Anders als in Frankreich gibt es im „Marienland“ keinen Aufstand gegen die gesellschaftspolitischen Reformen von DP, LSAP und Grünen

Kein Klima für katholische Ultras

d'Lëtzebuerger Land vom 07.02.2014

Der Aufruf war mit ONLRJJJ unterzeichnet, dem unter integralistischen Katholiken in Frankreich beliebten Kürzel für die unnachgiebige Drohung: „On ne lâchera rien, jamais, jamais, jamais.“ Wie in Paris sollte am Sonntag zwischen 15 und 17 Uhr mit Kind und Kegel, Fahnen und Luftballons, Glühwein und heißer Schoki auf der hauptstädtischen Kinnekswiss für eine stramm rechte Familiennorm demonstriert werden: „Non à la PMA [procréation médicale assistée], non à la GPA [gestation pour autrui], non à la marchandisation du corps humain! non au brouillage des repères: un enfant aura toujours besoin d’un Père et d’une Mère pour se construire!“, das heißt Nein zum Ehe- und Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare.

Ausgegangen war der Aufruf von einigen Anhängern der nach der Kundgebung gegen den „Mariage pour tous“ am 16. April vergangenen Jahres in Paris gegründeten Bewegung Les Veilleurs. Die mehrheitlich katholischen Sittenwächter haben sich zum Ziel gesetzt: „Face à la démission de la pensée, à l’assoupissement des consciences et au délitement progressif du sens de l’homme et de la cité, nous avons choisi de demeurer vigilants pour réveiller l’âme du peuple auquel nous appartenons.“ Um die Volksseele zu erwecken, organisieren sie am liebsten Sit-ins gegen die vor einem Jahr in Frankreich legalisierte Homoehe.

Les Veilleurs in Luxemburg sind eine Handvoll hierzulande wohnender junger Franzosen, die in der Hauptstadt vor der Synagoge, der Kathedrale, dem Gericht und der französischen Botschaft abendliche Mahnwachen gegen die Homosexuellenehe in Frankreich abhalten. Mit Kerzen und Spruchbändern sowie ab und zu der Unterstützung einiger Gleichgesinnter aus Metz wollen sie betont friedfertig das Recht jedes Kindes auf eine Mutter und einen Vater aussitzen und lassen sich dabei auch schon einmal von erbosten Passanten beschimpfen. Darüber, dass sie zu einem halben Dutzend aushalten müssen, trösten sie sich hinweg, indem sie mit Pfadfinderlaune zu Kundgebungen gegen die gesellschaftspolitischen Reformen der Regierung Hollande nach Paris fahren, wo sich katholische Ultras und Oppositionspolitiker der UMP mit dem Front national und braunen Schlägern treffen. Als einen der Höhepunkte ihrer Aktivtäten hatten die Luxemburger Veilleurs im November einen Vortrag des katholischen Publizisten Philippe Ariño über „Le Gender en vérité“ organisiert, im Heim der Ordensprovinz der Sœurs de la doctrine chrétienne im Bahnhofsviertel.

Nachdem die Stadtverwaltung angeblich aufgrund eines Missverständnisses die Kundgebung im Stadtpark verboten hatte – weil es sich um eine Privatveranstaltung gehandelt und der Rasen gelitten hätte –, fuhren die paar Unentwegten am Sonntag nach Paris zu La Manif pour tous gegen die Homosexuellenehe, wo ihnen sogar einen Platz auf dem Veranstalterpodium eingeräumt wurde, um die rot-weiß-blaue Fahne zu schwingen.

In Frankreich stehen katholische Ultras im Mittelpunkt der Mobilisierung gegen die zögerlichen gesellschaftspolitischen Reformen unter dem sich selbst sozialdemokratisch nennenden Präsidenten François Hollande. Dabei stellen sie die Legitimation der Regierung und die Institutionen der Republik in Frage, so dass sich manche Kommentatoren schon an die rechtsradikalen Ligues erinnert fühlen, die in den Zwanziger- und Dreißigerjahren zu Straßenschlachten aufmarschierten.

Hierzulande hatte Generalvikar Erny Gillen bereits während der Koalitionsverhandlungen im November die Presse zu sich bestellt, um Stimmung gegen die Pläne der DP/LSAP/Grüne-Koalition zur Trenung von Kirche und Staat zu machen. Dabei hatte er der Regierung die demokratische Legitimation abgesprochen, weil „eine Koalition, die nicht einmal auf 50 Prozent aller Stimmen zählen kann, große Mehrheiten in diesem Land einfach übergeht“.

Aber wie klein die große Mehrheit ist, zu der sich der Generalvikar zählt, zeigte sich bereits 2008, als die katholische Kirche samt ihrem Luxemburger Wort und des Heiligen Stuhls weder das Parlament daran zu hindern wusste, die Legalisierung der Euthanasie zu stimmen, noch die CSV, den Koalitionszwang zu verlangen. Auch die ersatzweise Berufung auf die Volksseele und die schweigende Mehrheit war kein Ausweg, da laut einer zu diesem Zeitpunkt veröffentlichten Meinungsumfrage 78 Prozent der Befragten aus Misericordia gegenüber unheilbar Kranken das Recht auf Euthanasie befürworteten.

Bei der von der CSV und LSAP gestimmten Reform des Abtreibungsverbots, die unter dem Vorbehalt einer zweiten Zwangsberatung einer Fristenlösung nahe kam, sah die katholische Kirche ebenfalls recht ratlos aus; ihr Protest schien sich beinahe auf eine Formsache zu beschränken. Dabei ist gerade der Aufruf zum Kampf gegen die Abtreibung das Signal, das christliche Fundamentalisten weltweit vereint.

Die Proteste in Frankreich und ihre Anhänger hierzulande zeigen, dass katholische Ultras sich neben der Abtreibung nun neue Feindbilder ausgesucht haben: die Homosexuellenehe und das Adoptionsrecht, die künstliche Befruchtung, die Leihmutterschaft und, als „théorie du genre“, die Geschlechterrollen. Im Namen eines Naturrechts wird ein platter Biologismus gegen den gottlosen Sittenverfall verteidigt, der als Teil eines Komplotts gegen eine konservative Familiennorm angesehen wird.

Die Position des Erzbistums wird dadurch geschwächt, dass es nicht mit moralischen Vorbehalten gegen die von der Regierung angekündigte Homosexuellenehe oder die Entkriminalisierung des Abtreibungsverbots protestiert, sondern gegen Kürzungen der konventionierten Bezuschussung, die Reform des Religionsunterrichts und das Ende des Te-­Deum-Monopols am Nationalfeiertag. So als ginge es ihm weniger um Moral, als um Geld und Einfluss.

Tatsächlich weiß das Erzbistum, dass es mit übertriebenen Moralvorstellungen einen weiteren Teil seiner Anhänger verlieren würde, eine Meinung, in der es sich inzwischen von dem neuen Papst Franziskus bestätigt fühlt. Auch wenn der damalige Erzbischof Fernand Franck Messen nach dem lateinischen Ritus des tridentinischen Konzils organisieren ließ, sein Interesse für die charismatische Bewegung und Opus Dei bekundete, so möchte sich die Kirche doch nie in die fundamentalistische Ecke drängen lassen. Selbst der Eifer des aktuellen Erzbischofs Jean-Claude Hollerich für die Remissionierung des vom Glauben der Vorvätter abgefallenen Großherzogtums scheint sich abgekühlt zu haben, und aus den redaktionellen Richtlinien des Luxemburger Wort hat er nach einem Jahr die lange Aufzählung über die christliche Grundausrichtung wieder streichen lassen.

Ähnlich geht es der CSV, die sich nie richtig entscheiden kann, ob der religiöse Bezug im Parteinamen ein Wettbewerbsvorteil oder historischer Ballast ist. Zum Leidwesen der Kirche und der anderen Parteien geht die CSV immer mehr auf Distanz zu den kirchlichen Moralvorstellungen, um sich nicht in der Gesellschaft zu isolieren. Anders als beispielsweise die französische Rechte befürwortet die CSV die Homosexuellenehe samt Adoptionsrecht, sie kündigte in ihrem Wahlprogramm die Abschaffung des Religions­unterrichts im Postprimär an und Fraktionssprecher Jean-Claude Juncker bekannte sich im Dezember vor dem Parlament zur Streichung der zweiten Zwangsberatung aus dem Abtreibungsgesetz.

Auch wenn es Katholiken gibt, die all den neumodischen Kram nicht mögen und sich nach der Glanzzeit kirchlicher Macht zurücksehnen, schaffte es Gregor Stein nie zum Charles Maurras, fehlt es in Luxemburg an einer Tradition katholischer Integralisten. Vielleicht weil hierzulande die Kirche, anders als in Frankreich, nicht von der Macht im Staat ausgeschlossen und dadurch radikalisiert wurde, sondern fast das ganze 20. Jahrhundert lang informell und formell – etwa mit dem Priester Jean Origer als Partei- und Fraktionspräsident der Rechtspartei – im CSV-Staat mitregieren durfte. Luxemburg ist kein „Marienland“, wie sich unverbesserliche Klerikale und Antiklerikale einig sind, sondern eine moderne Dienstleistungsgesellschaft, deren Bevölkerung folglich laut Meinungsumfragen in ihrer großen Mehrheit gesellschaftspolitisch liberal ist.

So ist der ADR-Abgeordnete Fernand Kartheiser derzeit der einzige Mandatsträger, der am rechten Rand der CSV politisches Kapital aus den Protesten katholischer Fundamentalisten im Ausland zu schlagen versucht und hofft, dass sich im Anschluss auch Luxemburger Wähler gegen die liberale Regierung hierzulade mobilisieren lassen. Der bekennende Katholik und Antifeminist warb für die gescheiterte Kundgebung der französischen Les Veilleurs im Stadtpark am Sonntag und ruft zum Kampf gegen die geplanten Kürzungen der Familienzulagen auf. Schon beim Votum der Abtreibungsreform im November 2012 hatte er zu einem Aufmarsch ausländischer Abtreibungsgegner von Pro Europa Christiana vor dem Parlament beigetragen. Aber wie isoliert katholische Ultras hierzulande sind, zeigte sich daran, dass nicht einmal die rechte Protestpartei ADR auf diesen Zug aufsprang und Kartheiser als Parteipräsident zuzrücktreten musste.

Romain Hilgert
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