Design für eine grünere Welt: Gestalter wollen die Pflanzenblindheit überwinden

Zusammen Wachsen

d'Lëtzebuerger Land vom 25.03.2022

Vegetarier oder gar Veganer – reicht das nicht mehr, um ein guter Mensch zu sein? „Wir sollten selbst Pflanzen werden und die Lebensweise von Pflanzen übernehmen“, finden Laura Drouet und Olivier Lacrouts. Die Design-Forscher des nomadischen Studios d-o-t-s wollen die Flora nicht mehr „nur als Material oder dekoratives Element betrachten“. Mit einem Manifest für Pflanzen-zentriertes Design fordern sie, Blumen und Ranken als eigenständige Lebewesen zu würdigen.

Für die Kulturhauptstadt Esch2022 haben die beiden Freunde der Botanik im Herbst in den aufgegebenen Zolwer-Treibhäusern in Sanem eine Ausstellung zur Geschichte des Gewächshauses und der Schnittblumenindustrie eingerichtet: das Gewächshaus als „Emanzipationsraum“, aber auch als „Instrument der Aneignung und Kolonisierung“.

Größer ist die Wanderausstellung Pflanzenfieber, die Drouet und Lacrouts für das belgische Design-Museum CID gestaltet haben. In diesem Frühjahr macht die Schau Halt im Museum für Gestaltung in Zürich, anschließend wird sie nach Dresden ziehen. Sie präsentiert rund 50 Projekte von Künstlern und Tüftlern aus mehr als 20 Ländern: Design und Mode, Architektur, neue Technologien und futuristische Utopien. Gegliedert ist die Ausstellung in die drei Teile „Pflanzen als Ressource“, „Pflanzen als Haustiere“ und „Pflanzen als Verbündete“.

Die erhoffte „neue Beziehung“ zum Grünzeug scheint allerdings nicht so einfach zu sein. Meist laufen die Ideen doch wieder darauf hinaus, die Pflanzenwelt für menschliche Zwecke auszubeuten. Etwa indem bislang ungenutzte Abfälle verwertet werden: Kleider aus Ananasblättern, Schuhe aus Hanf, Lampen aus Häutchen von Kaffeebohnen, Hocker aus Kiefernnadeln oder kompostierbare Vasen aus Blumenresten. Kaum selbstlos motiviert sind auch aufblasbare Gewächshäuser, Do-It-Yourself-Bausätze für Hydrokultur oder Anpflanzungen, die Metalle aus belasteten Böden ziehen.

Manche Designer lassen Pflanzen gleich die ganze Arbeit machen: In London zwingt Carole Collet Kürbisse in vorgegebene Formen, und Alice und Gavin Munro lassen Weiden zu Stühlen heranwachsen. In Amsterdam steuert Diana Scherer das Wachstum von Wurzeln: Textilien, die sich selbst weben.

Immerhin wollen mehrere Projekte „den Krieg gegen invasive Pflanzen stoppen“. Das slowenische Kollektiv Trajna hat ein robustes Packpapier aus Japanknöterich entwickelt. Die Wiener Designerin Alexandra Fruhstorfer schlägt vor, lästige Neophyten einfach aufzuessen: „Die Samen des Indischen Springkrauts schmecken nussig, roh oder gebraten. Die wunderschönen süßen Blüten können zu Sirup verarbeitet werden.“

Uneigennützig scheint dagegen die „Sex-Beratung für Pflanzen“ von Pei-Ying Lin: Dem nur noch durch Klonung vermehrten Safranwurz soll Bestrahlung wieder zu Mutation und einem „Sexleben“ verhelfen. Für Lilien, die bislang auf Kolibris angewiesen sind, entwickelte die taiwanesische Künstlerin kleine Ringe, die eine Bestäubung durch Bienen ermöglichen.

Hilfreich ist auch Harpreet Sareen aus Indien: Er hat einen Roboter auf Rädern gebaut, mit dem Pflanzen ins Licht fahren können. Andere Gestalter entwerfen Blumentöpfe speziell für die Bedürfnisse von bestimmten Gewächsen. Die finnische Künstlerin M Wingren füttert Hauspflanzen lieber mit ihrem eigenem Blut als mit Knochenmehl und getrocknetem Tierblut, wie sonst üblich.

An der Überwindung des Dualismus von Mensch und Natur tüftelt Marie Declerfayt in Eindhoven: „Pflanzliche und menschliche Gewebe teilen mikroskopische Ähnlichkeiten, die eine Hybridisierung als Möglichkeit erscheinen lassen“, ja sogar einen „neuen Posthumanismus auf Pflanzenbasis“. Auf Deutsch: Die Designerin spekuliert über eine Transplantation von Knochen aus Pappelholz in den menschlichen Körper.

Bevor Bio-Cyborgs Wirklichkeit werden, müssen Pflanzen erst einmal besser wahrgenommen werden. Im Laufe der Evolution wurden unsere Augen darauf trainiert, den Bären zu sehen, das Reh, das Eichhörnchen – nicht aber das Grün im Hintergrund. Gegen unsere angeborene „Pflanzenblindheit“ wendet sich im Zürcher Museum für Gestaltung derzeit auch eine zweite, kleinere Ausstellung. Die Mailänder Designer Andrea Trimarchi und Simone Farresin dokumentieren darin die oft unschöne Geschichte und Gegenwart der globalen Holzindustrie.

Beeindruckend, was Bäume und Blumen alles können! Aber auch beunruhigend: Was dürfen sensible Menschen noch essen, wenn der Salat so intelligent ist? Da weiß auch das Manifest für ein Design aus Pflanzensicht keine Antwort. Kleinlaut räumt es ein: „Wir können nicht darauf verzichten, Pflanzen zu nutzen.“ Trotzdem sind die Ausstellungsmacher optimistisch: „Das veraltete Denken zu hinterfragen, wonach Pflanzen bloß leblose Objekte seien, kann zu respektvolleren Beziehungen zu ihnen und zu anderen nicht-menschlichen Wesen führen.“

Greenhouse Stories in Sanem ist ein Projekt im Rahmen von Esch2022: loop22.lu/projets/histoiresdeserres

In Zürich (Toni-Areal) ist Plant Fever: Design aus der Pflanzenperspektive noch bis zum 3. April zu sehen. Cambio: Baum, Holz, Mensch noch bis zum 8. Mai: museum-gestaltung.ch. Zum Begleitprogramm gehören ein Buch, ein Online-Journal und Kinderspiele: plantfever.com

Martin Ebner
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