Große Koalitionen als natürliche Regierungsform

CSV/LSAP-Staat

d'Lëtzebuerger Land vom 11.06.2009

Einige hellsichtige Beobachter hatten es schon seit Jahren vermutet. Aber niemand hatte sich getraut, es laut zu sagen:  Eine CSV-LSAP-Koali­tion ist dabei, zur natürlichen Regierungsform im Großherzogtum zu werden, zu einer Institution der repräsentativen Demokratie und konstitutionellen Monarchie. Am Ende der so­eben begonnenen Legislaturperiode, im Jahr 2014, werden Christlichsoziale und Sozialisten während 25 von 30 Jahren regiert haben. So als wäre die kurze Unterbrechung von 1999 bis 2004 bloß eine Panne gewesen.

Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs lösten sich LSAP und DP in der Regel nach jeder Wahl als Koalitionspartner an der Seite der CSV ab und sorgten so während der Goldenen 30 Jahre des Wirtschaftsaufschwungs und des Kalten Kriegs für demokratische oder wenigstens parteipolitische Abwechslung.  Dann kamen, als Nachwehen von Mai ‘68 und vor dem Hintergrund der großen Stahlkrise, zwischen 1974 und 1984 erst eine linksliberale und dann eine rechtsliberale Koalition, und seither haben sich  CSV und LSAP mit einer einzigen Ausnahme an der Macht etabliert. Zwischen 1984 und 1999 hatte erstmals eine Koalition drei Legislaturperioden gehalten, und in diesen Tagen beschließt dieselbe, auf mindestens zehn weitere Jahre zu kommen.

Dass sich die beiden Parteien mit dem „S“ im Namen als beinahe Dauerregierende Mitte der Achtzigerjahre etablierten und am Anfang ihrer nur einmal kurz unterbrochenen Koalition ein Wahlsieg der die Wiedereinführung der automatischen Indexanpassung versprechenden LSAP stand, ist wohl mehr als ein Zufall. Vielleicht wurde damals eine Regierung von  CSV und LSAP zur politischen Verlängerung des in jenen Jahren definitiv institutionalisierten „Luxemburger Modells“ der etwas ständisch inspirierten Sozialpartnerschaft.

Schließlich stellt die Koalition einer ziemlich sozialdemokratisierten CSV und einer ziemlich wertkonservativen LSAP auch die teilweise Integration der beiden größten Gewerkschaften und der beiden größten Tageszeitungen in die Regierungsverantwortung dar. Was die Aufteilung, wenn nicht der Produktivitätsgewinne, dann doch der Wettbewerbs- und Krisenopfer in der Tripartite vereinfachen kann. So als sei eine CSV/LSAP-Koalition ein wenig die Wiederholung der Tripartite auf Regierungsebene oder die Tripartite das Spiegelbild einer „großen Koalition“ in der Wirtschaft. Dem hat keine andere Partei auch nur Vergleichbares entgegenzusetzen.

Schon in Zeiten einer florierenden Volkswirtschaft stellt die Koalition von Konservativen, die einem der reichsten Länder der Welt versprechen, nur so viel zu ändern, dass alles beim alten bleibt, und von Sozialisten, die sich für den Erhalt des hochentwickelten Sozialstaats verbürgen, vielleicht den breitest möglichen politischen Grundkonsens in der ziemlich liberal und individualistisch gewordenen Luxemburger Gesellschaft dar. Dass eine solche Koalition gerade in der tiefsten Krise seit Jahrzehnten noch größere systemische Bedeutung als Dexia und Fortis zu haben scheint, müssen sogar DP und Grüne gefühlt haben, als sie gleich alle Ansprüche auf eine Beteiligung an Koalitionsgesprächen aufgaben.

Ob eine Koalition zwischen den beiden größten Parteien eine Bedrohung für die Demokratie darstellt, wie Luxemburger Spiegel-Leser meinen, gilt eher für Deutschland, wo ein undemokratischeres Mehrheitswahlrecht die Opposition schwächt. Mit 60 Prozent aller Stimmen hat eine CSV/LSAP-Koalition immerhin die höchst mögliche Legitimation der Wähler. Die Koalitionsverhandlungen über die Verwaltung der Wirtschafts- und Finanzkrise werden zeigen, wozu das nutzt. 

Romain Hilgert
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