Das Baltikum und der Euro

Mehr als eine Währung

d'Lëtzebuerger Land vom 07.02.2014

Am 1. Januar dieses Jahres ist Lettland der Eurozone beigetreten. Am 1. Januar 2015 will Litauen als letztes baltisches Land nachziehen. Es wollte schon früher dem Euro beitreten, hat aber 2006 die Kriterien noch nicht erfüllt. Damit wäre das Baltikum als ein gemeinsamer Wirtschaftsraum im Gemeinsamen Markt weiter gefestigt, seine Unternehmen können kostengünstiger am Binnenmarkt teilnehmen und sind attraktiver für Investoren. Die Vorhersage, dass Polen eine gestiegene wirtschaftliche Dynamik des Baltikums in den nächsten Jahren beobachten können wird, ist nicht sehr gewagt.

Die verbesserte wirtschaftliche Integration des Baltikums innerhalb der Europäischen Union und gegenüber den globalen Märkten ist aber nur ein Grund, warum alle Länder des Baltikums so gezielt darauf hingearbeitet haben, der Eurozone beizutreten. Selbst die Euro-Schuldenkrise konnte sie nicht davon abbringen. Und das, obwohl es immer noch nicht ausgeschlossen ist, dass die Mitgliedsländer des Euro für die finanzielle Rettung Griechenlands und die mögliche Unterstützung weiterer Länder tief in die Tasche greifen müssen.

Warum hat die unsichere Lage der Eurozone weder Estland noch Lettland abgeschreckt dem Euro beizutreten und warum gilt dasselbe für Litauen? Es ist sicherlich nicht der Grund, mit dem sich Donald Tusk vor längerer Zeit für den Beitritt Polens zur Eurozone ausgesprochen hat. Wer in der Europäischen Union wirklich mitreden wolle, so argumentierte Tusk, der müsse Mitglied der Eurozone sein. Wie Recht der polnische Ministerpräsident damit hatte, zeigte allein schon sein vergeblicher Versuch während der EU-Ratspräsidentschaft Polens 2011, Polen wenigstens als ständigen Beobachter bei den Tagungen der Euro-Gruppe zu etablieren. Der britische Schatzkanzler hat Mitte Januar sogar davor gewarnt, die EU dürfe nicht zum Anhängsel der Eurozone werden. Dennoch: Dieses Argument, das für ein großes Land wie Polen so schwer wiegt, dass es allein schon den Beitritt zur Eurozone sinnvoll begründen könnte, zählt nicht für die baltischen Länder. Ihre Ökonomien sind dafür dann doch zu klein und unbedeutend im europäischen Maßstab.

Über die anderen Gründe wird nicht offen gesprochen, es ist geschickter, sie nicht zu erwähnen und doch liegt hier verborgen, warum auch Polen die Diskussion über den Sinn oder Unsinn eines Beitritts zum Euro nicht nur über die wirtschaftliche Integration und sein politisches Gewicht innerhalb der EU führen sollte. Die weitaus gewichtigeren Gründe sind in der Geopolitik zu suchen. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Euro-Schuldenkrise kein Argument gegen, sondern ein starkes Argument für einen Beitritt zum Euro.

Ein Blick auf die Karte und ein Bewusstsein für Geschichte geben die entscheidenden Hinweise. Das Baltikum ist im Nordosten der EU fast eine kleine Insel. Estland und Lettland grenzen direkt an Russland, das Land, das sie beinahe seit Peter dem Großen ununterbrochen beherrscht hat. Litauen hat im Osten Außengrenzen mit Weißrussland und im Westen mit Russland. Das gesamte Baltikum ist nur im Süden durch einen kleinen Korridor mit Polen verbunden. Weißrussland ist und wird ein Anhängsel Russlands bleiben, etwas anderes ist im Moment und auch auf Dauer nicht vorstellbar. Kaliningrad ist ein russischer Vorposten, der innerhalb der EU liegt und in Konfliktzeiten über ein großes Störungspotential verfügt. Stalin hat schon gewusst, warum er dieses Gebiet nicht Polen zugeschlagen hat, obwohl es dafür sehr gute historische Argumente gegeben hätte. Putins Aufrüstung Kaliningrads mit Raketen, die atomar bestückt werden können, zeigt die Möglichkeiten auf, die sich Moskau mit Kaliningrad bieten.

Damit keine Zweifel aufkommen: Niemand glaubt daran, dass Russland im Moment Interesse daran hat, in irgendeiner Weise kriegerisch zu werden. Aber die Geschichte hat die unangenehme Eigenschaft sich ständig weiterzuentwickeln und regelmäßig mit bösen Überraschungen aufzuwarten. Polen weiß das besser als jedes andere europäische Land. George Friedman, der Vorstand des bekannten amerikanischen Think Tank Stratfor, der sich auf Geopolitik spezialisiert hat, ist der Auffassung, dass Russland gar nicht anders kann, als zu versuchen, seine Grenzen langfristig wieder stärker nach Westen zu verschieben. Für ihn liegen Russlands Grenzen heute fast 1 000 Kilometer östlicher als noch im Kalten Krieg. Friedmann rechnet dazu die Distanz zwischen der alten innerdeutschen Grenze und seiner heutigen Grenze mit Weißrussland. Für den Geopolitiker Friedman ist Russland in seinen heutigen Grenzen nicht zu verteidigen. Er ist auch der Auffassung, dass die Ukraine als Teil des russischen Einflussgebietes unverzichtbar für Russland ist, wenn es seine Macht im Kaukasus aufrechterhalten will.

Die baltischen Länder haben sich für den Euro entschieden, weil sie wissen, dass es mehr braucht als Militärbündnisse wie die Nato, damit sie in schweren politischen Krisen auf eine uneingeschränkte Solidarität bauen können. Für sie ist die Zugehörigkeit zum Euro eine weitere Versicherung gegenüber einer imperialen Macht, die noch nie ihre langfristigen Ziele aus den Augen verloren hat. Ihr derzeitiger Außenminister Lawrow zeugt davon, denn er ist der zurzeit wohl unangefochtene Weltmeister machiavellistischer Politik. Die Eurokrise hat gezeigt, dass die Euroländer untereinander solidarisch sind und sie wird in ihrem weiteren Verlauf dafür sorgen, dass sie auch emotional enger zusammenwachsen, auch wenn dies im Moment als gewagte Prognose erscheint.

Die Krise ist bei weitem nicht ausgestanden, die bisherige Reformunfähigkeit Italiens und Frankreichs sind eine schwere Hypothek. Wenn aber die Krise einmal vollständig vorüber ist, wird die Eurozone stärker integriert sein als der Rest der Europäischen Union, sie wird über ein stärkeres Zusammengehörigkeitsgefühl verfügen und sie wird vor allem das Gefühl haben, eine schwere Krise gemeinsam gemeistert zu haben. Es sind fast immer gemeinsam gemeisterte Krisen, die ein Zusammengehörigkeitsgefühl von Menschen und Völkern begründen und den Kitt für zukünftigen Zusammenhalt herausbilden. Polen sollte dabei sein. Europa braucht das Land und seine Menschen. Und Polen braucht Europa. Der Tag wird kommen, an dem es auf uneingeschränkte europäische Solidarität angewiesen sein wird. Je früher sein Beitritt in die Eurozone vollzogen wird, desto stärker und belastbarer werden die Bande sein, die es mit den anderen Europäern verbinden.

Christoph Nick
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