Falk-Studie über den Finanzplatz

Fehlschuss

d'Lëtzebuerger Land vom 23.07.2009

Der Luxemburger Finanzplatz verursacht den Entwicklungsländern jährlich einen Steuerausfall von 2,5 Milliarden Dollar. Das meint Rainer Falk, Soziologe und Wirtschaftspublizist, der im Auftrag des Cercle de Coopération – im Rahmen der Steuerparadiesdebatte – den Fall Luxemburg aus entwicklungspolitischer Sicht begutachtet hat.1 Dieser Summe stehen 409 Millionen Dollar gegenüberstehen, die Luxemburg 2008 in die Entwicklungshilfe investiert hat. Demnach eine defizitäre Operation für die Entwicklungsländer, obwohl Luxemburg bislang zu den großzügigen Industriestaaten gehört.

„Lokale Finanzierungsquellen sind immer die ergiebigsten“, so Mike Matthias, Cercle de Coopération, am Donnerstag bei der Vorstellung der Studie. Falk selbst spricht von der „wachsenden Bedeutung“ des Steuerthemas in der Entwicklungspolitik. Gemeint ist damit die Frage, wie es den Entwicklungsländern gelingen kann, selbst ausreichend Geld einzutreiben, um die Entwicklung voranzutreiben und die damit verbundenen Investitionen zu bezahlen. Eine berechtigte Frage, ebenso wie es berechtigt ist, danach zu forschen, in wie weit Luxemburg an der Steuerflucht – sei es durch Privatpersonen oder Firmen – aus dem geografischen und sozialen Süden beteiligt ist, ihr eine Plattform bietet. Dass man Autor und Auftraggeber im Nachhinein als „Nestbeschmutzer“ bezeichnen wird, davon geht Matthias aus.

Im Prinzip könnte die Studie die Steueroasendiskussion um eine Dimension erweitern. Denn freuen sich Finanzminister Luc Frieden und mit ihm wohl die Mehrheit der Luxemburger, nicht mehr auf der Grauen OECD-Liste der in Steuersachen un­kooperativen Jurisdiktionen zu stehen, so ist noch lange nicht alles ethisch, was legal ist. Und die Auseinandersetzung damit, ob den Aktivitäten der hiesigen Finanzbranche nicht doch ein kleiner Grauschleier anhaftet, wird gerne gescheut. Umso bedauernswerter ist es, dass Falks Studie zwar in den Ansätzen begrüßenswert, in der Ausführung aber von schlechter Qualität ist und sich als undurchsichtige Mischung aus Ideologie und Unwissenheit, mindestens aber schlechter Dokumentation, herausstellt, sobald man seine Behauptungen überprüft. 

Beispiel: die 2,5 Milliarden Dollar, um die Luxemburg die Entwicklungsländer betrügen soll. Ausgangspunkt der, wie Falk selbst sagt, „groben Schätzung“, ist der Weltreichtumsbericht von CapGemini und Merill Lynch von 2009. Darin wird das Gesamtvermögen der High Net Worth Individuals (HNWI) auf 40,7 Billionen Dollar beziffert. „Schätzungsweise ein Drittel davon, also 13,5 Billionen Dollar, waren nach derselben Quelle im Ausland („offshore“) angelegt“, schreibt der Autor. Rund 15 Prozent davon würden in Luxemburg verwaltet, fährt er fort und beruft sich dabei auf die OECD, sprich 2,025 Billionen Dollar. Gehe man davon aus, dass der Anteil von Reichen aus der dritten Welt an den HNWI ebenso hoch sei, wie der Anteil ihrer Heimatländer an der globalen Wertschöpfung – 25 Prozent – „dann wären in Luxemburg etwas über 500 Milliarden Dollar an Geldern aus Entwicklungsländern angelegt, deren Erträge für eine Besteuerung in der Dritten Welt nicht mehr zur Verfügung stünden“, heißt es im Bericht. Selbst wenn es nur 250 Milliarden wären – der Autor hält damit dem Luxemburger System zugute, dass die Kundschaft hauptsächlich aus Europa stammt – würde dadurch bei einer jährlichen Rendite von fünf Prozent, die mit 20 Prozent besteuert würde, „ein Steuereinnahmenverlust“ von 2,5 Milliarden für die Entwicklungsländer entstehen. 

Dabei steht Falks „grobe Schätzung“ auf einem sehr wackeligen Fundament. Weil er, auch auf wiederholte Nachfrage, darauf besteht, mit „offshore“ meine Merill Lynch eindeutig beim heimischen Fiskus undeklarierte Anlagen. Und sich bei näherer Lektüre herausstellt, dass der Weltreichtumsbericht hierüber keine Angaben macht. Es beschleicht einen der Verdacht, dass Falk jeden, der sein Geld im Ausland verwalten lässt, der Steuerflucht verdächtigt. Und dass er  zudem Ausgangspunkt und Zielort von Investitionen miteinander verwechseln könnte – was im Hinblick auf das Eintreiben von Steuern doch einen ziemlich großen Unterschied macht. Verstärkt wird dieser Eindruck zusätzlich, weil Falk nicht weiß, ob in den in Luxemburg angelegten 2,025 Billionen Dollar, auf denen seine Rechnung beruht, die Nettoeinlagen der hiesigen Investment Fonds (2007: 2,06 Billionen Euro) enthalten sind, oder nicht. Angesichts der Tatsache, dass die überwältigende Mehrheit der Luxemburger Fonds nicht hier, sondern über die Bankschalter der Heimatländer der Käufer vertrieben werden, kann man dort kaum von undeklarierten Vermögen sprechen – wenn denn das Heimatland des Investors kein Bankgeheimnis kennt. 

Weiteres Beispiel: Den Autor regt es auf, dass „Luxemburg günstige Rahmenbedingungen für Holdings/Beteiligungsgesellschaften, Investmentfonds und Vermögensverwaltungsgesellschaften bietet. Die Unternehmen sind ganz oder teilweise steuerbefreit; überwiegend können die Gewinne steuerfrei ausgeschüttet werden.“ Das wertet er als Indiz dafür, dass Luxemburg trotz Persilschein von der OECD die „Züge einer Steueroase trägt“. Doch diese Erkenntnis entnimmt er nicht etwa der hiesigen Steuergesetzgebung, sondern der Webseite einer x-beliebigen Consulting-Firma, die damit um Kunden wirbt. Zu den begünstigten Gesellschaftsmodellen zählt er die Soparfi, die Holding 1929, Sicav und Sicaf, SIF und SPF. Ob er sich da mal nicht verschüttet? Denn er beruft sich ebenfalls auf eine OECD-Beschreibung der Soparfi, die sinngemäß sagt, dass eine solche die gleichen Aktivitäten ausüben kann, wie die SPF, daneben aber andere Aktivitäten ausüben darf, um zu behaupten, Soparfi und SPF unterlägen dem gleichen Steuerregime. Auf den Hinweis, dass das ein Trugschluss ist und SPF von der Körperschaftssteuer befreit sind, weil sie per Definition keine Aktivitäten ausüben, die der Körperschaftssteuer unterliegen – im Gegenteil zu Soparfi, die dann auch besteuert werden – geht er nicht ein. 

Falk vertritt zudem die Meinung, dass es in Luxemburg möglich ist, Treuhandfonds zu eröffnen, bei denen der wirtschaftliche Nutznießer nicht in Erscheinung treten muss. Dass diese Behauptung Ex-Finanzminister Jean-Claude Juncker und den neuen Finanzminister Luc Frieden Lügen straft, die im Rahmen der Reform der Zinsbesteuerungsdirektive und der Frage, ob diese auf Treuhandfonds, Stiftungen oder „Trusts“ ausgedehnt werden soll, einmütig behaupten, so etwas gäbe es in Luxemburg, anders als in Großbritannien, nicht, lässt ihn kalt. „Sie werden so etwas doch nicht einfach glauben, nur weil Minister es sagen“, so Falk am Mittwoch ob dieses Einwandes völlig unbeeindruckt. 

Dass ihm die Fachkenntnis abgeht, beweist Falk nicht zuletzt auch damit, dass er in seinem Papier zwar das OECD-Steueroasenkriterium anführt, das besagt, dass es keine Gesetze oder Verwaltungspraktiken, die den Steu­erinformationsaustausch behindern, oder Transparenzmängel geben darf, dabei aber nicht auf die Idee kommt, den Absatz der Abgabenordnung zu zitieren, der es der Steuerverwaltung untersagt, Informationen bei Banken anzufordern (d’Land, 3. Juli 2009). Zudem nennt er kein Beispiel, um zu illustrieren, wie das Transferpricing funktioniert, oder das Schachtelprivileg, das er zwar nicht mit Namen nennt, aber wohl doch anspricht, wenn er Sonder- oder Ausnahmeregelungen auf ausländischem Kapital nennt, und die Möglichkeit für Großkonzerne, Gewinne und Verluste ihrer Tochtergesellschaften möglichst steuersparend über die Ländergrenzen hin und her zu schieben. Dass das Schachtelprinzip aber auch keine Steuerbefreiung ist, sondern auf einer europäischen Direktive beruht, der zufolge dies nur zwischen abgabenpflichtigen Firmen möglich ist, damit sichergestellt ist, dass mindestens einmal Steuern erhoben, eben just, damit die Gewinne nicht unbesteuert an einem Ende der Kette aus dem System fallen oder aber zweimal besteuert werden, lässt er unerwähnt. 

Andere Steuerregimes, wie das auf Patenteinnahmen, das auf EU-Ebene äußerst kritisch beäugt wurde, bevor Luxemburg es einführen durfte, lässt er hingegen unerwähnt. Dabei gibt es in diesem Bereich der Patentrechte ältere Beispiele, die man hätte zitieren können. Wie das der New Yorker Schickeria-Restaurants Cipriani, Erben der Gründer von Harry’s Bar in Venedig, die ihre amerikanischen Firmen deftige Lizenzgebühren für die Nutzung der eigenen Marken an die Muttergesellschaft in Luxemburg zahlen ließen und dafür in New York verurteilt wurden. (d’Land, 21. September 2007) Dieses Beispiel allerdings illustriert, was Steuerberater anonym sagen. Nämlich dass die Steuerarbitrage von Konzernen nicht zwischen Luxemburg und Entwicklungsländern stattfindet, sondern zwischen Luxemburg und den USA, Großbritannien oder anderen Industriestaa­ten. Dass solche Konzerne vielleicht auch Beteiligun­gen in Drittweltländern haben, streiten sie nicht ab. Negativ auf die Steuersituation dort dürfte sich allerdings auch auswirken, dass dort nicht unbedingt immer die Teile der Wertschöpfungskette beheimatet sind, bei denen viel Mehrwert geschaffen wird.

Weil es dennoch nicht nachzuvollziehen ist, warum der Lebensstandard in Ländern, deren Bodenschätze von westlichen Firmen gefördert werden, nicht steigt, ist es umso bedauerlicher, dass sich in diesem Fall kein gut vorbereiteter Anwalt für sie stark macht. Der macht es Jenen, die gerne „Nestbeschmutzer“ rufen werden, allzu leicht. Eine berechtigte Kritik läuft Gefahr, kein Gehör zu finden, weil sie falsch und schlecht dokumentiert ist. Ein Fehlschuss. Umso mehr, da, die Schlussfolgerungen, die Falks Bericht zieht, und die Forderungen, die er stellt, zumindest teilweise, stichhaltig sind.

Die Feststellung, es sei illusorisch, zu hoffen, man könne die anderen EU-Staaten dazu bewegen, den automatischen Informationsaustausch durch eine Quellensteuer und den Austausch auf Anfrage zu ersetzen, ist richtig. Dass Luxemburg proaktiv wer­den muss in der Steuerdebatte anstatt alten, unhaltbaren Regelungen nachzuweinen, die Auffassung vertreten nicht nur Nichtregierungsorganisationen. Die Forderung, dass transnationale Konzerne ihre Bilanzen nach Ländern aufschlüsseln, in denen sie aktiv sind, ist weder neu noch abwegig. Und weshalb sollte sich Luxem­burg nicht für eine Steuerdebatte einsetzen, welche die Drittweltländer mit einbezieht, während sie derzeit vorwiegend in Gremien geführt wird,  in denen sie nicht mitreden dürfen? Oder einen Teil seiner Entwicklungshilfe auf den Aufbau kompetenter und effizienter Steuerbehörden in den Zielländern ausrichten? Am 13. Oktober will der Cercle de Coopération ein Rundtischgespräch mit Experten und Politikern organisieren. Hoffent­lich dient ihnen nicht nur die neue Studie als Vorbereitung. 

1 Rainer Falk: Zur Debatte um Steueroasen: Der Fall Luxemburg, Fragen aus entwicklungspolitischer Sicht 

Michèle Sinner
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