumderischem Text.

Das sollte uns nicht die Bohne kümmern.

Wer will noch eine Tasse?

Michèle Thoma
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