Überland-Busverkehr

Sparen, aber wo?

d'Lëtzebuerger Land vom 23.12.2010

Wenn am 1. Januar wie in jedem Jahr ein neuer Fahrplan für die RGTR-Überlandbusse in Kraft tritt, wird es keine Überraschungen geben. „Wir bauen keine Buslinie ab“, sagt Nachhaltigkeits- und Infrastrukturminister Claude Wiseler (CSV) im Gespräch mit dem Land. Fast sieht es so aus, als trete die Regierung damit einen weiteren Schritt von ihrem Sparpaket zurück. Denn das hatte auch den öffentlichen Transport betreffen sollen. Ihn auszubauen, bedeute nicht, „leere oder fast leere Busse fahren zu lassen“, meinte Pre-mier Jean-Claude Junckers (CSV) in seiner Erklärung zur Lage der Nation am 5. Mai, und kündigte an: „Bei den Buslinien wird gespart.“ Im Gegenzug jedoch würden viel genutzte Linien „verstärkt“. Verstärkt werden ab Samstag nächster Woche tatsächlich ein paar „Grenz[-]pendlerlinien“. Aber Streichungen gibt es keine. Einsparungen ebenfalls nicht: Die Staatsausgaben für die Überlandbusse im service public sollen nächstes Jahr mit 121 Millionen Euro sogar zehn Prozent über den 110 Millionen liegen, die der Staatshaushalt für dieses Jahr vorgesehen hat. Zu guter Letzt gibt es auch keine Tariferhöhung. Dabei hatte Finanzminister Luc Frieden (CSV), als er im April ein erstes Mal öffentlich zum Sparpaket Stellung nahm, erklärt: „Wir wollen mit richtigen Preisen besser fahren.“ Ihn so zu verstehen, als sei 1,50 Euro als politisch motivierter Billigpreis für die Durchquerung des ganzen Landes in Bus und Bahn nicht mehr zu halten, war zumindest nicht ganz abwegig. Doch mittlerweile hat sich gezeigt: Die Zusammenhänge sind komplex. Bisweilen sogar „extrem komplex“, sagt Nachhaltigkeitsminister Wiseler. Deshalb benutzt er Begriffe wie „Buslinien abbauen“ heute mit noch größerer Vorsicht als im Frühjahr. Damals rechnete er vor, auf 40 der 179 RGTR-Linien würden nicht mal vier Prozent der Maximalkapazität genutzt, und er konnte sich vorstellen, leer fahrende Busse „vielleicht nicht“ fahren zu lassen „oder sie dort einzusetzen, wo sie am nötigsten sind“ (d’Land, 14.5.2010). Nun warnt Wiseler von einer „Polemik um leere Busse“. Auf diese müsse man erwidern, dass Schulbusse halt leer zurück fahren, nachdem sie Schüler an der Schule abgeliefert haben. Und dass die Busbenutzung „meistens im Berufsverkehr am größten ist“. Doch weil bei den Fuhrunternehmen Busse nun mal angeschafft, Fahrer nun mal eingestellt sind, mache es „keinen großen Unterschied, ob ein Bus in der Garage steht oder leer fährt, so dass man ihn auch einsetzen kann“. Außerhalb der Spitzenzeiten kleinere Busse verkehren zu lassen, sei kein genereller Ausweg: „Da müsste man vorher die Busflotte praktisch verdoppeln.“ Dass der Minister heute die Komplexität der Zustände beschwört, wo er Anfang Juni auf einem Seminar mit dem Busunternehmerverband Fleea entschlossen ankündigte: „In den nächsten Wochen und Monaten werden die Buslinien optimiert“, hat damit zu tun, dass die Optimierungsarbeit begonnen hat – sich aber ergab, dass bei Kapazitätsabbau im dünner besiedelten ländlichen Raum der Bus viel an Konkurrenzfähigkeit gegenüber dem Auto verlieren könnte. Schon jetzt ist die Buskapazität nicht überall groß. Während im Umland der Hauptstadt sowie im Süden des Landes so gut wie alle Überlandbusse im Stundentakt oder noch häufiger verkehren, ist schon nördlich von Mersch und östlich von Junglinster nur auf den wichtigsten Linien einmal stündlich ein Bus unterwegs. Was auch daran liegt, dass im fast 2 100 Kilometer langen RGTR-Netz die Busbenutzung eine ganz ausgeprägte Spitze gegen sieben Uhr morgens hat und eine weitere zwischen 17 und 18 Uhr. Anpassungen gab es schon. Wie es im ländlichen Raum auch Linien gibt, die verlängert wurden, um auf ihnen den Busbetrieb rentabler zu machen. Mitunter verlängerte das die Fahrzeit zwischen zwei Orten derart, dass die Benutzung sank. Aus solchen Gründen hat der Verkéi-ersverbond begonnen, jede Buslinie zu analysieren. Nicht nur die 40 besonders schwach genutzten im ländlichen Raum: „Die muss man übergreifend betrachten, darf sie nicht aus dem Kontext lösen“, sagt Gilles Dostert, der Direktor des Verkéiersverbond. „Wir dürfen das Angebot nicht zu stark ausdünnen.“ Damit kommt Luxemburg, wo mehr als 80 Prozent aller Fahrten im öffentlichen Transport per Bus erfolgen, jenem „Buskonzept“ näher, das wie ein Gespenst immer mal wieder in der Transportpolitik auftaucht, seit 2002 der damalige Transportminister Henri Grethen (DP) sein Schienenverkehrskonzept mobilitéit.lu vorstellte und als Teil zwei ein Buskonzept versprach, aber nie vorlegte. Ein ähnliches Versprechen ging Premier Juncker im Frühjahr in der Tripartite ein, als er vorschlug, Petrolprodukte aus dem Index-Warenkorb zu entfernen und im Gegenzug den öffentlichen Transport gratis zu machen: Vermutlich hätte das mehr Nutzer gebracht. Nicht zuletzt, weil gleichzeitig die Kilometerpauschale abgeschafft werden sollte. Dass dafür die Angebotsqualität im öffentlichen Transport noch nicht reicht, wusste man im Nachhaltigkeitsministerium allerdings schon damals. Wie weit sie reichen soll, und welche Rolle Rufbusse dabei spielen können, ist aber noch Definitionssache. Darauf deutet auch die Auseinandersetzung hin, die Claude Wiseler im November mit dem Mouvement écologique führte: Der hatte im Kanton Capellen 1 100 Bürger-Unterschriften für ein „regionales Verkehrskonzept“ gesammelt. Damit könne, so der Méco, der Wegfall des Pilot-Rufbusses kompensiert werden, der bis Juni dieses Jahres zwei Jahre lang testweise im Kanton fuhr – anscheinend mit großem Publikumserfolg. Wiseler lehnte ab, der Méco war empört; auch, weil die 1 100 offenbar an Mobilitätsfragen interessierten Bürger aus dem Kanton nicht gehört werden sollen. Doch dahinter verbirgt sich ein prinzipielles Problem. Für den Minister hat der Capellener Versuch ergeben: „Als Zusatzangebot zum klassischen Bus kommt ein Rufbus nicht in Frage, nur als Ersatz.“ Wenn demnächst in einem größeren Feldversuch, diesmal in den dünn besiedelten Kantonen Redingen und Wiltz, erneut Rufbusse erprobt werden sollen, dann müssten reguläre Busse wegfallen, damit der Rufbus von vornherein als „Ersatz“ getestet wird. Ganz plausibel ist dieser Ansatz allerdings nicht. Denn die regulären Buslinien sind momentan entweder auf die Hauptstadt ausgerichtet oder auf „zentrale Orte“ über Land. Wenn es schon nicht weiter problematisch ist, leere Busse fahren zu lassen, brauchte man eigentlich keinen Rufbus als Ersatz dafür. Falls aber ein Rufbus auf dem Lande vor allem als Verbindung ins Nachbardorf gedacht sein sollte, das der klassische Bus nur mit Umweg über den nächstgelegenen „zentralen Ort“ ansteuert, wäre der Rufbus tatsächlich ein Zusatzangebot – und vielleicht sogar eine Alternative zum Auto. Dass er als Alternative zum klassischen Transport gebraucht würde, müsste sich ausschließen lassen: Im Kanton Capellen war in der Pilotphase das Angebot so großzügig, dass zum Beispiel Schüler der Mamer Lyzeums eine Fahrt im Rufbus orderten, statt auf den regulären Bus oder Zug zu warten. Aber vielleicht liefert der nächste Pilotversuch ja wertvolle Erkenntnisse dazu, wie sich ein verbessertes Angebot planen und kostengünstig betreiben lässt. Denn gerade im ländlichen Raum bleibt die Verkehrslage voraussichtlich dynamisch. Absehbar ist nicht nur, dass die Nachfrage im Busverkehr überall im Lande hoch bleiben wird, weil die Bevölkerung weiter wächst oder auch, weil neue Lyzeen eröffnet werden. Der Wohnungsbaupakt, das Geheimrezept der CSV gegen hohe Immobilienpreise, das auch kleine Dörfer auf jahrelanges Einwohnerwachstum verpflichtet, dürfte den Bedarf im ländlichen Raum erhöhen – nach klassischen Linienbussen, aber auch nach Zusatzfahrten. Denn Bevölkerungswachstum in Landgemeinden führt zunächst einmal zu mehr [-]Autoverkehr.

Peter Feist
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