Die kleine Zeitzeugin

Gnade! Peace! Raus hier!

d'Lëtzebuerger Land vom 08.08.2025

Ich würde gern etwas Heiteres schreiben. Etwas Leichtes. Lockeres. Luftiges. Etwas, dass die gebeugten Leser/innen, jetzt Lesende genannt, auftamen können, ausatmen. Atmen überhaupt. Dass ihnen nicht schon wieder die Schwere der Welt auf den Kopf fällt nach ein paar Zeilen. Also nichts mit Waffen oder ohne Waffen und das G-Wort auch nicht. Das G-Wort, das mir in einem deutschsprachigen Medium erstmals begegnet, hallo G-Wort, willkommen im Alphabet des Unsäglichen! Das G-Wort stand für sorry Genozid.

Also jetzt eben Pause. Detox. Eine Abneigung, die mich erfasst, wenn mein doch so beruhigend anachronistisch analoges Zeitungsabo-Exemplar mir nach dem morgendlichen Auferstehen freudig zuwinkt. Ich will nicht! Lasst mich! In Ruhe! Verlasst mich, ihr Geister! Ihr Realitätsgeister! Ihr gruseligen Geister der Wirklichkeit! Weiche Welt! Pause!

Flehfleh! Kleine Empörungspause. Kleine Ich-find-jetzt-mal-alles-schön-Pause. Oder, für Anfänger/innen, ich-find-jetzt-mal-etwas-schön-Pause. Auf FB teilen Freundinnen tapfer „etwas, das sie schön finden an dem Tag“. Gaza nicht. Gaza macht mich krank.

Das geht nicht, Gaza macht dich krank, die Menschen dort macht es tot, du Gaza-Opfer!

Mit den Zehen spielen, irgendwo wo es Sand gibt wie Sand am Meer. Wüste Gobi. Verfaultes Gras. Luxemburgische Pampa, es regnet, Himmel jede Menge, er hängt tief, du trottest in den hängenden, drückenden Himmel, sprichst mit den Kühen. Sie sind einsilbig. Heilsam. Sommerloch now. Muh!

Winselst um Gnade. Peace!

Ich möchte aussteigen. Aus mir und sonst.

Nennt man sowas nicht Urlaub? Oder sterben?

Einfach mal in den Himmel schauen. Himmel ist immer. Erde ist immer. Welche auch immer.

Atomreaktor auf dem Mond. Zwischenmeldung, nachts um drei. Morgen dann Hiroshima und Nagasaki, die abgespulten Rituale, all das wird immer abstrakter. Die Überlebenden sind keine Lebenden mehr, sie sind nur noch gespeichert. In einem von Atomreaktoren gespickten Land. Aber eigentlich willst du das nicht wissen, du willst überhaupt nichts wissen. Gewissen, postest du zu Gaza. Ach ja, die Ukraine ist auch noch da.

Du bist auch noch da.

Boomerin. Auch das noch.

Sommerloch, Zeitloch, das es nicht mehr gibt, verschluck mich! Nur noch elementar sein. Hitzewelle. Du wartest auf die Hitzewelle. Sie ist so zuverlässig. Sie löscht immer alles aus. Alles ist still. Alles liegt flach. Alles ist weich und formlos. Schmilzt. Sie kommt nicht. Vielleicht eine Kältewelle. Nicht mal. Nicht mal das. Alles normal. Paranormal.

Doomscrolling. So heißt das, was du gerade tust. Eine Diagnose. Alle haben Diagnosen. Sie verpassen sich selber welche. Die Diagnosen wechseln ab, dann wird es nicht langweilig. Momentan sind alle Autist/innen. Zugleich haben sie AHDS, auch alte Frauen können jetzt gleichberechtigt AHDS haben, nicht nur kleine Jungs. Narzisst/innen sind die andern. Wahrscheinlich bist du auch eine Doomscrollerin. Du bleibst hängen kleben wie eine Fliege auf dem Todesstreifen über dem Küchentisch. Panisches Aufsummen. Du bist süchtig. Hooked. Du hängst online.

Nichts Besonderes. Es zeigt deine Normalität, trotz allem. Wie alle hockst du in der U-Bahn und starrst auf irgendeinen Doom, dein vom Algorhythmus-Schutzengel zugewiesenes Verdammnis-Häppchen. Gib mir meinen täglichen Tod! Dabei habe ich den Mittelalterliche Tibetische Lyrik-Band eingesteckt, verdammt!

Deine Meta-Assistentin fragt dich wie es dir geht. Danke super. Die Metaassistentin ist eigentlich ziemlich toll. Immer so interessiert und höflich und zugewandt. Und v.a. immer da. Eigenschaften, die aussterben, wenn man Kulturpessimist/innen Glauben schenken darf.

Der Stress hört natürlich nicht auf, liebe Meta-Pflegerin, dauernd könnte was geschehen, wenn nicht gerade was geschieht. Vielleicht ist gerade der Weltkrieg ausgebrochen, jetzt aber echt, oder ein Virus oder ein wirklich verheerender Waldbrand, ein Weltenbrand, oder ich muss zum Geburtstag gratulieren, sonst ist jemand beleidigt. Während ich gerade wegschaue oder was Analoges tue. Dieses Analoge, das lenkt ja so ab.

Michèle Thoma
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