Eigentlich wollen wir doch nichts lieber, als im Theater unterhalten zu werden, wenn Humor mit Intelligenz daherkommt. Wenn Nico Helminger als Autor auf dem Plakat steht, kann dies geschehen. Kann, muss nicht. Denn: Helmingers Sprachwitz kann zum Besten wie zum Schlechtesten gereichen.
Meist schmeißen sich mehr oder weniger abgehalfterte Charaktere „Scheiße“ um die Ohren, quälen und beschimpfen sich in irgendeinem abgestandenen Rattenloch im Land der Trostlosen. War es nicht mitunter ungemein peinlich, war es manchmal zum Schreien komisch? Wie klangen denn noch Helmingers Sprachakrobatien in Lorenzinis Schandmaul, um wie viel besser hörte es sich bei Werner und Wagner an? Da bei Helminger die Sprache Thema ist, ist die Verkörperung des sprachlichen Ausdrucks die halbe Miete. Oder anders ausgedrückt: wenn sich der Regisseur den bestmöglichen Schauspieler angelt, ist die Inszenierung ein Erfolg.
Regisseurin Nathalie Ortner, bisher vor allem in der Regieassistenz ak-tiv, hatte bei Steve Kariers Antigone erlebt, wie das Berliner Multitalent Martin Engler manch Unebenheit der Regiearbeit und Schwächen der Schauspielkollegen ausgleichen konnte. Nathalie Ortner hat sich für ihre erste eigene Regie den fulminanten Kreon von damals sichern können – ein Glücksfall für Nico Helmingers Pegel der Gerechtigkeit. Da dem Stück ein 1988 entstandener Hörspieltext zugrunde liegt, konnte die Inszenierung aus nicht viel mehr als Schauspielkunst mit einigen starken Eindrücken in Bild und Ton bestehen. Mit den wenigen Zutaten, die zur Verfügung standen, hat Nathalie Ortner ihr Debüt in der Escher Kulturfabrik glänzend bestanden: Es ist witzig und intelligent.
Wenn schon Huis-Clos, dann richtig: der Künstler The’d Johanns hat für die bedrückende Ménage-à-deux einen eng bemessenen Raum in einer Art Container entworfen. So eng, dass man dauernd auf den Moment wartet, in dem die Figuren endlich ausbrechen. Der Moment, der nie kommen wird. Denn, in einer für Helminger typischen Konstellation, gibt es keinen Ausweg aus der irren Zweisamkeit dieses in die Jahre gekommenen Paares, das sich gegenseitig in Vergangenheit und Gegenwart zermürbt. Martin Engler verkörpert einen heruntergekommenen Möchtegern-Entertainer, dessen Dasein sich aus Fliegenfressen, paranoiden Obsessionen und der absoluten Kontrolle über seine kranke Frau zusammensetzt. Die Luxemburgerin Josiane Peiffer, gefesselt und geknebelt, ist des Herrn traurige Projektionsfläche, eine vage Erinnerung an gemeinsam verbrachte Stunden in San Remo, seine beste Besessenheit.
Und dann gibt es noch eine andere Dimension, „das Leben der Anderen“. In seinem privaten Horrorszenarium zählen die Lauscher, die Wanzen, die alles mithören, dazu. Wir Zuschauer werden zu Lauschern, zu den stummen Nachbarn, die alles miterleben und in diese trostlose Darbietung des „Bis dass der Tod sie scheide“ nicht eingreifen können. Zu René Kollos Der schönste Tag in meinem Leben wird der Horcher-Pegel bis ins Unerträgliche gesteigert.
Pegel der Gerechtigkeit lebt von und mit Martin Engler, bezieht seine Kraft aus einem In-Szene-Setzen, das sich den Huis-Clos in Bild, Ton und Rhythmus bis zum Anschlag zumutet und von der wirklich spannenden Einbeziehung der Lauscher: „Niemand hat sich gemeldet“.
Claude Reiles
Kategorien: Theater und Tanz
Ausgabe: 16.12.2010