Luxemburg in der Schuldenkrise

Kakophonie

d'Lëtzebuerger Land vom 09.12.2011

Er sei doch etwas erstaunt, wenn andere über die Nachricht der drohenden kollektiven Herabstufung der Euroländer durch die Rating-Agentur Standard [&] Poor’s überrascht seien, sagte Finanzminister Luc Frieden am Dienstag im RTL-Interview. Auf die Frage hin, ob er damit nicht Jean-Claude Juncker widerspreche, der die Ankündigung kurz davor als exzessiv, übertrieben und unfair bezeichnet hatte, geriet der sonst so wortgewandte Frieden doch ein wenig ins Rudern, weil essogar ihm schwerfiel, diesen Widerspruch in ein Einvernehmen umzukehren.

Dabei ist es nicht zum ersten Mal, dass die Positionen der Luxemburger Regierungsmitglieder in Sachen Schuldenkrise auseinanderklaffen. Wenn Juncker dieser Tage erklärt, er wie Frieden seien noch immer für eine Vertragsänderung gewesen, und er begrüße es, dass Deutschland und Frankreich endlich auf den Kurs der stabilitätsorientierten Länder einschwenken würden, widerspricht er sogar sich selbst. In der Vergangenheit hat auch Juncker deutlich gemacht, dass er nicht erpicht ist auf das langwierige Feilschen, das zähe Verhandeln und die Volksabstimmungen mit ungewissem Ausgang, die Vertragsänderungen nach sich ziehen. Jetzt, da er für Vertragsänderungen eintritt, die von allen 27 EU-Mitgliedstaaten mitgetragen werden müssen, schreibt Außen-minister Jean Asselborn der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel offene Briefe, in denen er sie auffordert, von solchen Forderungen Abstand zu nehmen, mit denen sie seiner Meinung nach rein nationale Interessen vertritt. Vor allem da sie damit den Briten Tor und Tür öffne, die nur auf eine Gelegenheit lauerten, um sich neue Sonderrechte und Ausnahmeregeln zu sichern.

Während Juncker selbst inzwischen (vielleicht taktischen) Abstand von der Idee der Eurobonds nimmt, deren stärkster Befürworter er in den vergangenen Monaten war und wofür er viel Schelte von Angela Merkel einstecken musste, hielt Noch-Wirtschaftsminister Jeannot Krecké vor wenigen Tagen ein Plädoyer für gemeinsame Anleihen. Frieden gibt sich skeptisch, sieht in Eurobonds kein kurzfristiges Mittel zur Lösung der Krise. Der Finanzminister ist viel mehr darum bemüht, Stimmung zu machen für den Ausschluss, beziehungsweise den freiwilligen Rücktritt solcher Länder, die die Stabilitätskriterien nicht einhalten. Dass, wer die Regeln nicht einhalten könne, den Club verlassen können müsse, wiederholte er in den vergangenen Wochen jedem, der es hören wollte. Juncker selbst hat das bisher immer kritisch gesehen, weil für ihn und Gleichgesinnte der Ausstieg beziehungsweise der Ausschluss eines Eurolandes nicht absehbare wirtschaftliche, politische und soziale Folgen mit sich bringt. Zudem wäre das der Zeitpunkt, an dem es wirklich schwierig würde, ein Scheitern des Euro-Projektes weiter zu leugnen, an dessen Aufbau Juncker beteiligt war.

Diese widersprüchlichen Aussagen und Positionen erklären sich selbstredend auch dadurch, dass Juncker als Vorsitzender der Eurostaaten deren neueste gemeinsame Haltung vertreten muss – wie auch immer sie gerade ausfällt und egal, ob sie seiner eigenen entspricht. Frieden seinerseits vertritt die Position der Luxemburger Regierung. In Bezug auf diese muss man sich ebenfalls fragen, inwieweit die Luxemburger Regierung europäische oder aber nationale Anliegen in den Vordergrund stellt. Bei ihrem Treffen am 30. November nahmen die EU-Finanzminister einen Bericht an, der aufzeigt, wie die Mitglieder des Euro-Plus-Paktes ihre Steuer-politik besser abstimmen können. Mit dem Fortschreiten dieser Arbeiten wird Luxemburg zeigen müssen ob nationalen und europäische Interessen tatsächlich so deckungsgleich sind, wie es Regierungsmitglieder gerne sagen, und, wie die europäische Zukunft Luxemburgs aussieht. Wenn Luxemburg in Steuerdossiers, wie bisher, die heimische Wirtschaft schützt, schadet das auch der Glaub-würdigkeit des um eine europäische und solidarische Lösung der Schuldenkrise bemühten Jean-Claude Junckers.

Michèle Sinner
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