Beim Informationszugang wird der Staat von Gemeinden überholt

Open-Data-City

d'Lëtzebuerger Land vom 23.12.2011

Dass er sich überhaupt noch erinnern kann. Er wollte die „Modernisierung und Transparenz der öffentlichen Verwaltung beschleunigen“, so LSAP-Parteipräsident Alex Bodry im November. Im Juni 2000 hatte der Sozialist einen Gesetzesvorschlag eingereicht, der allen Bürgerinnen und Bürgern in Luxemburg den Zugang zu Verwaltungsinformationen zusichern sollte.

Elf Jahre später gibt es diesen generellen Zugang noch immer nicht. Und würde es Brüssel nicht geben, hätte Luxemburg wohl auch im Bereich der Umweltinformationen noch immer keinen. Unterstützung erhält Bodrys Initiative nun durch den Staatsrat. Das hohe Gremium hat den Text unter die Lupe genommen und erinnert: Auf europäischer Ebene besteht längst ein Zugang für EU-Bürger zu Verwaltungsinformationen. Das gilt einerseits für Institutionen wie dem Europäischen Parlament. Aber auch der Artikel 42 der Europäischen Menschenrechtskonvention hält fest: „Tout citoyen de l’Union (...) a un droit d’accès aux documents des institutions, organes et organismes de l’Union, quel que soit leur support.“

In Luxemburg kümmerte der Trend zu mehr Transparenz und Rechenschaft gegenüber den Bürgern die Regierung lange nicht. Staatsminister Jean-Claude Juncker hatte vor Jahren einen Informationszugang versprochen, aber als dann ein Vorentwurf auf dem Tisch kam, war er so restriktiv, dass der Presserat das „Desinformationsgesetz“ ablehnte. Nach den Weihnachtsferien will das Staatsministerium nun einen neuen Anlauf nehmen, auf Betreiben Junckers, der dies neuerdings auf die Prioritätenliste gesetzt haben soll.

Was die schwarz-rote Koalition auf nationaler Ebene lange ausgebremst hat, ohnehin kein Musterschüler in punkto Transparenz (der scheidende Wirtschaftsminister Jeannot Krecké weigerte sich, eine Anfrage von Greenpeace zur Stromversorgung von Arcelor Mittal zu beantworten, bis ihn das Gericht dazu verdonnerte), könnte für rund 90 000 Einwohner dennoch schon bald Realität werden: nämlich für all jene, die in der Hauptstadt wohnen. In ihrem Koalitionsvertrag erspricht die dortige blau-grüne Koalition unter der Überschrift Beteiligung ihren Bewohnern ein Auskunftsrecht. Darin verpflichtet sich die Gemeindeleitung: „mettre à disposition graduellement tous les documemnts internes de l’administra-tion communale qui ne tombent pas sous la protection des données sensible et privées“. „Unser Ziel ist es, die erste Open-data-Gemeinde in Luxemburg zu werden“, erklärt der grüne Vize-Bürgermeister Fränz Bausch im Land-Gespräch.

Das geht über die üblichen Gemeindeboten und Sitzungsberichte weit hinaus: So sollen sämtliche Pläne, Dokumente, Berichte nach und nach zugänglich gemacht werden. Vorbild sind Initiativen, wie es sie in den USA und Großbritannien – beides übrigens Länder mit weit reichenden Informationszugangsgesetzen – schon längere Zeit gibt.

Als das kalifornische San Franscisco vor zwei Jahren seine Transparenzinitiative vorstellte, erklärte Bürgermeister Gavin Newsom vor versammelten Journalisten: „Alle diese Daten, die genutzt werden, um zu regieren, sind nicht unsere Daten. Diese Daten sind für die Öffentlichkeit.“ Große Worte, denen die Stadt auch Taten folgen lässt. Wer wissen will, wo Baustellen sind, oder melden will, dass ein Parleitsystem nicht läuft, kann das online tun und erhält fast in Echtzeit eine Antwort. Der Bürger ist mehr als nur Steuerzahler, der alle Jahre wählen geht und ab und zu Dienste in Anspruch nimmt. Er kann diese auch mitgestalten. Es gehe darum, die Beziehung zwischen Bürger und Verwaltung auf eine“ dritte Dimension“ auszudehnen, so Newsom damals.

Ein ähnliches Modell schwebt auch den politischen Verantwortlichen der Hauptstadt vor: „Wir lassen nun juristisch prüfen, welche Informa-tionen wir in nächster Zeit schon zur Verfügung stellen können“, so Bausch. Ein Anfang soll mit Baugenehmigungen gemacht werden. Aber auch Umweltstudien oder Unterlagen für die Gemeinderatssitzungen sollen für alle Bürger online zugänglich gemacht werden.

Dass die Hauptstadt sich als erste Gemeinde Luxemburgs einer neuen Transparenz verschreibt, ist kein Zufall: Ein Teil des blau-grünen Schöffenrat ist den neuen Medien recht aufgeschlossen. Mehrere Schöffen sind im sozialen Netzwerk Twitter (wobei die Frauen, mit Ausnahme von Viviane Loschetter und Sam Tanson, die Nachhut bilden) unterwegs. Bürgermeister Xavier Bettel und sein Vize zählen zu denen, die sowohl Facebook als auch Twitter sehr gezielt einsetzen, um ihre Nachrichten unter die Wähler zu bringen. Von Bettel stammt die Idee, eine regelrechte Open-Data-Gemeinde zu werden. Die Grünen aber hatten sich neben Alex Bodry von der LSAP schon sehr früh für den Informationszugang stark gemacht: Nun gilt es, Worte in Taten umzusetzen.

Ein kleiner – oder größerer – Stolperstein könnte sich noch ergeben: Auch wenn die Stadt bereits mit Livestream-Übertragungen der Gemeinderatssitzungen im Internet einen neuen Geist nach außen demonstriert: Ob die Verwaltungen geeint mitmachen werden, wird sich zeigen. Die blau-grüne Koalition will nach Aussagen von Fränz Bausch jedenfalls keine Verordnung erlassen. Die Erfahrung um dem Ombudsmann und einem Informa-tionszugang auf staatlicher Ebene lehrt jedoch: Der größte Widerstand gegen Transparenzinitiativen – da bildet Luxemburg keine Ausnahme – kam fast immer von Verwaltungen, die sich mit dem neuen Rechenschaftsgedanken schwer tun.

Ines Kurschat
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