Ob es daran liegt, dass die meisten Parteien ihre Wahlprogramme aufstellten, bevor die Statistiken nach unten angepasst wurden und offiziell bestätigt wurde, dass die Rezession in Luxemburg früher begann als anderswo in Europa? Oder ob es vielleicht ein bisschen naiv ist, zu erwarten, dass die Parteien in ihren Wahlprogrammen wirklich neue, wegweisende Ideen und Strategien für die künftige Wirtschaftsentwicklung Luxemburgs darlegen? Fakt ist, die Programme halten wenig Überraschungen parat, was angesichts der Herausforderungen, denen sich die heimische Wirtschaft in den kommenden Jahren stellen muss, bedauernswert ist. Dabei ist weniger das Konjunkturtief problematisch, sondern vielmehr das schrumpfende Luxemburger Wachstumspotenzial an sich, denn sogar die vergleichsweise optimistischen Volkswirtschaftler vom statistischen Amt Statec gehen davon aus, dass das Wachstumspotenzial der Luxemburger Wirtschaft künftig eher 2,5 Prozent anstatt, wie in den vergangenen Jahren, vier Prozent beträgt. Das reicht bekanntlich weder aus, um das aktuelle Rentensystem mittel- bis langfristig vor dem Kollaps zu bewahren, noch um ausreichend neue Arbeitsplätze zu schaffen und die Arbeitslosigkeit langfristig im einstelligen Prozentbereich zu halten. Bedarf an guten Ideen gibt es demnach genug.
Stattdessen findet man in den Wirtschaftsprogrammen einen ziemlichen Einheitsbrei – von wenigen fundamentalen Abweichungen am linken Rand des politischen Spektrums abgesehen. Einig sind sich alle Parteien von links bis rechts darüber, dass die Bankiers gierig und böse sind, die Industrie erhalten bleiben, das Handwerk gefördert werden soll, die Forschung und Entwicklung genauso vorangetrieben werden müssen wie der Bürokratieabbau. Wie sich Luxemburg allerdings in einer globalisierten Welt als Industriestandort durchsetzen soll, die vorhandenen Industrieproduktionsanlagen halten kann, geschweige denn neue anlocken und ansiedeln soll, darüber gehen die Meinungen – wenn es denn außer Feststellungen solche gibt – auseinander. KPL und Linke plädieren dafür, nicht vor der Verstaatlichung von Großunternehmen zurückzuschrecken, zumindest was die Grundversorgung betrifft. Dass dies im EU-Rahmen, in dem Luxemburg funktioniert, nicht möglich ist, stört zumindest die Kommunisten nicht. Sie sind ganz einfach für eine Auflösung der EU. Ob sie es mit einem dermaßen realitätsfremden Programm schaffen können, von der aktuell modischen Kapitalistenschelte zu profitieren, darf bezweifelt werden. Soweit geht die linke Konkurrenz von déi Lénk zwar nicht. Die plädiert klassisch für bessere Arbeitsbedingungen, beispielsweise für die 35-Stundenwoche bei gleich bleibendem Lohn. Wie durch solche und andere Vorschläge die Abwanderung des produzierenden Gewerbes in Billiglohnländer verhindert werden kann, bleibt ungeklärt. Ob es aber ausreichend sein wird, wie mehr oder weniger alle andere Parteien versprechen, die dafür nötigen besseren Rahmenbedingungen zu schaffen, ist ebenso fraglich. Wenig überraschend ist dabei, dass die aktuellen Regierungsparteien versuchen, ihre vergangenen Taten bestmöglich zu verkaufen, die Oppositionsparteien diese hingegen als nicht ausreichend bezeichnen. Die CSV hebt als Standortvorteile die politische Kontinuität hervor, brüstet sich mit der bislang stabilen Haushaltslage, lobt die Mehrsprachigkeit der Arbeitnehmer, das üppige Kulturangebot und verspricht auch in Zukunft ein steuerlich vorteilhaftes Umfeld – Wirtschaftspolitik definiert sie vor allem über Haushaltspolitik, welche die Christlichsozialen unter dem Gebot der Vorsicht auch künftig nicht aus der Hand geben wollen. Die LSAP weist auf die Leistungen ihres Wirtschaftsministers hin, der die Vorstöße in neue Tätigkeitsfelder wie Logistik, Bio- und Umwelttechnologien angeführt hat und zudem an der Neuordnung der Industrie- und Gewerbezonen mitgearbeitet und somit dazu betragen hat, dass Betrieben in Zukunft der nötige Raum zur (physischen) Niederlassung bereitstehen soll. Das „guichet unique“ als weiterzuführendes Projekt liegt allen Parteien von LSAP bis ADR am Herz, und solche Ansätze sind sicherlich richtig und wichtig. Bedauerlich ist dennoch, dass sich keine der etablierten Parteien traut, ein wenig kreativ zu sein. Denn auch wenn sie die Bemühungen der vergangenen Regierung als unzureichend abstempeln, weder déi Gréng, noch die DP, noch die ADR haben den Diversifizierungsanstrengungen der schwarz-roten Koalition wirklich viel hinzuzufügen.
So wird Forschung und Innovation in allen Parteiprogrammen ein hoher Stellenwert eingeräumt. Die CSV verspricht, bis 2014 das Ziel von drei BIP-Prozent an Forschungsinvestitionen zu erreichen. Die großen Parteien, vor allem die DP, plädieren zudem explizit dafür, dass die geförderten Forschungsprojekte eine direkte Anwendung in der Luxemburger Wirtschaft finden müssen. Das ist eine äußerst pragmatische Herangehensweise an die Forschungsförderung, die nicht ohne Risiken ist. Wer als Forschungsstandort auf internationaler Ebene Aufmerksamkeit erregen will, muss auf höchster Ebene mitmischen. Unabhängig davon, ob alle Forschungsresultate einer doch vergleichsweise kleinen und wenig diversifizierten Wirtschaft zugute kommen oder nicht. Anders ausgedrückt: Wer nur im Dienste der Luxemburger Wirtschaft forscht, droht, vor vornherein ziemlich eingeschränkt zu sein.
Auch in der Wahl der wichtigen Standortfaktoren an sich macht sich dieser zuweilen zu stark ausgeprägte Pragmatismus bemerkbar. Günstiges Steuerumfeld, niedrige Lohnnebenkosten, zentrale geographische Lage und Mehrsprachigkeit, hoher Lebensstandard sind sicherlich Verkaufsargumente bei der Anwerbung neuer Unternehmen. Wer aber davon träumt, wie dies querbeet auch die meisten Parteien tun, künftig Heimat für Start-Ups aus der Branche der Informationstechnologien zu sein, dem müsste eigentlich klar sein, das man damit die jungen, schönen Kreativen, die Ideen haben und solche Firmen gründen, nicht dauerhaft nach Luxemburg locken wird. Von weichen Standortfaktoren ist in den Parteiprogrammen kaum die Rede – außer bei der LSAP, die auf das Einkaufszentrum, den Kinokomplex und die Rockhal in Esch Belval aufmerksam macht. Dabei gilt es im Ausland als längst erwiesen, dass Architektur, eine aktive Kunst- und Kulturszene, sprich all die Dinge, die das Stadtleben bietet, zu jenen Dingen gehören, wonach kreative Köpfe suchen, und dass dort, wo diese zusammenfinden, Wachstum entsteht. Dass Kinokomplex und Einkaufszentrum in Belval in diese Kategorie der weichen Standortkriterien passen, scheint unwahrscheinlich, vor allem, wenn künftig am Bahnhof Belval nach 24 Uhr keine Bahn abfährt.
Dass die Parteien auch in den diesjährigen Programmen lieber am Prinzip des Luxemburger Konsenses festhalten, macht sich auch am Beispiel Fremdenverkehr bemerkbar. Zwar heben die großen Parteien die künftig zu stärkende Rolle der Tourismusbranche hervor. Die soll, auch darüber herrscht Einigkeit, über den Ausbau der regionalen Förderstrukturen gestärkt werden sowie durch den Bau von in door-Freizeitmöglichkeiten, damit das Geschäft weniger wetterabhängig wird. Wenn auch angemerkt wird, dass die meisten Touristen, die nach Luxemburg kommen, nur wenige Tage hier verbringen, wird die Frage, ob denn die internationalen Transportanschlüsse für diese Art des Tourismus zweckdienlich sind, ausgeblendet. Anders gefragt: Lohnt sich für Tagesgäste die Anreise, und wie einfach und wie beschwerlich ist es, nach Luxemburg zu kommen? Das würde natürlich eventuell unangenehme Fragen über die Preispolitik der nationalen Fluggesellschaft mit sich ziehen und ihre Vorherrschaft auf dem Flughafen Findel. Oder auch über die internationalen Bahnverbindungen. So weit zu gehen, dazu ist keine Partei bereit.
Auch nicht neu, dennoch positiv einzuschätzen ist die neue Begeisterung für den Mittelstand. Die ADR will Luxemburg als Plattform für den Mittelstand in der EU positionieren, plädiert für die Einrichtung speziell für KMU reservierter Anlauf- und Dienststellen. Auch Konservative, Liberale, Grüne und Sozialisten wollen den Mittelstand stärken, KMU ein attraktives Umfeld bieten – was für die Sozialisten vorrangig bedeutet, das zuständige Ministerium mit dem Wirtschaftsministerium zusammezulegen. Letztgenannte heben auch hier ihren Einsatz in Sachen Aktivitätszonen als wichtige Maßnahme im Dienste der KMU hervor. Künftig sollen vor allem innovative Betriebe besser gefördert werden, ob durch die Beherbergung in speziellen Förderzonen, eine Anhebung der Steuerfreibeträge auf Investitionen, durch die Vergabe von günstigen Krediten, steuerlichen Erleichterungen bei der Betriebsübergabe an Nachfolger, hängt von der politischen Couleur ab. ADR und DP haben zudem die Forderung der Berufsverbände nach dem netting fiscal, das bewirken soll, dass der Staat künftig den Betrieben nicht mehr Mehrwertsteuer schuldet als er Steuern einfordert, in ihre Programme aufgenommen. Damit auch normale Handwerksbetriebe optimistisch in die nächste Legislaturperiode blicken können, versprechen die großen Parteien alle Maßnahmen, welche beispielsweise bei den Grünen im „Konjunkturprogramm für das Klima“ aufgelistet werden. Damit gemeint ist die staatliche Förderung von Altbausanierungsprogrammen, die nicht die Handwerker beschäftigen, sondern den Energieverbrauch drosseln sollen. Ob man damit die Vielzahl kleiner Unternehmen, die im Bau und den assimilierten Branchen tätig sind, wird erreichen können, bleibt abzuwarten.