Für großes Erstaunen sorgte eine vierseitige Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft vor anderthalb Wochen. Darin erläutert die Anklagebehörde, warum der Bruder des Großherzogs nicht als Tatverdächtiger für die bis heute nicht aufgeklärte Serie von Sprengstoffanschlägen in den Jahren 1985 und 1986 in Frage komme. Eine eingehende Prüfung aller im Dossier befindlichen Elemente habe nichts ergeben; der durch einen Zeugenaussage verdächtigte Prinz habe ein Alibi, ein freiwilliger DNA-Test sei zudem negativ verlaufen. "Le Prince Jean de Luxembourg n'est pas impliqué dans les attentats à l'explosif d’une façon ou d’une autre", schlussfolgert die Staatsanwaltschaft, und die Untersuchungsrichterin lässt in derselben Mitteilung wissen, sie werde die Spur nicht weiter verfolgen. Man sei aber nach wie vor entschlossen, die Ermittlungen zu Ende zu führen. Der Glaube an die Entschlossenheit der Ermittler dürfte mit dem jüngsten Vorstoß allerdings einen empfindlichenDämpfer erhalten haben. Unmittelbar nach ihrer Veröffentlichung wurde die Mitteilung bereits scharf kritisiert. In einem fünfseitigen Artikel mit dem Titel Une justice à géometrie variable (erschienen im Tageblatt vom 1. März) prangert Rechtsanwalt Gaston Vogel die Vorgehensweise der Staatsanwaltschaft als "anomalie procédurale" an - und nicht nur er: Andere Rechtsanwälte äußern ähnliche Kritik.
Der Vorgang hat deshalb bei Juristen Diskussionen ausgelöst, weil er so außergewöhnlich ist. Schließlich genießt das Untersuchungsgeheimnis in Luxemburgs Strafprozessordnung einen hohen Stellenwert. Ob im Fall angeblicher Anschlagsvorbereitungen vermeintlicher islamistischer Terroristen oder, aktuell, der tödlichen Brandkatastrophe im Gefängnis - Presseanfragen bezüglich Informationen zu noch laufenden Ermittlungsverfahren verweigert die wortkarge Staatsanwaltschaft in der Regel, indem sie auf das in Artikel acht der Strafprozessordnung verbriefte Untersuchungsgeheimnis verweist. DerselbeArtikel erlaubt der Anklagebehörde, Journalisten über den Verlauf eines Verfahrens zu informieren, allerdings geschah das in der Vergangenheit kaum - auch nicht bei den nunmehr seit 20 Jahren andauernden Ermittlungen zu den Bommeleeër.
Ihre Kommunikationsoffensive begründet die Staatsanwaltschaft mit der starken "Mediatisierung" der Affäre. Es sei ihnen „aufgenötigt“ worden, rechtfertigte der beigeordnete Staatsanwalt und Justizsprecher Jean-Paul Frising das Vorgehen gegenüber dem Land. Die mit viel Wirbel inszenierte Zeugenaussage auf RTL, daran anknüpfende Medienberichte, sowie "böse Absichten" in der bisherigen Berichterstattung hätten die Reaktion der Justizbehörde provoziert - als Schutzmaßnahme für einen unschuldig und von den Medien bedrängten Verdächtigten. Es war jene anonyme Zeugenaussage auf RTL im Herbst, die den Spekulationen über eine mögliche Verwicklung in die Affäre von mindestens einer hochrangigen Persönlichkeit neuen Auftrieb gegeben hat. Die Unschuldsvermutung habe psychologisch gesehen für seinen Mandanten von Anfang an nicht gegolten, beklagte sich der Anwalt des Betroffenen, Fernand Entringer, in einem Quotidien-Interview, in dem er sich auch kritisch zur Rolle der Medien äußerte.
Dass es sich bei den Beiträgen um qualitativ hochwertigen Investigations-Journalismus handelt, wird wohl niemand ernstlich behaupten. Anlass für die RTL-Serie war vielmehr das 20-jährige Jubiläum der Anschläge. Dass mit einem Mal ein Zeuge aufgetaucht ist, der die alte These vom bombenden "Décken" auffrischt, verdanken die Autoren der Sendung wahrscheinlich eher einem glücklichen Zufall als ihrem detektivischen Spürsinn. Den Namen jener öffentlichen Person, die der Zeuge morgens am 9. November 1985 am Flughafen Findel gesehen haben will, verriet der Sender bis vor kurzem aber mit keinem Sterbenswort.
Realistisch betrachtet, dürfte diese einzelne Zeugenaussage, die heute allerorts für Aufregung sorgt, auch kaum ausreichen, um eine Anklage vor einem Gericht in einer Strafsache zu rechtfertigen, die nun schon über 20 Jahre zurückliegt. Wenn am Ende die Beweislage sowieso keinen hinreichenden Tatverdacht begründet hätte, und die Untersuchung gegen den Verdächtigten demzufolge eingestellt worden wäre, warum wurde dann mit der Unschuldserklärung nicht bis zum Schluss der Ermittlungen gewartet? Die Strafprozessordnung schreibt eine eindeutige Prozedur vor: Der Untersuchungsrichter ermittelt in alle Richtungen, wie es der Wahrheitsfindung am besten dient. Sind die Ermittlungen beendet, reicht er seinen Bericht an die Staatsanwaltschaft weiter, die ihrerseits binnen einer gewissen Frist ein Gutachten zur Akte abgibt und dann das gesamte Dossier der Ratskammer vorlegt. So lange aber hätte der Prinz als Tatverdächtiger und, noch schlimmer, als potenzieller Beschuldigter gegolten - ein unangenehmer und angesichts der verwandtschaftlichen Beziehung zum Staatschef Henri brisanter Umstand, dem die Staatsanwaltschaft mit ihrer Aktion offenbar beikommen wollte.
Verständlich ist das, denn ein Justizverfahren ist lästig und psychisch belastend, zumal wenn man unschuldig verdächtigt wird. Das trifft aber für jeden zu, nicht nur für einen Prinzen. Im Frühjahr 2001 beispielsweise geriet der ehemalige Clearstream-Chef André Lussi wegen eines Geldwäschevorwurfs in die Schlagzeilen. Die Anschuldigungen beruhten auf einem in der Finanzwelt umstrittenen Buch (d'Land berichtete). Damals befand die Staatsanwaltschaft, sie habe genug Anhaltspunkte, um gegen den Manager zu ermitteln. Etliche Monate später, als die Ermittlungen abgeschlossen waren, erklärten die Justizbehörden, es hätten sich keine Beweise für eine systematische Geldwäsche ergeben - da war Lussi seinen Job und seinen guten Ruf aber bereits los und auch der Luxemburger Finanzplatz hatte seinen Imageschaden weg. "Warum wurde damals nicht ein ähnliches Kommuniqué verfasst", wundert sich ein Anwalt, der namentlich nicht genannt werden will. Inzwischen ermittelte die Staatsanwaltschaft gegen den Buchautoren: wegen Verleumdung und übler Nachrede. So entsteht der Eindruck, die Staatsanwaltschaft habe mit ihrer Stellungnahme mit zweierlei Maß gemessen. Und es gibt noch eine weitere Ungereimtheit. Um die Unschuld seines Mandanten zu unterstreichen, hatte der Anwalt des Prinzen gegenüber dem Radiosender DNR Ende vergangener Woche wörtlich gesagt: "Es war und ist nie etwas im Dossier gewesen, das den Prinzen hätte belasten können." Für Rechtsanwalt Gaston Vogel ein Hinweis darauf, dass der Anwalt des Prinzen Zugang zu den Ermittlungsakten gehabt haben könnte. Sollte das stimmen, wäre dies ein - strafbarer - Verstoß gegen das Untersuchungsgeheimnis, denn Ermittlungsakten einsehen dürfen nur Beschuldigte und die Zivilpartei. D’Land wollte wissen, worauf der Anwalt seine Aussage begründet; leider war der Betreffende bis Redaktionsschluss für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Derweil beteuert Oberstaatsanwalt Robert Biever, der Anwalt habe keinen Zugang zu den Akten gehabt, von einer "Sonderbehandlung" könne daher keine Rede sein. Wie aber ist dann die Aussage des beigeordneten Staatsanwalts Jean-Paul Frising zu verstehen, die Vorgehensweise sei nicht nur wegen der Mediatisierung des Falls "opportun" gewesen, sondern auch weil es sich "hierbei um ein Mitglied der großherzoglichen Familie" handelt? Ähnlich argumentierte Premierminister Jean-Claude Juncker beim Pressebriefing vorigen Freitag: Angesichts des großen Medieninteresses und weil überdies der Bruder des Staatschefs betroffen sei, mache die Mitteilung von Untersuchungsergebnissen durchaus Sinn. Nicht als Staatsminister, wohl aber in seinem persönlichen Namen bewertete Juncker die Vorgehensweise der Justizbehörden als "gesund". Dass er zu dieser Einschätzung kommt, überrascht nicht. Schließlich hatte der Staatsminister auch kein größeres Problem damit, sich als Chef der Exekutive in die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft einzumischen, als er dem Zeugen ein Gespräch unter vier - acht mit denRTL-Journalisten - Augen anbot. Genau jene Einmischung könnte den Beteiligten - der Justiz, der Regierung und letztlich auch dem Prinzen - nun zum Nachteil gereichen. Eine der ersten, und im rechtlichen wie auch impolitischen Sinne schwerwiegendsten Befürchtungen, die Journalisten und Rechtsanwälte nach der Veröffentlichung der Mitteilung äußerten, war die, auf die Justiz sei möglicherweise Druck ausgeübt worden. Auch wenn die Staatsanwaltschaft dies sogleich dementiert hat und beteuert, es habe keine Order von welcher Seite auch immer und keine politische Einfl ussnahme gegeben: Weil Politiker es schon einmal mit dem Prinzip der Gewaltentrennung nicht so genau genommen haben, liegt die Mutmaßung nahe, es könne auch in diesem Fall so sein. Damit aber bekommt die in Sachen Bommeleeër vorherrschende Sichtweise in der Bevölkerung, die Attentäter seien damals von ranghohen Politikern, Polizisten und sogar den Justizbehörden gedeckt worden, erneute Nahrung. Der durch jahrelange, undurchsichtige und vor allem erfolglose Ermittlungen ohnehin angeknackste Ruf der Untersuchungsbehörden wird einmal mehr lädiert. Ein teurer Preis, den die Justizbehörden für ihr Versäumnis bezahlen, nicht von vornherein allen Verschwörungstheorien und unbewiesenen Verdächtigungen entschieden entgegen getreten zu sein - und es ist noch nicht einmal sicher, ob sich der Preis lohnt. Denn als wäre das alles nicht genug, lässt ausgerechnet jenes Kommuniqué der Staatsanwaltschaft, das den Betroffenen von allen Verdächtigungen reinwaschen soll, wichtige Fragen offen. Der Prinz hat offenbar für verschiedene Tage Alibis präsentiert. Über eine "gewisse Anzahl" von Daten konnte er dagegen keine präzisen Angaben machen - die Mitteilung verweist verständlicherweise auf die vielen Jahre, die seit der Bombenserie vergangen sind. Merkwürdig ist nur, dass im Gegensatz zum Prinzen dem Zeugen, der den Prinz identifiziert haben will, gewisse Abweichungen zwischen seinen Aussagen von damals und heute vorgehalten werden. In dem Papier heißt es mit Hinweis auf eine wieder gefundene Aktennotiz, die Zeugenaussage von früher hätte keine Identifikation des Mannes im Auto zugelassen, die damalige Beschreibung weiche außerdem von der heutigen ab. Besagte Aktennotiz wurde vom Zeugen aber nie unterschrieben - entsprechend wertlos dürfte der Verweis darauf sein, zumal der Betreffende behauptet, die Polizei hätte ihm damals verboten, den Namen des Prinzen je wieder im Zusammenhang der Anschläge zu erwähnen, ja, er sei sogar beschattet worden. Statt hier radikal aufzuklären, trägt die Staatsanwaltschaft mit ihrer Aktion im Gegenteil dazu bei, dass Verschwörungstheorien nun erst recht Auftrieb gewinnen können. Nach dem Motto: Der schwarze Prinz ist tot, es lebe der schwarze Prinz.