Schulen sollen nachhaltiger werden. Aber was heißt das, wenn Bildungsprojekte punktuell und ohne Gesamtstrategie bleiben?

Grüne Schulen

d'Lëtzebuerger Land du 25.01.2019

„Ich plädiere hiermit schon mal auf völlige Schuldfähigkeit.“ Bitter-ironisch endet der „vorweggenommene Entschuldigungsbrief an unsere Kinder“, den Kolumnist Marc Baumann in der Süddeutschen Zeitung unter dem Titel „Urlaub war uns wichtiger als eure Zukunft, sorry“ vor anderthalb Jahren schrieb. Es war der satirische Versuch zu erklären, warum seine Generation trotz Klimakrise nicht mehr zur Rettung von Natur und Umwelt unternimmt.

Ein knappes Jahr später war es dann an Greta Thunberg, den Erwachsenen die Leviten zu lesen: Mit einer flammende Rede auf der Weltklimakonferenz im polnischen Katowice sorgte die damals 15-Jährige für Schlagzeilen. Tenor ihrer dreiminütigen unerschrockenen Intervention: Ihr redet von der Zukunft euer Kinder, aber seid zu feige, wirksame Maßnahmen gegen Umweltzerstörung und Ungerechtigkeit zu ergreifen. Thunberg hatte aus Protest jeden Freitag die Schule geschwänzt und vor dem schwedischen Parlament demonstriert, damit ihr Land die Klimaziele von Paris umsetzt. Ihre Initiative fand Tausende NachahmerInnen, meist Kinder. In Luxemburg gab es kaum vergleichbare Proteste, aber das Umweltthema beschäftigt Kinder und Jugendliche hier ebenso. Laut nationalem Jugendbericht der Uni Luxemburg engagieren sich luxemburgische Jugendliche in den Bereichen Kultur, Sport und Umweltschutz.

Vor diesem Hintergrund hat die DP-LSAP-Grüne-Koalition erneut bekräftigt, Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt ihrer Politik zu stellen. So steht es im Regierungsvertrag. Erneut, denn das war schon 2013 der Fall. Nachhaltige Entwicklung soll, so präzisiert das Kapitel zu Bildung, Kindheit und Jugend, fächerübergreifend sowohl im Kindergarten als auch in der Schule thematisiert werden und sich durch alle Ausbildungen und Weiterbildungen ziehen. Lehrpläne sollen „Jugendliche – und Erwachsene – über die Komplexität unserer Gesellschaft aufklären, sie anhalten, ihr Verhalten zu ändern, um sie auf eine nachhaltige Zukunft vorzubereiten und damit sie als verantwortliche Bürger für künftige Generationen handeln.“ (Dass es Erwachsene waren und sind, die Raubbau auf der Erde – und künftig im Weltall – betreiben, steht dort nicht.)

Das klingt gut, nur was meint nachhaltig eigentlich und wie nachhaltig sind ihrerseits Ansätze und Projekte in dem Bereich? Nachhaltigkeit befindet sich auf der Tagesordnung von Ministerium und Schulen, seitdem die Unesco 2005 bis 2014 zum Jahrzehnt für nachhaltige Bildung ausgerufen hatte. Nachhaltige Entwicklung meint ihr zufolge, Menschenwürde und Chancengerechtigkeit für alle in einer intakten Umwelt zu verwirklichen. Eine Charta des 2008 ins Leben gerufenen interministeriellen Komitees griff die Idee für Luxemburg 2009 auf; sie wurde im Herbst 2012 von 44 staatlichen und nicht-staatlichen Organisationen unterschrieben. Im selben Jahr ging die Plattform www.bne.lu online. Ein Leitfaden für nachhaltiges Lernen formulierte eine Strategie zur Umsetzung. 2016 veröffentlichte der Nachhaltigkeitsrat Szenarien für Bildung im Jahr 2030, „die für die Luxemburger Situation am plausibelsten und relevantesten für das Überdenken der Zukunft des Luxemburger Schulsystems im Hinblick auf die Herausforderungen der Nachhaltigkeit sind“. Doch der darin in Aussicht gestellte Rahmenlehrplan zur Nachhaltigkeit kam nie. Der Elan ließ nach.

Die Pressestelle des Bildungsministeriums verweist auf den Service de Coordination de la recherche et de l’innovation pédagogiques et technologiques (Script) als Anlaufstelle, um zu erfahren, wie Schulen die Nachhaltigkeitsziele heute umsetzen. Der zuständigen Koordinatorin,Annechristien Grevink zufolge laufen derzeit mehrere Projekte. Das hauptstädtische Lycée Aline Mayrisch etwa verschenkt unter der Überschrift Laml goes green wiederverwendbare Flaschen an Schüler der siebten Klasse, die sie bei Bedarf an Wasserstationen auffüllen können, statt jedes Mal neu Wasser in der Plastikflasche zu kaufen. Die Aktion wird unterstützt von der Schul-Caféteria, die versucht, Verpackungsmüll zu vermeiden.

Restopolis, größter staatlicher Schulkantinenbetreiber in Luxemburg, ist seit längerem nachhaltig unterwegs: Sei es beim Einkauf und der Herstellung, wenn gezielt lokale Produkte verwendet werden, um Transportwege zu verkürzen, durch gesunde fair gehandelte (Bio-)Lebensmittel, durch den Weiterverkauf von Mahlzeiten von gestern oder durch die Teilnahme am nationalen Müllvermeidungs- und -trennungsprogramm der Superdreckskëscht. Demnächst plant die Betreibergesellschaft eine Kampagne zum Thema Plastik. Das geschehe „aus Überzeugung“, sagt Leiterin Monique Ludovicy. Als nächstes möchte sie stärker an Zulieferer herantreten, damit diese mehr nachhaltige, verpackungsarme Produkte anbieten. „Viele befinden sich noch in der Komfortzone. Da müssen wir Überzeugungsarbeit leisten“, sagt sie. Der Druck, weniger Verpackung zu verursachen, kam teils von den Schulen selbst, wie der Schlussbericht des Projekts Think globAL – act locAL des Athenäums 2014 festhielt.

Die Initiative war bis dato der größte systematische Vorstoß in punkto nachhaltiger Bildung. Anknüpfend an Ziele der Unesco, machte sich ein Team um Mathelehrer Marco Breyer 2010 daran, ein Konzept zu entwickeln, wie eine nachhaltige Schule aussehen könnte. Dabei ging es um weit mehr als die Klassiker Abfalltrennung und Abfallvermeidung: Breyer und seine Kollegen wollten ein pädagogisches Konzept auf die Beine stellen, „wie Schüler und Lehrer vernetzter denken könnten, um im Schulalltag nachhaltig zu handeln“, dies mit freiwilligen klassenübergreifenden Projekten wie einer Öko-Rallye oder der Einrichtung von Umweltklassen.

Die Idee traf anfangs auf Skepsis: Unter KollegInnen, weil sie Mehrarbeit fürchteten, bei manchen Eltern und Schülern, die keinen moralischen Zeigefinger wollten. Aber schon bald gab es auf allen Jahrgangsstufen je eine BNE-Projektklasse, wurden gemeinsam mit dem Lehrer-Weiterbildungsinstitut Workshops und Fortbildungen rund um Nachhaltigkeit und Umwelterziehung für die rund 60 engagierten Lehrkräfte organisiert. Das Konzept schien zu greifen. Und dann war plötzlich Schluss.

„Letztlich war unser Projekt nicht sehr nachhaltig“, räumt Marco Breyer im Rückblick ernüchtert ein. In der Stimme schwingt Frust mit. Als dreijähriges Schulentwicklungsprojekt (projet d’établissement) endeten mit der Projektzeit die Freistellungen der beteiligten Lehrer. Aus dem Vorhaben, die Initiative an andere Schulen zu tragen oder gar ein grünes Label für nachhaltige Schulen zu entwickeln, wurde nichts.

Probleme mit der Nachhaltigkeit von Schulentwicklungsprojekten gibt es nicht nur beim Umweltthema: Viele Lehrer haben prall gefüllte Stundenpläne, Initiativen neben dem Unterrichtsfach brauchen aber Zeit. Die Freistellungen, die das Ministerium für pädagogische Innovation gewährt, werden meistens befristet genehmigt. Vergessen wird dabei, dass Koordination, Betreuung einer Webseite, auch nachdem ein Projekt in den Schulalltag überführt wurde, nicht nebenher gemacht werden. Zumal konkret beim Athenäum das Nachhaltigkeits-Konzept auf weitere Schulen im Land ausgedehnt werden sollte.

Auf Nachfrage bei Annechristien Grevink vom Script heißt es wohl, das Ministerium habe diese Pläne nicht aufgegeben. Derzeit unternimmt der Service einen neuen Anlauf, um eine Übersicht sämtlicher nachhaltiger Schulprojekte zu erstellen. Das ist lobenswert, zeigt aber zugleich, dass mehr als zehn Jahre nach der Charta zur nachhaltigen Bildung noch immer keine nationale Anlaufstelle existiert, die so aufgestellt und ausgerüstet ist, dass sie alle Informationen und Initiativen zentral sammeln und auch fachlich begleiten kann. Dass also die ministerielle Organisation der grünen Projekte selbst alles andere als nachhaltig ist.

Der zuständigen Person im Script ist kein Vorwurf zu machen; sie ist nur teilweise freigestellt und Luxemburg hat mehr als 150 Grundschulen und über 30 öffentliche Sekundarschulen. Eine Person ist zu wenig, um eine landesweite Strategie zu koordinieren. „Unser Vorschlag war damals, in jeder Schule eine Person freizustellen, die die Koordination schulintern übernommen hätte, sowie es die Sicherheitsbeauftragte tun“, sagt Marco Breyer. Solche Ansätze gibt es in „grünen“ Vorreiterländern wie Dänemark und Norwegen.

Dazu braucht es aber neben einer Anlaufstelle in Script und Ministerium auch klare Verantwortlichkeiten in Sachen Nachhaltigkeit in anderen Bereichen, etwa in der Fortbildung oder Berufsausbildung. Bei der Medienerziehung ist die Professionalisierung im Gang, inzwischen gibt es einen Medien-Wettbewerb und Medienerziehung ist im Prinzip vorgesehen. Gleichwohl war bislang kein Budget dafür vorgesehen und in den Lehrplänen spielt das Thema weiterhin eine Nebenrolle.

Weil es an einer koordinierten Strategie mangelt, hängt die Umsetzung nachhaltiger Ideen umso stärker vom Engagement vor Ort ab. Motivierte Schulen und Lehrkräfte gibt es: Die Ganztagsschule Eis Schoul bringt Kindern Umweltzusammenhänge durch den Besuch pädagogischer Bauernhöfe näher. Eine Gruppe Schüler besuchte am Dienstag im Rahmen eines Aufklärungsprojekts Luxemburgs einziges verpackungsarmes Lebensmittelgeschäft Ouni. „Wir bekommen immer mehr Anfragen von Schulen, die Kinder unser Konzept zeigen wollen“, sagt Ouni-Geschäftsführer Stephan Kinsch. „Wichtig ist, dass Kinder Nachhaltigkeit konkret erleben.“

Den meistens Initiativen ist bis heute gemeinsam: Sie sind voll gutem Willen, setzten jedoch oft punktuell an. Es fehlt ein systematischer Ansatz. Und es fehlt eine pädagogisch-didaktische Herangehensweise, die, ohne Meinungen und Haltungen vorzugeben, auf Widersprüche hinweist. Die Regierung mag sich Nachhaltigkeit auf die Fahnen schreiben, aber wie nachhaltig ist ein Wirtschaftsmodell, das auf permanentem Wachstum aufbaut?

Kniffelig dürfte auch werden, Nachhaltigkeit transversal in den Lehrplänen zu verankern und dann in Unterrichtspraxis und Schulalltag einzubringen. Bisher ist der Werteunterricht Vie et société das einzige Fach, das dafür einen Platz vorsieht. Nicht nur, weil Lehrer sich ungern in ihr Fach hineinreden lassen, sondern weil sie ans Neutralitätsgebot gebunden sind. Sie dürfen Schüler nicht indoktrinieren. Wie aber sieht eine Umwelterziehung aus, die Lebens- und Handlungsweisen nicht vorschreibt, die Raum lässt für Dissens und Kontroverse und den Hype um Nachhaltigkeit auch kritisch reflektiert?

Ines Kurschat
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