Für den Energie- und Klimaplan wird die Zeit knapp. Die Regierung weiß noch nicht, was sie will. Also rät die Petrol-Lobby ihr, nicht zu viel zu wollen

Politik im Klimawandel

d'Lëtzebuerger Land vom 01.11.2019

Im Sommer 2016 war sich die grüne Umweltministerin Carole Dieschbourg sicher: Der nächste, der dritte Klimaschutz-Aktionsplan werde noch in der laufenden Legislaturperiode aufgestellt, auch wenn er anschließend an die nächste Regierung vermacht wird. Ein Plan, aus dem hervorgeht, wie bis 2030 Luxemburgs Beitrag zur Erfüllung der Pariser Klimagipfelbeschlüsse aussehen soll. Dieschbourg erklärte: „Wir wollen weg davon, dass man fragt: ‚Oh, wer muss denn jetzt etwas reduzieren und wer fängt an?’ Künftig soll es für alle klimarelevanten Sektoren quantitative Ziele geben“ (d’Land, 29.7.2016).

Doch in den zwei Jahren, die folgten, ließen die Koalitionspartner sich auf diese Übung nicht ein: Wieso der nächsten Regierung Arbeit abnehmen, noch dazu in einem grünen Bereich? Als der Wahltermin nahte, entschied die DP, sich ihm mit einer Gute-Laune-Kampagne zu stellen; Klimapolitik-Strategien hätten da nur gestört. Die LSAP wiederum wollte endlich wieder sozialdemokratisch sein und fand, das gehe auch ihres Spitzenkandidaten Etienne Schneiders wegen nicht ohne klares Bekenntnis zu Wachstum. Doch wider Erwarten machte der Wahlausgang am 14. Oktober 2018 nicht nur eine weitere Runde „Gambia“ möglich, sondern sie war den Zugewinnen der Grünen zu verdanken. Politisch gestärkt, setzten Déi Gréng durch, dass die neu-alte Regierung nicht nur einen Plan über eine vierzigprozentige CO2-Reduktion aufstelle, wie das in der EU-Lastenteilungsverordnung nach wie vor geschrieben steht, sondern minus 50 bis 55 Prozent. Der Regierungsrat schloss sich am 8. Februar an. „Wir werden damit zum Vorbild!“, erklärte der grüne Energieminister Claude Turmes (d’Land, 1.3.2019).

Mittlerweile aber rächt sich, dass unter der vorigen Regierung nicht viel lief in Sachen Klimastrategie: Bis zum 31. Dezember dieses Jahres muss jeder EU-Staat seinen Klimaschutzplan (ausgeschrieben: Plan national pour l‘énergie et le climat, Pnec) an die EU-Kommssion schicken. Ehe das geschieht, soll zwischen September und November das Parlament konsultiert werden, und die Öffentlichkeit per Internet – so hält es ein Calendrier prévisionnel des Umweltministeriums fest – im September und Oktober. Doch die Abgeordneten wurden erst vor kurzem ein erstes Mal ins Bild gesetzt, und die Online-Konsultation der Bürgerinnen und Bürger wird vielleicht nur stattfinden, weil die EU sie vorschreibt.

Denn noch ist auch innerhalb der Regierung nicht klar, wie weit sie in den fünf Sektoren Transport, Gebäude, Industrie, Landwirtschaft und Abfall- und Wasserwirtschaft gehen will, welche Maßnahmen dafür vorgesehen werden sollen und – vor allem – was das jeweils kosten soll. „Äerdeg“ werde daran gearbeitet, berichtete Energieminister Turmes am Samstag in einer „Riicht eraus“-Sendung im Radio 100,7. Konkreter werden konnte er kaum mehr, als zu erzählen, dass er in seinem Ressort an einem Gesetzentwurf arbeiten lasse, der für neu zu bauende „Funktionsgebäude“ ähnlich hohe Anforderungen an deren Energieeffizienz einführen soll wie jene, die für neuen Wohnbauten gelten. Oder dass dafür gesorgt werden soll, dass Landwirte ihre Gülle in Bioenergie verwandeln. Seine große Hoffnung, dass die drastisch verschärften EU-Limits für den CO2-Ausstoß der Neuwagenflotten dazu führen werden, dass die Autohersteller in den nächsten Jahren mehr und vor allem preiswertere Elektroautos auf den Markt bringen und dadurch im hochmotorisierten Luxemburg der Spritverbrauch automatisch sinkt, wiederholte Claude Turmes auch. In ihrem ersten Entwurf zum Energie- und Klimaplan, in dem es auch um mehr Energieeffizienz und mehr erneuerbare Energien geht, hält die Regierung es im Effizienz-Kapitel für realistisch, dass der Anteil der Elektro- und der aufladbaren Plug-in Hybridfahrzeuge am Luxemburger Bestand bis 2030 auf 49 Prozent zulegen wird.

Das Problem ist nur, dass sich aus dieser Hoffnung nicht so leicht eine CO2-Senkung ableiten lässt. Zumal Luxemburgs Emissionsaufkommen zu rund 60 Prozent aus dem Treibstoffverkauf herrührt und dessen Exportanteil wegen der Niedrigsteuerpolitik so hoch ist, dass das Großherzogtum mit seinen 600 000 Einwohnern, 200 000 Grenzpendlern, sowie den LKW-Fahrern im Transit und den „Tanktouristen“ so viel an Treibstoffen umsetzt, dass sein Gesamt-Energieverbrauch ähnlich hoch ist wie etwa der der baltischen EU-Länder, mit jeweils ein paar Millionen Einwohnern.

Und wie Beamte der Zoll- und Akzisenverwaltung vergangene Woche dem parlamentarischen Finanzausschuss berichteten, geht es im Tankstellengeschäft weiterhin rund: Bis Ende September war um 5,78 Prozent mehr Benzin verkauft worden, als für die ersten drei Quartale im Staatshaushalt für dieses Jahr veranschlagt wurde, und 2,48 Prozent mehr Diesel. In Volumen ausgedrückt, waren das 40 Millionen Liter Diesel und 20 Millionen Liter Benzin mehr als geplant. Der Staatskasse werden dadurch zusätzliche neun Millionen Euro an Benzin-Akziseneinnahmen zufließen und 13 Millionen Euro an Dieselakzisen. Doch da aus tausend Liter verbranntem Diesel 2,5 Tonnen CO2 entstehen, schlagen die zusätzlich verkauften 40 Millionen Liter mit 100 000 Tonnen Treibhausgas extra auf die Bilanz.

Was aus dieser Situation für den Pnec-Plan folgen soll, ist eine der großen noch nicht beantworteten Fragen. Zum 1. Mai hatte Finanzminister Pierre Gramegna (DP) die Mineralölsteuern ein wenig erhöht, die auf Benzin um einen Cent, die auf Diesel um zwei. Anscheinend aber hat das nicht viel bewirkt – obwohl Luxemburg, das drei Viertel seines Diesels an durchreisende LKW-Fahrer absetzt, durch den Zwei-Cent-Aufschlag um knapp 2,5 Cent teurer wurde als Belgien. Fuhrbetriebe, die im Nachbarland tanken, können dort eine Rückerstattung der Dieselsteuer beantragen. Die ist mit 600,16 Euro auf tausend Liter (oder rund sechs Cent pro Liter) an sich hoch. In Frankreich ist sie mit 609,40 Euro auf tausend Liter noch höher. Die belgische Ristourne aber lässt den Tausend-Liter-Preis im Nachbarland auf 352,54 Euro sinken. In Luxemburg liegt er seit dem 1. Mai bei 355 Euro.

Im November, sagte Claude Turmes am Samstag im 100, 7, würden er selbst, der Finanzminister, der Wirtschaftsminister und die Umweltministerin beraten, ob eine weitere kleine Akzisenanhebung nötig ist. Der Koalitionsvertrag hält fest, „l’imposition des produits pétroliers (carburants et mazout) devra donc être adaptée dans le but d’atteindre les objectifs souscrits par le Luxembourg dans le cadres des Accords de Paris“. Und der Regierungsrat hielt in seiner Sitzung vom 8. Februar, als 50 bis 55 Prozent CO2-Senkung abgemacht wurden, fest: „Sachant que les émissions de gaz à effet de serre sont à l’heure actuelle dominée pour deux tiers par le secteur des transports routiers, une baisse continuelle des ventes de carburants routiers sera incontournable.“

Noch aber gibt es keine regelrechte Strategie dafür; sich ab und zu in der Viererrunde zu treffen, ist Flug auf Sicht. Finanzministerium und Zollverwaltung verfügen nicht über genug Kenntnisse über den für rund zehn Prozent der Staatseinnahmen und 60 Prozent des CO2-Aufkommens ursächlichen Tankstellenmarkt. Sie verfolgen das Auf und Ab der Verkäufe, drücken das in Staatseinnahmen aus extrapolieren es in die nahe Zukunft. Nach wie vor unbeantwortet sind dagegen Fragen wie die, welche LKW-Fahrer aus welchen Ländern sich in Luxemburg mit Diesel eindecken. Oder die, wie der Verlust des Preisvorteils gegenüber Belgien sich auswirkt. Oder auch jene, inwiefern das gesamte, durch geringe Akzisen künstlich billig gehaltene Paket von Produkten an den Luxemburger Tankstellen attraktiv genug ist, dass die Kundschaft nicht wegbleibt, wenn das eine Produkt höher besteuert wird. Womöglich ließe sich aus solchen Daten ein Modell entwickeln und aus diesem ein Plan für den Ausstieg aus dem Tanktourismus.

Doch dem Vernehmen nach ist das ein Ansatz, dem die grünen Regierungsmitglieder viel stärker zuneigen als die Kollegen von den Koalitionspartnern. Der Finanzminister, der sich vorstellen kann, das Luxemburg die Akzisen-Nische ähnlich problemlos aufgeben könnte wie den TVA-Vorteil auf dem elektronischen Handel, wird von seinen Beamten gewarnt, dass dies nicht so leicht sein könnte. Generell sind bei den Gesprächen um den Energie- und Klimaplan DP und LSAP vorsichtig. Erstere möchte ihren Wählern nicht die gute Laune verderben, Letztere ist um ihre ohnehin erodierte sozialdemokratische Identität besorgt und sucht nach Möglichkeiten, für sozial gerechte Klimapolitik einzutreten.

Und so hat sich der Finanzminister im Budgetgesetzentwurf 2020 zunächst Freiraum gegeben, die Diesel-Akzisen weiter zu erhöhen. Das Maximum soll um knapp 3,65 Cent pro Liter steigen. Weil das bisher geltende Maximum noch nicht ausgeschöpft ist, würden gegenüber der seit 1. Mai geltenden Akzisenbelastung bis zu acht Cent pro Liter Aufschlag möglich. Man müsste nur wissen, warum. Und sagen, wie weit im Klima-Vorbildland Luxemburg ein Ausstieg aus der Akzisennische durch eventuell sinkende Staatseinnahmen Auswirkungen auf welche Ausgaben haben darf. Falls es stimmt, dass diese Nische auf Sand gebaut ist, weil sie zum einen die nationale CO2-Bilanz verschlechtert, zum anderen ein Anzapfen ausländischer Steuerbemessungs-Grundlagen darstellt, dann müsste eine Ausstiegs-Strategie um eine ergänzt werden, die beispielweise klärt, welches Investitionsniveau der Staat sich in Zukunft leisten kann.

Weil eine solche Strategiebildung fehlt, wundert es nicht, dass vom Lobbyverband der Petrolbranche, dem Groupement pétrolier, und der Fedil, in der das Groupement Mitglied ist, ein Ansatz propagiert wird, der der Regierung auf halbem Weg entgegenkommt: Sie sollte sich vornehmen, was sich erreichen lässt; bei den Gebäuden, den Bemühungen mit Industrie und Landwirtschaft, in der Elektromobilität auch. Und sollte dies gegenüber der EU-Kommission offensiv vertreten. An Änderungen im Spritgeschäft dagegen sollte sie sich allenfalls herantasten – und beherzt in den Energie- und Klimaplan schreiben, dass Luxemburg zur Erfüllung seiner Ziele CO2-Quoten zukaufen werde.

Fedil-Direktor René Winkin, ausgewiesener Energieexperte und ehemaliger Generalsekretär des Groupement pétrolier, deutete das in der Diskussionsrunde im Radio 100,7 an, als er sagte, mit „weniger als zehn Prozent der Einnahmen lassen sich 50 Prozent der Kompensationen“ realisieren. Gemeint war damit, dass beispielsweise tausend Liter Diesel 2,5 Tonnen CO2 entsprechen und die tausend Liter derzeit mit 355 Euro beteuert werden. An Autobahntankstellen kommen noch mindestens 50 Euro Konzessionsabgabe des Tankstellenbetreibers an den Staat hinzu. Würden die 2,5 Tonnen CO2 durch Kauf von Emissions-Quoten ausgeglichen, würde das bei einem Quotenpreis von 30 Euro pro Tonne 75 Euro kosten. Die könnte der Staat bereits zur Hälfte bezahlen, wenn er dafür ein Zehntel des Ertrags aus Akzisen und Konzessionsabgabe nutzen würde würden.

Dass diese Idee ihren Weg bei DP- und LSAP-Ministern auf Gefallen trifft, ist nicht ausgeschlossen. Die EU-Verordnung über die Klima-Lastenteilung enthält Hintertüren, und Quotenkauf ist möglich. Als die EU-Staats- und Regierungschefs 2014 politisch vereinbarten, was die EU auf dem Pariser Klimagipfel ein Jahr später anbieten werde, und festhielten, wohin das für die Mitgliedstaaten führen darf, freute Premier Xavier Bettel sich anschließend, dass den „Besonderheiten“ der Staaten Rechnung getragen wurde und „viel mehr“ flexible Instrumente als bisher für jene vorgesehen seien, die ihre Ziele aus eigener Kraft nicht schaffen (d’Land, 7.11.2014).

Und so steht es derzeit politisch unentschieden um den Klimaplan und um das Versprechen, „Freikauf gilt nicht mehr!“, das Carole Dieschbourg vor drei Jahren gemacht hat. In Deutschland hielt diesen Sommer die Auseinandersetzung um den Energie- und Klimaplan die Öffentlichkeit in Atem und gab Stoff für Spiegel-Artikel her. In Luxemburg ist eine solche politische Kommunikation unüblich, nicht gewünscht und war es bisher schon gar nicht zum Thema Akzisen. Hierzulande ist ein Indikator für den Stand der Willensbildung innerhalb der Koalition in Sachen Pnec der, dass die „CO2-Bepreisung“ noch nicht für den Klimplan feststehen, sondern Bestandteil der Steuerreform werden soll.

Eigentlich ist das unsinnig: Eine CO2-Steuer auf bestehende Preise obenauf, vielleicht auch auf Sprit-
akzisen. Darüber erst nächstes Jahr zu entscheiden, lässt vermuten, dass der Klimaplan vage bleiben wird. Doch die Regierung und mit ihr nun auch die Fraktionen der Koalition, die mehr und mehr erfahren, worum es geht, stellen fest, was für ein Riesenberg an Entscheidungen ganz schnell getroffen werden müsste: Eine über das Tankstellengeschäft, eine über CO2-Steuern und ihren sozialen Ausgleich. Dazu eine über die Einführung einer einheitlichen Steuerklasse sowie, last but not least, eine über eine neue Grundsteuer beziehungsweise eine „Anti-Spekulationstaxe“ auf Bauland. Dabei wird, falls das Spritgeschäft weiter floriert, Luxemburg schon sein CO2-Ziel für 2020 verfehlen, das nur minus 20 Prozent Reduktion vorsieht (siehe Grafik). Die Freikauf-Frage könnte sich schon dann stellen, DP und LSAP besonders gefallen, und der Finanzminister sich vielleicht daran erinnern, wie viel öffentliche Prügel vor zehn Jahren Umwelt- und Transportminister Lucien Lux von der LSAP für die Autosteuerreform einstecken musste, und dass der damalige Finanzminister Jean-Claude Juncker schlau genug war, sich im Hintergrund zu halten.

Peter Feist
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