Gesundheitspolitik in den Wahlprogrammen

Hauptsache, gesund!

d'Lëtzebuerger Land du 28.05.2009

„Hauptsache, gesund!“, lautet ein Sprichwort. Es lässt sich kaum widerlegen, und vielleicht versprechen ja deshalb die Parteien im Gesundheits-Kapitel ihrer Wahlprogramme im Großen und Ganzen dasselbe: Da wäre zunächst systematische Präventivmedizin, mit einem zusätzlichen Akzent auf Schulen und Arbeitsumfeld. Zweitens sollen Gesundheits-Dienstleister landesweit ausreichend verfügbar sein und die Qualität ihrer Tätigkeit soll kontrolliert und zur Verbesserung der Resultate genutzt werden – welche dann auch publiziert werden sollen, jedenfalls zum Teil. Drittens sollen die Patientenrechte klarer geregelt und eine Schlichtungsstelle eingerichtet werden.

Hier und da werden Extra-Angebote gemacht. Die Grünen wollen Präventivmedizin auf Ernährungs- und Umweltrisiken ausdehnen. Die ADR will ein „Psychotherapiegesetz“, durch das auch verschiedene von Psychologen angebotene Behandlungen zu Pflichtleistungen der Gesundheitskasse erklärt würden. Die CSV gibt vor, über ein „Konzept von Versorgung auf Distanz“ zu verfügen, erläutert es allerdings nicht. Die DP verspricht, was 2004 die LSAP versprach, aber 2009 nicht mehr ankündigt: „die Rückerstattungsbeträge für Zahnprothesen zu erhöhen“.

Das sind allesamt berechtigte Anliegen und viele davon sind politisch anspruchsvoll. Allein schon die Gesundheitsprävention ist ein aufwändiges, ressortübergreifendes Thema. Aber ob in den Parteien ausreichende strategische Intelligenz versammelt ist, um dem Luxemburger Gesundheitssystem, das laut OECD im Jahr 2007 nach Kaufkraftparitä­ten pro Einwohner gerechnet das neben dem Schweizer und dem norwegischen teuerste in Europa war, zu einer Zukunftperspektive zu verhelfen, ist nicht so sicher.

Trotz der Vorarbeit durch den Wirtschafts- und Sozialrat mit seiner ausführlichen Gesundheits-Systemkritik im diesjährigen Jahresgutachten, lassen sich klarere Zukunftsvorstellungen nur aus den Wahlprogrammen von LSAP und CSV herauslesen. Um das System abzusichern, soll die Primärversorgung verbessert und vor allem die Rolle des Hausarztes gestärkt werden. Die noch immer starke Fixierung auf Klinikversorgung soll damit sinken. Regional könnte es mehr Maisons médicales geben, wie sie bisher in Luxemburg-Stadt, Esch/Alzette und Ettelbrück existieren.Für mehr Qualität und Effizienz im Spitalwesen, das 50 Prozent der Ausgaben der Gesundheitskasse CNS ausmacht, sollen „Kompetenzzentren“ und ein Qualitätsmanagement sorgen. Die ambulante Chirurgie soll gezielt ausgebaut werden. Die LSAP will darüberhinaus „Ärzte verstärkt zwischen dem freiberuflichen Satut und dem Angestelltenstatut wählen“ lassen.

Aber eine Ankündigung wie diese lässt daran zweifeln, ob die LSAP, deren Wahlprogramm das konzeptuell stärkste im Gesundheitsbereich ist, wirklich weiß, was sie will: In einem Land, wo nicht nur das Gros der Klinikärzte freiberuflich tätig ist, sondern auch alle fest angestellten ihre Leistungen pro Akt abrechnen, das Statut zur Wahl stellen zu wollen, ist kaum ein Ausdruck politischer Führungskraft.

Und letzten Endes beantwortet weder die CSV noch die LSAP die Frage, was aus dem Gesundheitssektor werden soll, der einerseits fast vollständig öffentlich finanziert wird, in dem andererseits jedoch so viele private und wettbewerbsorientierte Akteure tätig sind. Wohl ist der aktuelle Gesundheits- und Sozialminister in letzter Zeit aktiver geworden. Im neuen Spitalplan hat er eine in allen Kliniken verbindliche und landesweit koordinierte Qualitätskontrolle festgeschrieben – auch gegen den Widerstand des Ärzteverbands. Und die „neuen Formen von Mitbestimmung, Mitgestaltung und Mitverantwortung“, die die LSAP laut ihrem Wahlprogramm im Krankenhausbereich „erproben“ will, sind dem Vernehmen nach so gut wie ausformuliert in einem Vorentwurf für ein abgeändertes Spitalgesetz, das künftig auch Rolle und Verantwortung jedes Akteurs definieren soll –  bis hinauf zum Verwaltungsrat – und mit dem ein Krankenhausmediziner, dem der Deontologiekodex Therapiefreieheit garantiert, ein „Statut“ erhielte, das ihn klarer als heute in die Organsisation eines Krankenhauses als Betrieb einbezöge.

Aber wenn Mars Di Bartolomeo andererseits in letzter Zeit wie ein Wanderprediger bei jeder sich bietenden Gelegenheit dafür warb, dass unter den Krankenhäusern eine „Spezialisierung“ und „Aufgabenteilung“ erfolgen möge, und wenn es für ihn „evident“ ist, dass Qualität auch etwas damit zu tun haben muss, dass eine Klinik bestimmte Aktivitäten aufgibt, um sich auf andere zu konzentrieren – dann ist  nicht klar, wie das erreicht werden soll: Vorschreiben könnte man es den selbstständig agie­renden Spitälern nicht ohne weite­res. Weshalb die LSAP die „Schaffung von regelrech­ten Pflegeketten“ auch nur „ermutigen“ will.

Wahrscheinlich hat das nicht zuletzt damit zu tun, dass die beiden Hauptkonkurrenten im Lande, das Centre hospitalier de Luxembourg und das Hôpital de Kirchberg, jeweils der LSAP und der CSV nahe stehen. Für die Verfasstheit des Luxemburger Gesundheitswesens aber ist dieser Punkt ein sehr zentraler: Gibt es weiterhin eine Konkurrenz unter den Krankenhäusern, wird daraus auch weiterhin ein hoher Bedarf an Klinik­ärzten resultieren. Dieses wachsen­de Angebot, das zu immer größeren Sachleistungsausgaben führen muss, wird sich jedoch seine Nachfrage allein schon dadurch schaffen, dass bei der in Luxemburg bestehenden freien Arztwahl im Grunde schwerlich ein Überschuss an Spezialisten entstehen kann: Der Wunsch nach einer zweiten, vielleicht sogar einer dritten Arztmeinung wird bei den Patienten immer bestehen. Ist das sinnvoll – und falls ja: Wer soll es bezahlen?

Aber zu der Frage, wie viel „Staat“ und wie viel „Markt“ künftig im Gesundheitswesen herrschen soll, gibt es innerhalb von CSV und LSAP keine einheitliche Meinung, sondern Strömungen. So will die CSV „unsere Spitäler attraktiver machen und fit für die neue EU-Richtlinie über die Mobilität der Patienten“, versichert jedoch im Nachhinein, das sei nicht als Aufruf zur Personalkostensenkung und damit als Angriff auf die Gehälter des Personals mit parastaatlichem Statut zu verstehen. Die Sozialisten wiederum versprechen in ihrem Wahlprogramm den Krankenpflegerberufen jene „Aufwertung ihrer Laufbahnen“, die der Gesundheitsminister und die Bildungsministerin von der LSAP seit Jahren verweigern, um die Personalkosten der Spitäler nicht noch weiter zu steigern.

Durchaus einflussreiche Stimmen bei den Christlichsozialen plädieren da­für, dass für den Patienten der Weg zum Spezialisten in Zukunft obligatorisch über den Hausarzt führen soll. Sie konnten sich aber bisher noch nicht durchsetzen. Andere wiederum würden bestimmte Leistungen nicht mehr von der Kasse erstatten lassen; „Luxus“ müssten dann gegebenenfalls Privatversicherungen übernehmen.

Innerhalb der LSAP gehen die Ansichten über die unumschränkt freie Arztwahl ebenfalls auseinander. Den Haus­arzt als „Gate Keeper“ können sich auch so manche Sozialisten vorstellen. Ähnlich umstritten ist in der CSV die Idee, die automatische und obligatorische Konventionierung der Ärzte mit der Gesundheitskasse zu lockern: Das könnte den Weg frei machen für eine „Mediziner-Bedarfsplanung“ und für Zusatzaktivitäten der Ärtzte rein am Markt. Es wä­re aber auch der Anfang vom Ende der Pflichtversicherung in der CNS und streng genommen vom Solidargedanken.

Schon möglich, dass über manche dieser Fragen entschieden wird, falls es zu einer Neuauflage der großen Koalition kommt. An den bisherigen Strategiedefiziten der beiden großen Parteien könnte es gelegen haben, dass im diesjährigen Wahlkampf das Gesundheitswesen kein Debatten­thema ist.

Aber als es vor fünf Jahren ein Debattenthema war, ging es dort vorrangig um Geld: CSV-Spitzenkandidat Jean-Claude Juncker hatte auf dem Wahlkongress seiner Partei eine „Franchise“ ins Gespräch gebracht, mit der „Besserverdienende“ pauschal bis zu 1 000 Euro im Jahr zur Finanzierung medizinischer Sachleistungen hätten beitragen sollen. Worauf die LSAP vorschlug, die Beitragsbemessungsgrenze anzuheben, die derzeit bei fünf Mal den Mindestlohn liegt, und der OGB-L sekundierte und den Beitragsplafond ganz abschaffen wollte.

Heute ist die Lage gegenüber damals insofern anders, als die derzeitige Rezession erst allmählich auf die Beschäftigung durchschlägt, deren Zuwachsrate die Entwicklung der Einnahmen der Sozialversicherung am stärksten beeinflusst. Als die CNS vor kurzem provisorisch ihre Buchhaltung für 2008 abschloss, verzeichnete sie noch einen Überschuss. 2004 dagegen befand Luxemburg sich auf dem Weg der Genesung nach dem Zusammenbruch der New Economy – die Wirtschaft wuchs wieder, der Beschäftigungszuwachs aber war noch schwach und die Krankenkassen mussten wegen hoher Ausgaben für Langzeitkranke durch eine 130-Millionen-Spritze aus den Rentenkassen gerettet werden.

Die heute günstigeren Umstände sind ein Glück für die Parteien. Denn der Krise wegen dürfte jede Regierung bei Finanzknappheit in der Gesundheitskasse weder die Patronatsbeiträge zur Krankenversicherung erhöhen, da sonst die Lohnnebenkosten steigen, noch die Versichertenbeiträge, weil damit das Versprechen nach Kaufkraftsicherung gebrochen würde. Die Alternativen sind lediglich Leistungsabbau und höhere Eigenbeteiligun­gen. Die Diskussion darüber überlässt man lieber der Tripartite als dem Wahlkampf. 

Peter Feist
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