Friedensbemühungen

Truthennenbegnadigung

d'Lëtzebuerger Land du 03.12.2009

Heute loben wir die aufwändigsten Friedensbemühungen. Diesmal müssen wir der Kolumne eine freundliche Warnung vorausschicken: Achtung, dies ist keine Satire! Der amerikanische Präsident Obama hat am Vorabend zum thanksgiving day ganz offiziell im Weißen Haus eine Truthenne begnadigt. „You will live“, bescheinigte er dem Tier namens Courage, dem somit das Schicksal erspart blieb, in den Mägen der Präsidentenfamilie zu landen. Sicherheitshalber begnadigte Pastor Obama − wieso zum Teufel schreiben wir hier „Pastor“? − noch eine zweite Truthenne, Caroline gerufen, für den Fall, dass die erste Begnadigungskandidatin aus irgendeinem Grund das Zeremo­niell nicht überleben sollte. Vor dem Staatsakt im Machtzentrum Amerikas übernachteten die beiden Truthennen übrigens in einem benachbarten Luxushotel. Achtung, dies ist immer noch keine Satire!

Der Friedensnobelpreisträger beweist mit dieser großzügigen Tat, dass er es ernst meint mit dem Weltfrie-den. Zwar fressen seine amerikanischen Landsleute am thanksgiving day Millionen Truthähne und Truthennen weg, aber das einzige, einmalige Exemplar Courage darf weiterleben. Courage ist das sichtbare Zeichen, dass es für jede Massakerregel die Überlebensausnahme gibt. Natürlich hätte Pastor Obama auch einen zum Tode verurteilten Ame­rikaner begnadigen können. Doch erstens sind die US-Bürger keine Kannibalen und fressen am thanksgiving day keine Artgenossen, und zweitens hat die Truthenne Cou­ra-ge mit der Todesstrafe in Amerika nicht das geringste am Hut. Und der Frieden sei mit uns! Zwar schickt Pastor Obama weitere 30 000 Sol-daten zum Kriegsspiel nach Afghanistan, also in ein Land, wo die Amerikaner nichts verloren haben, aber Courage muss nicht aufs ferne Schlachtfeld.

Courage wird den Rest seiner friedvollen Tage in einem Spezialgehege im kalifornischen Disneyland verbringen. Schwer zu sagen, was im Kopf einer Truthenne vorgeht. Wäre Courage ein Mensch, würde man sagen, Pastor Obama habe ihn nach Guantánamo verbannt. Disneyland ist die schlimmste Strafe, nicht nur für Truthennen. Zahllose Amerikaner mit Truthennen in den prallen Gedärmen werden Courage begaffen und vermutlich vor lauter Rührung in einem Disneyland-Restaurant noch eine weitere Portion Truthenne bestellen, um Obamas Friedensbemühungen stilvoll zu verdauen.

Noch friedliebender als Pastor Obama sind die Schweizer. Nicht etwa die Schweizer schlechthin, sondern jene 57 Prozent Eidgenossen, die − genau wie die amerikanischen Soldaten in Afghanistan − friedvoll mit dem Islam aufräumen möchten. Die­se Schweizer haben per Referendum erreicht, dass künftig in der Schweiz keine Minarette mehr gebaut werden dürfen. Minarette seien Symbole eines bedrohlichen politisch-religiösen Machtanspruchs. Schöner kann man es nicht formulieren. Auf katholisch heißt das Minarett „Kirchturm“. Jetzt haben uns die Schweizer eindrucksvoll bestätigt, was wir immer schon vermuteten: Kirchtürme sind Symbole eines bedrohlichen politisch-religiösen Machtanspruchs, vor allem im Gottesstaat Luxemburg. Nun wollen wir aber friedlich bleiben und nicht gleich den Abriss aller großherzoglichen Kirchtürme verlangen. Es wäre schon viel erreicht, wenn die Maisons de la laïcité ebenfalls mit beeindruckenden Glockentürmen ausgestattet würden. Die Genossen könnten ja zu jeder vollen Stunde die Internationale bimmeln. Wegen der ausgleichenden Gerechtigkeit. Das wäre echte Demokratie.

Auf dem Hetzplakat der schweizerischen Minarett−Gegner waren stilisierte Gebetstürme in Form von Raketen abgebildet. Fast könnte man denken: das Referendum war in Wirklichkeit ein Aufschrei gegen die Verbreitung gefährlicher Waffen. Allerdings haben die friedliebenden Schweizer in einer zweiten Volksbefragung mit großer Mehrheit dagegen gestimmt, die Waffenexporte der Schweiz künftig zu beschränken. Schweizerische Waffen wandern zum Beispiel massiv nach Saudiarabien und Afghanistan. In anderen Worten: sollten Islamisten je die Schweiz mit Waffengewalt angreifen, könn­ten die Schweizer wenigstens sicher sein, dass sie selber die Todesinstrumente geliefert haben. Darauf eine leckere Truthenne, und zwar eine nicht begnadigte! Mit einem Stück Schwäizerkéis zum Dessert!

So drehen wir friedenslustig im Kreis und sind wieder im waffenstarrenden Afghanistan angekommen. 30 000 frische US−Soldaten heißt: Todesurteil für abertausende Truthennen, zu vollstrecken am nächsten thanksgiving day. Keiner wird von den Friedensbringern in Afghanis­tan fordern, auf die mörderischen Traditionen der Heimat zu verzichten. Vielleicht reist Pastor Obama ja mal wieder persönlich an den Hindukusch und begnadigt symbolisch einen − fast hätten wir geschrieben „Afghanen“! Einen amerikanischen Truthahn, natürlich. God bless our turkey!

Guy Rewenig
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