Aufwertung der Arzthonorare

Gemeinsamer Nenner 6,67

d'Lëtzebuerger Land du 20.02.2003

Der Besuch beim Arzt soll teurer werden: Für eine Konsultation beim Allgemeinmediziner sollen anstelle zurzeit 22,20 Euro in Zukunft 25 Euro auf der Rechnung stehen. Das ist ein Detail, das Daniel Mart, Generalsekretär der Ärztegewerkschaft AMMD, preis gibt aus dem Verhandlungspaket, über das die AMMD kürzlich mit Gesundheits- und Sozialminister Carlo Wagner (DP) eine Einigung erzielte. "Zu schlecht honorierte Leistungen" sollen "aufgewertet" werden, hatte der Minister vor einer Woche erklärt, und "bestimmte" Tarife um "durchschnittlich" 6,67 Prozent steigen. Der für Allgemeinmediziner steigt um zwölf Prozent.

 

Zugute kommen sollen die neuen Regelungen laut der Ärztegewerkschaft neben den Allgemeinmedizinern auch Hautärzten, Kinderärzten, Psychiatern, Rhumatologen und wenig spezialisierten Internis-ten - sowohl bei Konsultationen in der eigenen Praxis wie bei Behandlungen in den Kliniken, die sie als Belegärzte erbringen. Steigen soll die Vergütung ebenfalls für magen-darmchirurgische Eingriffe. Einzelheiten wollen Regierung und AMMD in Kürze den Sozialpartnern vorlegen.

 

Wie diese den Kompromiss zwischen Minister und AMMD aufnehmen und inwiefern sie daraus eine politische Prinzipfrage machen, wird wesentlich darüber entscheiden, ob es Carlo Wagner gelingt, noch bis zum Sommer einen Schlussstrich unter den seit nunmehr drei Jahren schwelenden Streit um die Medizinerhonorare zu ziehen. Wagner und die AMMD betonen, es gehe nicht etwa um "flächendeckende", sondern lediglich um "selektive" Anpassungen. Insbesomdere für jene Mediziner, die vor allem "actes intellectuels" ohne Be-nutzung von Geräten leisten, denn "actes techniques" vergüten die Krankenkassen separat. Es würde der Tatsache Rechnung getragen, dass eine Konsultation beim Arzt mal ein paar Minuten, mal eine Dreiviertelstunde in Anspruch nimmt. Und es würden jene medizinischen Branchen aufgewertet, in denen entweder akuter Mangel herrsche, wie bei Kinderärzten, oder absehbar sei, wie bei Generalisten.

 

Der Selektivitäts-Verweis hat seinen Grund: Umgesetzt werden kann der Verhandlungskompromiss nur über eine Änderung des 1992 verabschiedeten Krankenkassenreformgesetzes. Dieses legt fest, dass die aus der Behandlungsnomenklatur der Krankenkassen entstehenden Tarife durch Multiplikation eines Koeffizienten mit einer "lettre-clé" bewertet werden. Während die Koeffizienten eine formale Gewichtung der Behandlungsakte nach deren Schwierigkeit vornehmen, auf eher wissenschaftlichen Erwägungen ba-sieren und ihre - selten erfolgenden - Abänderungen von einer Kom-mission erarbeitet werden, wird über Änderungen der "lettres-clé", die einen Geldwert enthalten, alljährlich in der Krankenkassen-Quadripartite unter Vertretern von Patronat, Gewerkschaften, Regierung und AMMD verhandelt. Heraus kommen Tarifänderungen, die jeweils pauschal und damit flächendeckend für sämtliche medizinische Berufsgruppen gelten, die mit der Krankenkassenunion konventioniert sind. Kommt die Regierung zu dem Schluss, dass verschiedene Behandlungen unterbewertet seien, und regt sie auf legislativem Wege Aufbesserungen an, setzt sie sich damit über zuletzt getroffene Verhandlungsergebnisse der Quadripartite hinweg - mit einem politisch motivierten Eingriff in die Tarifautonomie.

 

Schon gibt es erste Signale auf Gegendruck seitens der Gewerkschaften und des Patronats: Wenngleich ihnen das Kompromisspapier zumindest offiziell noch nicht vorliegt, nennt Pierre Bley, Quadripartite-Verhandlungsführer der Union des entreprises luxembourgeoises (UEL) die Abmachungen "frustrierend", OGB-L-Sozialsekretär René Pizzaferri "eine unzulässige Einmischung". Weil das Patronat keine Erhöhung der Krankenkassenbeiträge wünscht und die Gewerkschaften keine Leistungsverschlechterungen für die Versicherten, werde man "genau prüfen, wie selektiv die Maßnahmen wirklich sind".

 

Und das vor dem Hintergrund eines Streits, der schon vor mehr als einem halben Jahr eskaliert war: Die Quadripartiterunde beschloss per 1. Januar 2003 eine Honoraraufbesserung für alle Mediziner um 4,8 und alle Zahnärzte um 5,1 Prozent. Doch die AMMD hatte neben den Diskus-sionen in einer Arbeitsgruppe der Quadripartite um Fundamentalfragen zu Honoraren und die künftige Ausgestaltung der medizinischen Landschaft ihre Separatgespräche mit dem Gesundheits- und Sozialminister intensiviert. Die Arbeitgeberseite bestand darauf, dass mit Carlo Wagner eventuell getroffene Einigungen unbedingt in die nächs-te Honorarberechnung durch die Quadripartite einfließen müssten, und verlangte, eine entsprechende Klausel in das Abschlussdokument aufzunehmen. Die AMMD widersetzte sich, der Streit landete beim nationalen Schlichtungsamt, wo keine Einigung erzielt wurde. Demnächst muss sich die Schiedsstelle der Sozialversicherungen damit be-fassen. Kein einfaches Verdikt, denn dabei muss es um die Frage gehen, weshalb die AMMD jene Aufbesserungen, die ihr Carlo Wagner nun zukommen lassen will, nicht auch im Rahmen der regulären Verhandlungsprozedur erzielen kann. Ist doch laut Gesetz die AMMD selbst zuständig für die Feinverteilung des in der Quadripartite ausgehandelten Zuwachses unter den verschiedenen Medizinerbranchen. 

 

Doch dass sie damit Probleme hat und die Reihen der Ärzte mit Wunsch nach Einkommensverbesserung eventuell noch größer sind als die, denen der Held des Rententischs Carlo Wagner nun entgegenkommen will, dafür gibt es Anzeichen. Nicht nur ging parallel zu den laufenden Quadripartite-Sondierungen über eventuelle Grundsatzreformen in der Honorarstruktur der Cercle des médecins généralis-tes im Juli vergangenen Jahres mit eigenen Forderungen an die Presse. Während der AMMD-Jahresversammlung im letzten Herbst begehrten verschiedene Spezialisten gegen die AMMD-Führung auf, warfen ihr Schwäche vor und verlangten in einem unabhängig von ihrer Gewerkschaft verfassten Brief die Aufhebung der obligatorischen Konventionierung der Ärzte mit der Kassenunion. 

 

Carlo Wagner hatte sich vor einem Jahr politisch weit aus dem Fenster gelehnt, als er "Verständnis" äußerte für die Forderung der AMMD, die Ärzte nur noch teilweise mit den Kassen zu konventionieren und ihnen neben der Arbeit laut Tarif auch die Behandlung von Privatpatienten zu gestatten, um mehr Geld zu verdienen. Im Januar 2002 erklärte er, eine Einigung in dieser Frage sei "greifbar", und fügte frohgemut hinzu: "Am Rententisch haben wir uns auch einigen können. Wer hätte das damals gedacht?"

 

Damit hatte Wagner sich der AMMD anverpflichtet. Seitdem auf massiven Druck von OGB-L und LCGB hin sich die Chamber im Frühjahr letzten Jahres gegen eine Änderung der Konventionierung ausgesprochen hatte, gleicht seine Rolle der eines Feuerwehrmanns, der den Me-dizinern eine Verbesserung nach der anderen zugesteht in der Hoffnung, der große Konflikt und ein Steik, mit dem die AMMD immer wieder drohte, könne verhindert werden. Schon im Spätherbst 2000 zog er einen Gesetzentwurf zurück, der jene Ärzte, die in den Kliniken mit Hilfe krankenhauseigener Ap-parate "actes techniques" leisten, zu einem Beitrag zur Deckung des damals noch bestehenden Zwei-Milliarden-Franken-Defizits der Krankenkassen verpflichten sollte. Nächster Schritt war Anfang 2002 die Neuausrichtung des regionalen Bereitschaftsdienstes der Allgemeinmediziner gewesen, für den die Ärzte ein Auto mit Chauffeur gestellt bekommen und pro Dienst 371 Euro (15 000 alte Franken) Honorar erhalten. Es folgte der Versuch, im Gesetzentwurf über die zum 1. Januar dieses Jahres in Kraft getretenen Rentenanpassungen die Ankopplung der Arzthonorare an den Index unterzubringen, wogegen sich der Staatsrat wandte - nun soll die Indexankopplung in einem Zug mit der Gesetzesänderung zur Tarifanpassung erfolgen.

Unwahrscheinlich ist es nicht, dass die Honoraraufbesserung durchgesetzt werden wird.

 

Weder bei den Gewerkschaften, noch beim Patronat, noch innerhalb der politischen Parteien gibt es Dissens darüber, dass zum Teil eklatante Einkommensunterschiede unter den Ärzten bestehen. Der gemeinsame Nenner 6,67 Prozent könnte am Ende klein genug sein, um alle zufrieden zu stellen. Die Verhandlungen wurden mit der Maßgabe geführt, dass Beitragserhöhungen zur Krankenversicherung nicht vor 2005 erfolgen dürften. Das müsste das Patronat beruhigen. Weil Carlo Wagner sich UCM-Präsident Robert Kieffer als Berater an seine Seite gerufen hatte, könnte die Tarifänderung auch ohne Leistungsverschlechterung im Budget der Kassenunion unterzubringen sein und die Gewerkschaften zu-frieden stellen. Für die Versicherten dürften die Mehrkosten im Rahmen bleiben, falls die Eigenbeteiligungsrate nicht wächst: für Konsultationen beim Generalisten etwa wären anstatt heute 1,11 Euro künftig 1,25 zuzu zahlen.

 

Für Konfliktstoff aber könnte die Entscheidung der Schiedsstel-le der Sozialversicherungen in der Frage sorgen, ob die 6,67-Prozent-Aufbesserung in künftige Tarifberechnungen einfließen soll oder nicht. Falls ja, könnten die Honorare schon ab 1. Januar 2004 wieder sinken. Falls nicht, würden sie für einige Ärzte rückwirkend zum 1. Januar dieses Jahres um 6,67 plus 4,8 Prozent steigen.

 

Es ist dieses starke Erfolgssignal, das die AMMD an ihre nervöser werdende Mitgliederbasis zu senden wünscht. Fragt sich nur, ob vor allem das Patronat dem zustimmt. Bisher sieht es nicht so aus, und  schon sieht AMMD-Generalsekretär Daniel Mart eine "Eiszeit" zwischen Arbeitgebern und der Ärztegewerkschaft ausgebrochen.

Die Mediziner beruhigt zu haben - dieser zweite sozialpolitische Erfolg nach der Moderation am Rententisch könnte für Carlo Wagner am Ende doch nicht so leicht zu haben sein. Und es könnte sich herausstellen, dass er zwar den Ball aufnahm, der zwischen Ärzten und Sozialpartnern während der Tarifreformgespräche liegen blieb. In Anbetracht einer auch hier zu Lande immer kostspieliger werdenden medizinischen Versorgung sind allerdings ernsthafte und konzertierte Diskussionen über Ärztestruktur, Bedarfsplanung oder medizinische Vorsorge überfällig. Die voranzubringen, darin liegt für Carlo Wagner noch immer die große Herausforderung. Oder eben für die nächste Regierung, die sich dann auch mit eventuellen Beitragserhöhungen herumschlagen müsste.

 

Peter Feist
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