Deeskalation?

d'Lëtzebuerger Land vom 04.10.2024

„Wir brauchen Deeskalation“, sagte Außenminister Xavier Bettel den Radiosendern am Mittwochmorgen, nachdem der Iran am Abend zuvor 180 ballistische Raketen auf Israel abgefeuert hatte. Premier Luc Frieden erklärte im

Dass tatsächlich der Fuß vom Gas genommen wird, danach sieht es allerdings nicht aus. In den internationalen Medien sagen die einen Expertenstimmen, der iranische Angriff sei ein Ausdruck von Schwäche gewesen. Dass Israels Vorgehen im Libanon Irans Stellvertreter-Miliz Hisbollah derart geschwächt habe, dass der Iran einem Zusammenbruch seiner „Achse des Widerstands“ nur zuvorkommen zu können meinte, indem er ähnlich wie im April Israel beschoss, aber nur wenig mehr Schaden anrichtete. Weshalb nun der Moment günstig sei, den Iran dauerhafter zu schwächen. Sei es durch einen Beschuss iranischer Öl-Pipelines und Raffinerien durch Israel, oder einen Angriff auf iranische Atomanlagen durch Israel und die USA gemeinsam.

Die anderen Stimmen warnen genau davor. Die Hisbollah sei nur momentan geschwächt, wie auch nur vorübergehend in ihrer Kommandostruktur Chaos herrsche nach den gezielten Tötungen durch die israelische Armee. Sie verfüge über weit mehr präzisionsgelenkte Raketen, als Israel bisher zerstören konnte. Noch habe sie diese Raketen nicht zum Einsatz gebracht, und die israelische Bodenoffensive im Südlibanon müsse davon ausgehen, dass das von der Hisbollah dort angelegte Tunnelsystem viel größer und ausgeklügelter sei als das der Hamas in Gaza. Der Iran wiederum verfüge über ein riesiges Raketenarsenal. Ein harter Angriff werde mit Sicherheit in einen Krieg münden, in dem das Teheraner Regime nicht weniger zu verlieren hätte, als seine Existenz, und deshalb alles einsetzen würde.

All das sind Szenarien und Argumentationen mit militärischen Begriffen, keine politischen. Militärisch hat Israel zurzeit die Oberhand, aber politisch für den Südlibanon genauso wenig einen Plan wie für Gaza. Militärisch mag die Hisbollah sich besiegen lassen, ideologisch nicht. Da der Libanon seit Ende des Bürgerkriegs 1990 in Wirklichkeit bald von Damaskus, bald von Teheran aus regiert wurde, mit der Hisbollah als verlängertem Arm, wäre ein völlig unregierbares Land absolut nicht im Interesse Israels. Und die hauptsächliche politische Herausforderung ist eine Lösung des Palästina-Konflikts, der das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser/innen berücksichtigt. Das würde allen Behauptungen der „Achse des Widerstands“, legitime palästinensische Interessen zu verteidigen, die Grundlage nehmen und wäre im langfristigen Interesse Israels. Sonst lässt auch die Hamas sich ideologisch nicht besiegen.

Im Moment hat das nicht nur für die israelische Regierung keine Priorität, sondern für die jüdische Bevölkerung des Landes ebenfalls nicht: Der Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober vorigen Jahres kostete so viele Menschenleben wie kein anderer Angriff seit dem Krieg von 1948. Ganze Ortschaften wurden von Menschen geleert. Daher rührt der so verbreitete Wunsch nach Vergeltung. Nach den militärischen Erfolgen im Südlibanon hat die Zustimmung für die Armee neue Höhen erreicht. Die für Premier Benjamin Netanyahu hat ebenfalls zugenommen. Und vier Wochen vor den Präsidentschaftswahlen in den USA hat nicht einmal die Regierung in Washington mehr viel Gewicht, um Israel zu beeinflussen. Die öffentliche Absage von Präsident Joe Biden an einer Beteiligung der USA an einem Angriff auf iranische Atomanlagen war womöglich das letzte deutliche Signal. Weiter zu gehen, den Druck zu erhöhen für einen Waffenstillstand in Gaza und neue Gespräche für palästinensische Autonomie, könnte Donald Trump zu zusätzlichen Stimmen verhelfen. „Look at the missiles flying right now in the Middle East“, schrieb er am Dienstagabend in den sozialen Medien, „look at what’s happening with Russia/Ukraine, look at inflation destroying the World. NONE OF THIS HAPPENED WHILE I WAS PRESIDENT!“

Eine Eskalation im Nahen Osten ist wahrscheinlicher als eine Deeskalation Die EU sucht dazu noch nach einer gemeinsamen Position. Wie Luc Frieden am Mittwoch sagte, werde der nächste Europäische Rat sich damit beschäftigen.

Peter Feist
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