Entwurf zum nationalen Klimaschutzplan

Fahrt ins Blaue

d'Lëtzebuerger Land vom 11.05.2000

"Wir verabreichen unsere Umweltpolitik nicht in homöopathischen Dosen." Diese Antwort gab Umweltminister Charles Goerens (DP) in der Vergangenheit all jenen Kritikern, die meinten, seinem Ministerium mangele es an politischen Visionen und an Entschlusskraft.

 

Entsprechend hoch waren die Erwartungen, als Goerens und Umweltstaatssekretär Eugène Berger vergangenen Donnerstag den ersten Entwurf der Strategie nationale de réduction des émissions de gaz à effet de serre vorstellten - lanciert bereits vor drei Jahren von dem damaligen Umweltminister Johny Lahure (LSAP), aber immer wieder verschoben. Nun ist der Klimaschutzplan das erste originär aus dem Hause Goerens-Berger stammende Projekt seit Bildung der schwarz-blauen Koalition vor neun Monaten.

 

Die hohen Erwartungen hatten Charles Goerens und Eugène Berger zusätzlich noch geschürt: Diese Strategie soll den Fahrplan darstellen, nach dem Luxemburg seine Reise in ein klimafreundliches Zeitalter antreten und seine vor drei Jahren auf dem Welt-Klimagipfel in Kioto eingegangenen Verpflichtungen einlösen will. Und deshalb, so der Minister und sein Staatssekretär,  werde dieser Plan jene "starke Handhabe" sein, vor deren internationalem Hintergrund sich auch daheim so manche nach außen eher schwer vermittelbare politische Maßnahme durchsetzen lassen soll. Etwa im Energie- oder im Transportbereich. Immerhin hat Luxemburg mit dem Versprechen, seine Treibhausgasemissionen bis zum Jahre 2010 um 28 Prozent gegenüber dem Vergleichsjahr 1990 zu senken, sich rein nach Zahlen betrachtet das weitreichendste Klimaschutzziel innerhalb der EU gegeben.

 

Der Verweis auf die politische Dimension der Anti-Treibhausstrategie stimmt zweifellos. Kaum haben Minister und Staatssekretär sie vorgestellt, bläst ihnen auch schon der Wind ins Gesicht: "Unrealistisch" und potenziell schlecht fürs Wirtschaftswachstum nannte die Industriellenföderation Fedil vor einer Woche den Plan, der die Einführung von ökosteuern auf Brennstoffe und den CO2-Ausstoß vorsieht. Die Luxemburger Volkswirtschaft sei zu klein, um die mit solch hochgesteckten Klimaschutzzielen verbundenen Einschränkungen zu verkraften. Nuancierter trug der Wirtschafts- und Sozialrat seine Kritik in der jüngsten Prognose zu den ökonomischen Perspektiven des Landes vor: "Il suffit d'un ou de deux investissements industriels dans des secteurs particulièrement intensifs en énergie pour anéantir toute amélioration des résultats statistiques pouvant provenir d'efforts d'amélioration de l'efficacité énergétique dans les autres secteurs (habitations, secteur public, transport, autres industries)."

 

Womit der Wirtschafts- und Sozialrat den wunden Punkt der Klimaschutzstrategie getroffen hat. Sie ist angreifbar, weil sie wirklich nur eine Strategie beinhaltet. Die Reiseroute in eine klimatisch bessere Zukunft ist nicht abzusehen, eher eine Fahrt ins Blaue. Zwar konnten Charles Goerens und Eugène Berger vor einer Woche sechs strategische "Achsen" zur Re-duzierung der Treibhausgasemissionen präsentieren. Da wäre zum ersten die Förderung erneuerbarer Energien; zweitens die Steigerung der Energieeffizienz; drittens Energiesparmaßnahmen; viertens die Einführung einer Ökosteuer; fünftens  der ökologische Umbau des Transportwesens. Erst an sechster und letzter Stelle werden die so genannten Schlupflöcher erwähnt, die sich die Industrieländer auf den Welt-Klimagipfeln in Kioto 1997 und Buenos Aires 1998 erhandelt haben: Technologietransfer in die Entwicklungsländer, zwischenstaatliche Energieprojekte, aber auch der internationale Handel mit Emissionszertifikaten (33 Euro pro Tonne CO2) können die nationalen Treibhausgasbilanzen drücken. Luxemburg jedoch werde, so betonte Charles Goerens mehrfach, diese Schlupflöcher wirklich nur dann nutzen, wenn gar nichts mehr geht.

 

Wie diese Strategie-Überlegungen aber umgesetzt werden sollen, bleibt bislang weitgehend unklar. Dass er auch ein guter Taktiker ist, diesen Nachweis muss der auch für das Verteidigungsressort zuständige Charles Goerens in Umweltfragen erst noch erbringen. Auf den sechs strategischen Achsen werden 29 Bereiche genannt, in denen der Klimaschutz ansetzen soll. In welchem Umfang jedoch beispielsweise Energie gespart werden soll, und was zu tun sein wird, falls die Erwartungen sich nicht erfüllen, davon findet sich im Plan kein Wort. "Nicht operationell" ist er daher für den Mouvement écologique.

 

Wenig Bezug nimmt der Klimaschutzplan auch auf die derzeitigen politische Kräfteverhältnisse: Da ist im Plan die Rede vom Ausbau des öffentlichen Transports und davon, dessen Anteil am Gesamtverkehrsaufkommen bis auf 30 Prozent zu steigern. Diese gute Idee wurde  bereits vor einem Jahr im nationalen Nachhaltigkeitsplan festgehalten, den Goerens' Amtsvorgänger Alex Bodry hatte ausarbeiten lassen. Damals aber stand die Regierung noch geschlossen hinter dem BTB-Projekt, heute ist das anders. Wie also soll der Zuwachs im öffentlichen Transport erreicht werden?

 

Oder: Es wird einerseits bekräftigt, bis zum Jahr 2010 ein Zehntel des einheimischen Strombedarfs aus erneuerbaren Quellen zu decken (derzeit: rund ein Prozent), doch die Zuständigkeit für die Einspeisepreise für den grünen Strom verbleibt auch weiterhin beim Wirtschaftsminister. Und der ist gegen zu hochfliegende alternative Ideen, was sich bei der Auseinandersetzung um die Liberalisierung des Strommarkts gezeigt hat: Versuche des Umweltministeriums, für Luxemburg eine feste Quote für erneuerbare Energien zu definieren, wie es andere EU-Länder getan haben, sind am Einspruch Henri Grethens gescheitert.

 

So bleibt Goerens und Berger lediglich die Vergabe von Investitionsbeihilfen für den Neubau von Windkraftanlagen, die Installation von Solarzellen und Biogasöfen. Ob sich der Anteil regenerativ gewonnenen Stroms damit jedoch um das Zehnfache steigern lassen wird, steht dahin. Bei der Cegedel wurden am Rande der Bilanzpressekonferenz am vergangenen Freitag die zehn Prozent erneuerbarer Energien als Illusion bezeichnet.

 

Und hier offenbart sich ein weiteres entscheidendes Manktum der zurzeit vom Umweltministerium praktizierten Politik: Sie wird äußerst schlecht verkauft. Umweltpolitik bestehe zu 20 Prozent aus Politik und zu 80 Prozent aus Pädagogik, sagen Charles Goerens und Eugène Berger gern. Es gibt allerdings im Moment keinerlei vom Umweltministerium geförderten umweltpolitischen Diskurs hier zu Lande.

Dass es schlichtweg darum geht, den Wirkungsgrad der Volkswirtschaft zu erhöhen, das Verhältnis von energetischem Input und Output zu verbessern, wird nicht offensiv vermittelt. Obwohl nur aus diesem Blickwinkel und mit einem konsequent daraufhin abgestimmten Ökosteuersystem auch die Wirtschaft überzeugt werden könnte. So aber fordert diese eine "vorsichtigere" Herangehensweise, obwohl es noch vorsichtiger kaum geht: Für Eugène Berger entscheidet sich die Umsetzbarkeit der Klimaschutzziele nicht zuletzt an der Frage, wie der Benzintourismus nach Luxemburg sich künftig entwickelt. "Doch", sagt er, "es sind sich ja alle Parteien im Parlament einig, dass am Preisunterschied zum Ausland nicht gerüttelt werden soll." Und er stellt in Aussicht, sich bei der Europäischen Kommission und auf kommenden Klimagipfeln dafür einsetzen zu wollen, dass der hier zu Lande an ausländische Kunden verkaufte Sprit nicht länger der Luxemburger CO2-Bilanz angerechnet wird - was den Beitrag des Straßenverkehrs an unserer Treibhausgasbilanz um bis zu 60 Prozent verringern könnte.

 

Das ist denn doch taktisch clever. Zwar nicht um des Umweltschutzes willen, aber zur Konfliktvermeidung. Ob die anderen EU-Länder dabei mitspielen, fragt sich allerdings. Ist Luxemburg doch seine Klimaschutzverpflichtungen nicht aus ökologischem Übereifer, sondern im Rahmen eines europäischen Burden sharing eingegangen: Auch abzüglich des Tanktourismus ist das Großherzogtum noch der größte Klimasünder der EU, mit 16 Tonnen CO2 pro Kopf der Bevölkerung. Zweitplazierter Deutschland bringt es nur auf elf Tonnen. Und auch Eugène Berger weiß, dass für Luxemburg in Sachen Klimaschutz international einiges auf dem Spiel steht: "Wir werden als Schmarotzer angesehen."

 

Peter Feist
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