Der Himmel über dem Garer Quartier ist an diesem Morgen grau verhangen. Elmira, luxemburgische Iranerin, die Haare auf einer Seite mit einer glitzernden Haarspange nach hinten gestylt, sitzt bereits im Café. Sie bestellt sich erst einmal etwas zu essen, denn für Frühstück ist morgens meist keine Zeit. Vor exakt zwei Jahren, als Covid-19 das Leben weltweit zum Stillstand gebracht hat, ist sie Mutter von Zwillingen geworden. Liam und Ilay haben das Leben von ihrem Mann und ihr ordentlich auf den Kopf gestellt, und zwar genau zu jenem Zeitpunkt, als die ganze Welt anfing Kopf zu stehen.
Nach zwei Jahren Lockdowns, Schulschließungen, sozialer Isolation, einem Leben diktiert von Zoom-Meetings und Netflix-Abenden ist ein guter Zeitpunkt, um eine Zwischenbilanz zu ziehen, was die gesellschaftlichen Auswirkungen des Virus angeht. Vor allem auf die Familien, die in dieser Zeit Außerordentliches zu leisten hatten. Es immer noch tun – leise, ungesehen.
Das Luxembourg Institute for Socio-economic research (Liser) hat die letzten Monate an einer Studie gearbeitet, die sich mit dem Impakt der Pandemie auf Mann und Frau beschäftigt. Es wurde untersucht und zusammengetragen, wer sich mehr angesteckt, sich eher an die präventiven Vorgaben gehalten hat, wer öfter auf der Intensivstation lag – und wer sich vermehrt um Haushalt und Kinderbetreuung gekümmert hat. Was die sozialen Folgen angeht, waren es, leider wenig überraschend, mehrheitlich Frauen, die stärkere Konsequenzen der Krise zu tragen hatten.
Zwischen Februar und Juni 2020 haben in Luxemburg mehr Frauen ihren Job trotz Kurzarbeit verloren. Auch waren sie dem Virus im Allgemeinen mehr ausgesetzt, da sie in manchen Arbeitsfeldern wie dem Horeca und der Pflege überrepräsentiert sind. Die Sorgearbeit fiel ebenfalls mehrheitlich den Frauen zu, auch wenn beide Elternteile in der Pandemie generell mehr Zeit mit dem Nachwuchs und der Hausarbeit verbracht haben. Im genannten Zeitraum haben beide Elternteile täglich
30 Minuten mehr Hausarbeit geleistet. Zusätzliche 25 Minuten pro Tag haben Männer mit der Kinderbetreuung verbracht; Frauen 55 Minuten. Wie nervig, die Lebenszeit in Minuten messen zu müssen, doch das moderne Familienleben misst sich mittlerweile so – als eine einzige durchgetaktete Erschöpfung.
Von diesen Belastungen kann Elmira ein Lied singen, wenn jemand zuhören würde. „Ich war in den ersten sechs bis sieben Monaten meiner Mutterschaft in einem Zustand kompletter Überforderung.“ Als Selbstständige führt sie einen Buchladen in Luxemburg-Stadt. Die Pandemie hat sie somit auch beruflich getroffen, die Buchhandlung musste kurzzeitig schließen. Die 38-Jährige versuchte trotz Elternzeit irgendwie weiter zu arbeiten, organisierte im Lockdown Bücherlieferungen mit ihrer Schwester, die ebenfalls im Buchladen tätig ist. Und versuchte nebenbei, irgendwie mit ihrer neuen Rolle klarzukommen.
Dass alle mit anpacken müssen, damit man alles halbwegs auf die Reihe bekommt, scheint klar. Elmira versteht sich und ihren Mann Farzam dabei als Team. „Es ist eine gemeinsame Entscheidung, Kinder zu bekommen – folglich ist die Kindererziehung auch etwas, das man zusammen macht“, sagt sie. Farzam ist ebenfalls selbstständig und gerade dabei, ein eigenes Start-up aufzubauen. Beide versuchen, sich die Arbeit irgendwie zu teilen. Es klingt so selbstverständlich, klappt aber in den meisten Familien nicht besonders gut. Elmira und Farzam werden das Gefühl als Familie und Paar nicht los, in den letzten zweieinhalb Jahren mehr geleistet zu haben als sonst in zehn Jahren: Sich beruflich während einer Pandemie zu etablieren, und das mit zwei Babys. Als Selbstständige keine richtige Elternzeit zu nehmen, weil man es sich zu dem Zeitpunkt nicht wirklich leisten kann. „Sobald Liam und Ilay kurz geschlafen haben, saß ich im Schlafanzug am Laptop. Wir haben wochenlang keine Wäsche gewaschen.“
Ein großer Irrtum der Corona-Politik scheint vor allem gewesen zu sein, davon auszugehen, dass man mit kleinen Kindern und geschlossenen Schulen und Kindergärten zuhause produktiv arbeiten kann. „Das ist schlicht unmöglich“, sagt Elmira. Sagt jeder, der diese Lebensrealität kennt. In Luxemburg waren die Schulen und Betreuungseinrichtungen im Vergleich zu anderen Ländern länger offen – sie waren lediglich von März bis Mai 2020 und im Februar 2021 eine Woche vollständig für den Präsenzunterricht geschlossen. In Deutschland zuckten die Ministerpräsidenten trotz ernster Miene bei den Schulschließungen kaum mit der Wimper.
Die Soziologin Jutta Allmendinger hatte im Mai 2020 in einer deutschen Talkshow gewarnt: „Die Frauen werden eine entsetzliche Retraditionalisierung erfahren. Ich glaube nicht, dass man das so einfach wieder aufholen kann und dass wir von daher bestimmt drei Jahrzehnte verlieren.“ Daten der UN Women nach haben im September 2020 allein in den Vereinigten Staaten 865 000 Frauen den Arbeitsmarkt verlassen (im Vergleich zu 200 000
Männern). In erster Linie, um die größere Last an Sorgearbeit zu leisten. Taina Bofferding, Gleichstellungsministerin (LSAP), sprach bei der Vorstellung der Liser-Studie in Esch-Belval mit großer Verve davon, dass sie eine „Renaissance von verkrusteten Rollenbildern unbedingt vermeiden will“. Man solle die richtigen Lehren aus der Pandemie, aus den Ergebnissen der Studie ziehen. Was bedeutet das?
Anruf bei einer anderen Mutter. Sarah ist 43 Jahre alt und arbeitet in Vollzeit für ein großes Unternehmen, sie hat zwei Kinder im Schulalter, ihr Mann ist auch zu 100 Prozent berufstätig. “Obwohl mein Mann in Elternurlaub gegangen ist, ist trotzdem viel vom Homeschooling an mir hängen geblieben. Von einem Tag auf den anderen musste ich zuhause nicht nur Mutter, sondern auch Lehrerin und Mitarbeiterin sein.“ Die Grenzen seien plötzlich sehr fließend gewesen. „Ich war schon ziemlich an meinem Limit, hatte aber den Anspruch, alles irgendwie hinzubekommen.“ Ihre Arbeitszeit hat Sarah dabei nicht verkürzt.
Die Doppel-und Dreifachbelastung der Frauen kann Anastasia Angelinoudi, Mediatorin beim Familljen-Center, nur bestätigen. „Das Home-
office ist für die Frauen zum Boomerang geworden. Man dachte zu Beginn, es würde vielleicht einfacher mit mehr Zeit zuhause – das Gegenteil ist wahr.“ Die Frustrationslevel seien durchgehend sehr hoch gewesen; die Toleranz, der Respekt und der achtsame Umgang miteinander hätten ab-, physische wie verbale Gewalt in den Familien stark zugenommen. Frauen hätten meist keinen Raum für sich gehabt, sie mussten überall sein. Das habe oft auch zur sozialen Isolation geführt, da sie ihr Netzwerk verloren haben.
Umso weniger überraschend, dass die Liser-Studie Hinweise auf eine Verschlechterung der psychischen Gesundheit von Frauen gibt. Hier bedarf es weiterer Forschung, aber eine Fragenbogen-Studie unter der Leitung von Claus Vögele, Professor für Gesundheitspsychologie an der Universität Luxemburg, zeigt 20-30 Prozent klinisch relevante Werte was Depressivität, Angst- und Stressgefühle sowie Einsamkeit angeht. Diese Werte seien zwei- bis dreimal so hoch wie erwartet, und sollten einen aufrütteln, so Vögele. Anastasia Angelinoudi beobachtete ihrerseits wie Frauen, die vorher schon Probleme mit Depressionen hatten, durch die Pandemie zu verletzbaren und schutzbedürftigen Personen wurden, die Hilfe und Unterstützung gesucht haben.
„Mir ist es in den letzten zwei Jahren definitiv schlechter gegangen“, sagt Elmira. Es täte ihr leid, dass sie dieses Gefühl im Kontext der Geburt ihrer Kinder hätte. „Ich habe mich zu Beginn selbst komplett verloren und wusste nicht mehr, wohin mit mir.“ Sarah teilt diese Erfahrung: Man habe die letzten zwei Jahre dauernd latent unter Strom gestanden. Sie habe das daran gemerkt, dass kleine Aufgaben auf der Arbeit plötzlich sehr anstrengend wurden.
Die Journalistin Sabine Rennefanz fasst es in ihrem neuen Buch Frauen und Kinder zuletzt – wie Krisen soziale Gerechtigkeit herausfordern folgendermaßen zusammen: „Im Flugzeug gibt es vor dem Start diese Sicherheitsübung, und das Personal erklärt, welche Sicherheitsposition man im Fall einer Notlandung annehmen solle: den Kopf nach vorne beugen, den Körper zwischen die beiden Sitzreihen klemmen, Hände über den Kopf verschränken. Brace, brace. So sitzen wir seit zwei Jahren.“
Um all das in einem gesamtgesellschaftlichen Kontext zu situieren, lohnt sich ein kurzer Blick auf die Zahlen des sogenannten Elternurlaubs in Luxemburg. Die Gesetzesreform 2016 hat einiges bewirkt. 1999 nahmen nur 90 Männer den Elternurlaub, im Jahr 2018 4721. Es verändert sich also durchaus.
Und zur Wahrheit gehört zweifellos auch, dass Frauen die erste Zeit nachdem Kinder geboren werden emotional auf andere Weise gefordert sind. Die Erwartungen an Frauen sind somit in den letzten Jahren nicht weniger geworden, sondern sie haben sich gehäuft. A recipe for disaster. „Man kann nicht zu 100 Prozent Mutter, 100 Prozent Lehrerin, 100 Prozent Ehefrau und 100 Prozent Mitarbeiterin sein. Da landen wir bei 400 Prozent“, resümiert Sarah.
Wie kommt man aus der Nummer raus? Der Ruf nach einer Arbeitszeitkürzung bei vollem Lohnausgleich wird lauter, in Luxemburg zum Beispiel im Rahmen des Fraestreiks. Auch die Soziologin Jutta Allmendinger ist eine Befürworterin des Teilzeitmodells für beide Elternteile, vor allem wenn Kleinkinder im Haushalt sind. Teilzeit für beide als Normalität? Zur Wahrheit gehört nämlich ebenfalls, dass nicht alle Menschen sich totarbeiten wollen, wenn es sich irgendwie finanziell einrichten lässt. Bei aller Liebe zum Beruf. Die Pandemie hat diese Fragen der Lebensführung nicht nur für Frauen nochmal neu gestellt. Wollen wir mehr Geld? Oder mehr Zeit? Discuss.