Europäische Währungskrise

Machtloser Kapitän

d'Lëtzebuerger Land vom 09.12.2010

Der herausragende Europäer unserer Tage ist der Präsident der Europäischen Zentralbank. Das hat das Direktorium der Gesellschaft für die Verleihung des Karlspreises zu Aachen entschieden. Es hat Jean-Claude Trichet zum Preisträger 2011 ausgerufen. In Zeiten, in denen es heißt „Scheitert der Euro, dann scheitert Europa“, sind nicht die Politiker, sondern ist Trichet Kapitän auf dem europäischen Schiff.

In der größten Wirtschafts- und Finanzkrise seit der Großen Depres-sion 1929 hat die Europäische Zentralbank (EZB) gute Arbeit leistet. Es war Trichet, der die Euro-Staaten in Sachen Haushaltsfinanzierung unter Zugzwang gesetzt hat. Er hat sein Ziel, den Euro und seine Preisstabilität zu sichern, seit seinem Amtsantritt mit Entschiedenheit verfolgt. Dass der Euro hart bleibt, dafür steht der Franzose Trichet, der sich als Präsident der französischen Nationalbank den Spitznamen „Ayatollah du franc fort“ verdient hatte und vielleicht, wenn alles einmal gut ausgegangen ist, den Titel des „Ayatollah von Frankfurt“ zugesprochen bekommt.

Trichet ist, Widerspruch in sich, ein geschmeidiger Ayatollah geworden. Die Euro-Staaten haben in ihrer Wirtschaftspolitik als Gemeinschaft so gründlich versagt, dass die EZB den europäischen Banken bis heute unlimitierte Liquidität zur Verfügung stellt sowie griechische, irische und portugiesische Staatspapiere aufkauft, um einem ausufernden Anstieg der Schuldzinsen dieser Länder zu verhindern. Die EZB versucht die Stunde der Wahrheit so lange herauszuzögern, bis die Staaten ihre Haushaltsprobleme besser in den Griff bekommen haben. Dennoch gilt, was Andreas Schmidt, Präsident des deutschen Bankenverbandes, feststellt: „Die Rechnung liegt auf dem Tisch. Sie ist nur zwischenfinanziert. Wer sie am Ende bezahlt, ist offen.“

Ganz so offen nicht, denn es werden die kleinen Leute in den Schuldenstaaten sein, die die Rechnung der Politiker und Bankiers begleiten müssen. Womit wir bei einer der Wurzeln sind, aus denen Jean-Claude Trichet seine Überzeugungen gewinnt. Für ihn ist der Euro „nicht nur ein Zahlungsmittel, sondern ein hohes Gut, eine Friedenswährung für ein Europa, das noch vor 65 Jahren in Schutt und Asche lag.“ Die wichtigste Frage lautet: Kann die Europäische Union den inneren Frieden in Zeiten einer Wirtschafts- und Währungskrise wahren? Hat sie dafür die Unterstützung der Europäer?

Trichet, geboren 1942 in Lyon, hat selbst noch eine lebendige Erinnerung an die ersten Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Erinnerung an diese europäische Katastrophe war über Jahrzehnte Anstoß und Kitt der Europäischen Union. Es ist kein Zufall, dass ihre sechs Gründungsländer alle aufs Schwerste unter dem Krieg gelitten hatten, die Geschichtschreibung spricht von einem gemeinsamen Zerstörungsraum. Heute ist der Ursprungsmythos der gemeinsamen Kriegserinnerung verblasst. Für Zeitgenossen ist der Zwei-te Weltkrieg nicht anders einzuord-nen als die Französische Revolution. Es ist ein historisches Ereignis, das weit weg in der Vergangenheit stattgefunden hat.

Wer seinen Mythos verliert, muss sich einen neuen schaffen. Das ist Menschenart. Die meisten antiken Vorbilder haben dafür schwer schuften müssen. Stallausmister Herkules ist dafür bis heute das beste Beispiel. Europäische Helden sind aber nicht in Sicht. Es gibt keine Politiker, keine Denkschule, die Europa konzeptionell und ideell weiterentwickeln könnte. Was uns bleibt, sind allein die nackten Tatsachen.

Das Aachener Direktorium verbindet mit der Verleihung des Karlspreises an Jean-Claude Trichet die Aufforderung an die Politiker, sich an die politische Union zu wagen, mit einer gemeinsamen Wirtschafts-, Finanz- und Haushaltspolitik um Europa auf einen gemeinsamen und gesunden Wachstumspfad zurückzuführen. Das ist aber nur um den Preis einer integrierten Zusammenarbeit zu haben.

Widerstände dagegen gibt es überall. Es wird kolportiert, dass der griechische Premierminister den Rettungsmechanismus als undemokratisch qualifiziert hat, worauf die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel geantwortet haben soll: „ If this is the sort of club the euro is becoming, perhaps Germany should leave.“ Papandreou lernt gerade die Lektion der Ostdeutschen aus den Jahren 1992-93: „Wir wollten alle die harte DM, aber wir wussten nicht, wie hart sie ist.“ Die Briten wiederum wollen ein sparsames EU-Budget, die Rückgabe von Kompetenzen an die Mitgliedstaaten und mehr nationale Referenden als Hürde gegen Veränderungen des Status quo. Sie wollen, so Charles Moore von Sunday Telegraph, nicht mehr länger für ein System zahlen, „das nicht funktioniert und für das wir Verantwortung tragen, ohne Macht zu haben“.

Eine Wirtschaftsregierung muss her, sagen viele. Aber welche? Keine à la Sarkozy, für den sie doch nur den direkten Zugriff auf die europäische Wirtschaftspolitik bedeutet. Ebenso wenig eine, in der Deutschland seine Vorstellungen von Wirtschaftspolitik allen anderen deshalb aufdrückt, weil es der erfolgreichste Partner und größte Geldgeber ist. Wer europäisch zum Ziel kommen will, muss überzeugen können. Die wirtschaftspolitischen Vorstellungen der Mitgliedstaaten unterscheiden sich jedoch noch immer erheblich.

Eine gemeinsame Wirtschafts-, Finanz und Haushaltspolitik braucht praktische Projekte, die gleichzeitig symbolhafte Wirkung entfalten können. Leider gibt es keine Vision einer europäischen Wirtschaftsna-tion. Schon gar keine, die bei den Bürgern Europas ankommt. Da es sie nicht gibt, muss man sie in kleinen Schritten erarbeiten. Es gibt keinen Konsens über Eurobonds, also einen gemeinsamen Euro-Staatsschuldenmarkt, die doch, da hat der Präsident der Euro-Gruppe, Jean-Claude Juncker, Recht, der letzte und einzige Beweis sind, dass der Euro auf Dauer geschaffen wurde. Eurobonds könnten in einer Übergangsphase von Zonen herausgegeben werden, zu denen sich wirtschaftlich ähnlich starke Länder zusammenfinden könnten.

Es gibt keine transnationalen europäischen Mindestlohnzonen, die Unterschiede auf verschiedenen Niveaus einebnen könnten und zugleich klar fassbarer Ausdruck einer Politik wären, die aus Europa längerfristig eine deutlich homogenere Wohlstandszone machen will. Es gibt keine Angleichung der Steuer- und Sozialsysteme, die auf Unternehmen und Arbeitnehmer nicht nur kostenmindernd,, sondern auch identitätsbildend sein können, weil die innere europäische Migration dadurch gefördert würde. Deren Rolle bei der Herausbildung einer festeren europäischen Identität kann gar nicht überschätzt werden, wenn sie klug gefördert wird.

Das alles geht nur, wenn die europäischen Politiker stärker, besser und uneigennütziger zusammenarbeiten. Tun sie es nicht, so gibt es in beinahe jedem Mitgliedstaat ein Potenzial von 30 Prozent EU-, islam- und integrationsfeindlicher rechtskonservativer Wähler. Sie könnten sich bei einem Scheitern der europäischen Elite sehr schnell zu einem entscheidenden Faktor der EU-Politik entwickeln. Welch ein Szenario: ein gescheiterter Euro und in vielen europäischen Ländern Regierungspartner, für die die EU ein rotes Tuch ist. In diesem Fall wäre selbst Jean-Claude Trichet machtlos.

Christoph Nick
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