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Kioto und die Moral

d'Lëtzebuerger Land vom 26.02.2004

Kommenden Montag wird es Tagesordnungspunkt der Tripartite-Sitzung sein: Luxemburgs Klimaschutzziel, zwischen 2008 und 2012 die Emissionen an CO2 um 28 Prozent gegenüber dem Referenzjahr 1990 zu senken. Zwar steht zurzeit noch in den Sternen, wann das 1997 abgeschlossene Kioto-Protokoll zum Klimaschutz in Kraft tritt, da nicht nur die USA sich der Teilnahme widersetzen, sondern auch Russland auf Zeit spielt. Anfang nächsten Jahres aber startet EU-weit für besonders energieintensive Industrien ein Emissionshandel, und die EU-Direktive über das "Emission trading" nimmt die Kioto-Ziele vorweg. Alle Mitgliedsländer müssen bis zum kommenden 31. März nicht nur den am "Emission trading" beteiligten Betrieben Verschmutzungskontingente zuweisen, sondern auch festlegen, wieviel CO2 ab Anfang nächsten Jahres von Privathaushalten, kleineren Unternehmen oder aus dem Transportbereich ausgestoßen werden darf.

 

Da Luxemburg sein Kioto-Ziel wahrscheinlich nicht erreichen wird und im Herbst 2003 vorgenommenen Schätzungen nach bis 2008 sogar um über 50 Prozent verfehlen könn-te (d'Land, 14.11. 2003), wird am Montag über die "Auswege" debattiert werden, die das Kioto-Protokoll jenen Staaten lässt, die ihr Einsparziel allein mit den so genannten "domestic actions" nicht erreichen. Von der Fedil bis zum OGB-L wird der Griff nach den "Clean Development Mechanisms" (CDM) verlangt. Sie gestatten jenen Industriestaaten, die 1990 einen nennenswerten CO2-Ausstoß hatten, in Schwellenländern oder Entwick-lungsländern Klimaschutzmaßnahmen zu finanzieren - vom Einbau von Filtern in Fabrikschornsteinen bis hin zum Bau von Stromerzeugern aus erneuerbaren Quellen. Dann winkt eine Emissionsgutschrift; Artikel 12 des Kioto-Protokolls legt fest, dass schon ab dem Jahr 2000 den Industriestaaten Investitionen in CDM möglich waren. Innerhalb der EU haben vor allem die Niederlande bisher davon Ge-brauch gemacht.

 

Der Vorwurf von Umweltverbänden, ein solcher "Freikauf" sei "unmoralisch", solange wirksame Reduktionsmaßnahmen daheim fehlen, trifft auf das Gegenargument, das Klimaproblem sei ein globales und finanzielles Engagement in der Klimaschutzvorsorge im Ausland deshalb nicht anstößig. Doch der Schein trügt, weil das Klimaproblem real ist. Und ganz akut beispielsweise für die kleinen Inselstaaten im Pazifik. Mikronesien etwa wird neuerdigs nicht nur von immer stärkeren Wirbelstürmen heimgesucht, auch der Gezeitenhub verstärkt sich. Als Vorboten eines Überschwemmungs-szenarios erodieren die Küsten des Archipels, versalzt das Grundwasser. Auf den Malediven wurde indessen schon mit dem Bau einer künstlichen Insel begonnen, die zwei Meter über dem Meeresspiegel empor ragt. Am anderen Ende der Welt werden die Polarvölker der Arktis von steigenden Temperaturen beunruhigt. Klimaexperten gehen davon aus, dass die Nordwestpassage, die Atlantik und Pazifik miteinander verbindet, in 50 Jahren während des Sommers völlig eisfrei sein wird.

 

Wenn an der Peripherie der industrialisierten Welt gelegene Staaten und Völker schon jetzt besonders vom Klimawandel betroffen sind, werden sie jedoch kaum Nutznießer der CDM sein. Die kleinen Inselstaaten emittieren wenig CO2, bieten kaum einen Markt für CDM-Projekte und damit wenig CO2-Ablass. Das ist anders in großen Schwellenländern wie Indien, China oder Brasilien. Wenn dort aber in energieeffiziente Technologien oder erneuerbare Energien investiert wird, ist dennoch Wirtschaftswachstum das Ziel, und es ist nicht ausgeschlossen, dass es alle Bemühungen um Emis-sionsvorsorge überkompensiert.

 

Moralische Beruhigung ist daraus nicht zu gewinnen. Ob solche Überlegungen die Tripartite am Montag anfechten werden, ist allerdings fraglich. Da die schwarz-blaue Regierung während der gesamten Legislatur keine konkreten Maßnahmen zum Erreichen der Kioto-Ziele festgelegt hat, diktieren nun die Sachzwänge die Diskussion. Und die heißen: "Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie" und "Absicherung der zu einem guten Teil vom System Tanktourismus abhängigen Staatseinnahmen".

 

Skandalös ist es dennoch, dass die Regierung es zulässt, den Volkssouverän zum Mittäter angesichts der Sachzwänge zu machen und das Problem im "huis clos" der Tripartite verhandeln lässt. Nicht nur, weil die Direktive zum Emissionshandel die Einbeziehung der Öffentlichkeit bei der Festlegung der Emissionskontingente ausdrücklich verlangt. Sondern auch, weil niemand sagen kann, wie stark die Nutzung von CDM über den nahen Wahltermin hinaus und über Jahre hinweg das Staatsbudget belasten wird. 

 

Peter Feist
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