Auch wenn das Koalitionsabkommen viele Bildungsfragen offenlässt, bleibt das System Meisch erhalten
Kurz

Tiefblau

Szene am Lycée Michel Rodange
Photo: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land du 24.11.2023

vor den Wahlen hatte die CSV noch zur Pressekonferenz geladen, um die bildungspolitischen Unterschiede zwischen ihren Ideen und denen der DP zu betonen, wie die jetzige Landwirtschaftsministerin und damalige CSV-Fraktionschefin Martine Hansen mit Verve erklärte. Am Ende hat Claude Meisch (DP) das Rennen gemacht und bleibt für die nächsten fünf Jahre Bildungsminister. Seitdem die Ressorts bekanntgegeben wurden, hatte man sich quer durchs Land gewundert, wie es einer Person möglich sein wird, zwei der größten Herausforderungen, Bildung und Wohnungsbau, mit der nötigen Kraft und Disziplin zu verwalten. Am Dienstag sagte Claude Meisch RTL, „béides wäert mäi vollst Engagement fannen“, ohne weiter auszuführen, wie.

In der Arbeitsgruppe Bildung, der zehn CSV- und fünf DP-Mitglieder vorsaßen, seien die Gespräche „überraschend konstruktiv“, gar „freundschaftlich“ gewesen, heißt es von den Teilnehmern. Vergessen schien die angriffslustige zehnjährige Oppositionsarbeit, die die CSV geleistet hat. 14 Seiten wurden dem Thema Bildung letzlich zuteil, etwa ein Fünfzehntel des gesamten Koalitionsvertrages. Der Großteil liest sich wie das DP-Wahlprogramm. So hat Claude Meisch vor, drei weitere internationale öffentliche Lyzeen in der Hauptstadt, Düdelingen und Esch/Alzette zu eröffnen, die französische Alphabetisierung weiter voranzutreiben und den Maison Relais mehr Gelder zur Verfügung zu stellen, um dem dortigen Personal Vollzeitverträge anbieten zu können.

Eine Lösung zur ewigen Baustelle der Hausaufgabenhilfe und der besseren „Verzahnung“ zwischen Maison Relais und Schule, die sowohl CSV und DP in ihren Wahlprogrammen anstrebten, ist (verständlicherweise) auch der Arbeitsgruppe Bildung, die sich drei Mal für zweistündige Beratungen getroffen hat, nicht beigefallen. Es wurde festgestellt, dass die schwarzblaue Regierung darauf eine „Antwort finden muss“, und das Programm weist auf die Unvereinbarkeit der „reglementarischen Texte“ der Betreuungsstrukturen und der Schulen hin. Außerdem werden in Belval eine weitere Sekundarschule des LTPS für Gesundheitsberufe ebenso wie eine zweite Enad (Erwachsenenbildung) aufmachen, die dem Mangel an Erzieher/innen entgegenwirken sollen. Letztere werden im Luxemburgischen geschult, es soll mehr Geld in die Inklusion fließen und der Betreuungsschlüssel soll insbesondere für kleine Kinder verbessert werden. Auf lange Sicht soll das Lehrpersonal im Kindergarten (Zyklus 1) von einer Erzieherin unterstützt und das System der „Chèque Service Accueil“ reformiert werden. Grundschullehrer können in Zukunft auf Masterniveau an der Uni.lu ausgebildet werden, der Lehrplan wird modernisiert um den 4Ks (Kollaboration, Kreativität, Kommunikation und Kritisches Denken) gerecht zu werden. Eine „Priorität“ besteht in der Evaluierung der Kriterien im Technique. So weit, so vorgesehen.

Es gab in den Wahlprogrammen natürlich durchaus Überschneidungen. An ein paar Stellen wurden im Koalitionsprogramm jedoch sichtbar CSV-Akzente hintendran gesetzt, die der Regierung reichlich Handlungs- und dem Leser genauso viel Interpretationsspielraum offenlassen. So heißt es zu den internationalen Schulen, die die CSV mit skeptischem Auge beäugelt und denen sie eine Reform der traditionellen öffentlichen Schulen vorgezogen hatte: „Outre l'extension ponctuelle des écoles internationales, les écoles publiques traditionnelles seront renforcées.“ Was das konkret heißt, bleibt abzuwarten. Außerdem gingen Martine Hansen die Kontrollen in den Betreuungsstrukturen nicht weit genug. Der Bereich „réclamations et contrôle“ soll ausgebaut und eine Arbeit mit der Kriminalpolizei möglich werden, letztere könnte dann unangemeldet Kontrollen durchführen. Auch die Passagen zum „entschiedenen Kampf“ gegen Mobbing dürften auf die CSV zurückzuführen sein. Eine weitere Divergenz gab es zu den von der DP implementierten Regionaldirektionen, hier konnte die CSV ihre Forderung nach einem Schuldirektor (als Pilotprojekt) durchsetzen.

An einigen Stellen finden sich Formulierungen wie „in enger Zusammenarbeit“ oder im „strukturierten Dialog“ mit den schulischen Partnern, die eine ausgestreckte Hand an die Gewerkschaften vom neuen Koalitionspartner der DP sein könnten. Claude Meisch war in den letzten Jahren oft vorgeworfen worden, im Alleingang zu handeln, ohne Beteiligte mit einzubeziehen. Die Reaktionen der Gewerkschaften fallen indes gemischt aus. Joëlle Damé, Präsidentin des SEW, vermisst den „roten Faden“ im Programm und tut sich schwer, die kommende Politik genauer einzuschätzen – viele Punkte seien nicht „greifbar“. Auch Raoul Scholtes, Präsident der Féduse, meint, man könne in das Programm viel hineinlesen. Der Teufel stecke wie so oft im Detail – und in der Umsetzung der zum Teil vagen Formulierungen.

Die CSV hatte sich in ihrem Programm ebenfalls für eine Flexibilisierung des Sprachenunterrichts in den Lyzeen ausgesprochen, die im Programm angedeutet wird. Eine kleine, überaus unausgegorene Überraschung steckt im Teil zu den Sekundarschulen und war in dieser Explizitheit in keinem Wahlprogramm zu finden: Die blau-schwarze Regierung will die oberen Klassen des klassischen Lyzeums reformieren, um die Sektionen abzuschaffen und den Schülern „mehr Wahlfreiheit zwischen den verschiedenen Fächern zu überlassen“. Dies soll erst an einer oder mehreren Sekundarschulen als Pilotprojekt ausprobiert werden. Widersprüchlich ist das Abkommen, wenn es auf der einen Seite verspricht im Sinne von mehr Bildungsgerechtigkeit alle neu entwickelten Sektionen (mittlerweile gibt es insgesamt elf), für alle Schüler/innen geografisch zugänglich zu machen, auf der anderen jedoch, sie langfristig abschaffen zu wollen.

Die Sektionen stellen im klassischen Lycée eine Institution dar, die in dieser Form seit 1968 für alle Schülerinnen und Schüler besteht und von den CSV-Bildungsministern Émile Schaus. Pierre Grégoire und Jean Dupong implementiert worden war. Damals gab es eine literarische, eine mathematische, eine naturwissenschaftliche und eine ökonomische Spezialisierung (Sektionen A, B, C, D). 1979 kamen die künstlerischen Sektionen E (Kunst) und F (Musik) hinzu, ab 1989 gab es A1 und A2 (ab 2002 wurde A2 zu G). In den letzten Jahren wurden die Sektionen I (Informatik), N (Unternehmertum und Finanzen), P (Kognitiv- und Humanwissenschaften) und R (Politik und nachhaltige Entwicklung) hinzugefügt, um das Angebot „den Veränderungen in der Gesellschaft“ anzupassen. Es ist nicht übertrieben, nun von einem überladenen und ungleich verteilten Angebot zu sprechen.

„Vielleicht sind die Sektionen nicht mehr das, was später in der Gesellschaft gebraucht wird“, sagt DP-Fraktionschef Gilles Baum, der ebenfalls in der Arbeitsgruppe Bildung saß. Dieser strukturelle Umbau dürfte enorm werden, vor allem, da er mit verschiedenen Sprachenfilialen einhergehen wird. Der öffentliche Dienst würde dadurch jedoch nicht für Muttersprachler aus den Nachbarländern geöffnet werden., sagt Gilles Baum. Thomas Lenz, Bildungsforscher an der Universität Luxemburg, weist darauf hin, dass Luxemburg damit eine ähnliche Entscheidung wie Frankreich fasst. Im Rahmen des „Bac Blanquer“ – nach dem damaligen Bildungsminister – wurden dort seit 2021 die Sektionen in ihrer vorherigen Form abgeschafft. In Deutschland läuft die Organisation der oberen Klassen schon seit 1972 nach dem Modell von wählbaren Leistungs- und Grundkursen, natürlich mit festgelegten Belegungskriterien, die eine vertiefte Allgemeinbildung sicherstellen sollen.

Über die Sektionen würden in Luxemburg viele gesellschaftliche Aufgaben, die die wirtschaftliche Nachfrage betreffen, in die Schulen verlegt, meint Thomas Lenz. Er habe das als eine „Überlastung der Schulen“ empfunden und plädiert für eine kleinere Fächerauswahl. Dass durch eine Abschaffung der Sektionen die Kohorte, die sich für humanistisch oder künstlerisch geprägte Fächer entscheidet, noch kleiner werden würde, glaubt er nicht: Schulen könnten sich für die am wenigsten gewählten Fächer immer noch zusammentun. Die Herausforderung für Claude Meisch wird in diesem Mega-Ressort jedenfalls sein, dem Vorwurf des „nivellement vers le bas“ etwas entgegenzusetzen zu haben, bei dem Bildungsgerechtigkeit nicht nur draufsteht.

Sarah Pepin
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