Theater

Missbrauch und Misstöne

d'Lëtzebuerger Land vom 25.10.2019

Die Kulisse, die auf der Bühne des Kulturzentrums in Roodt/Syre aufgebaut wurde, ist minimalistisch. Ein Barhocker, ein Tisch, ein Teddybär. Nur der käfigähnliche Verschlag, in dem sich die Utensilien befinden, die Kamera oben in der Ecke, die die Szenerie überwacht, und die Klappe in der Tür vermitteln: Hier stimmt etwas nicht.

Eine Frau in schlabberiger Trainingshose und verwahrlost wirkend, betritt den Käfig. Sie schlägt die Hände über dem Kopf zusammen, sie nimmt den Bären in die Hand und haut plötzlich mit der Faust auf ihn ein, stammelt von Mirabellen im Keller der Mutter, erzählt vom Vater, der kein Erziehungsexperte gewesen sei.

Langsam, wie ein Puzzlestück zum anderen, ergibt der Wortschwall Sinn, fügen sich die Wörter von Jemp Schusters Ein-Personen-Stück Autopsy zusammen zu einem, wie es in der Ankündigung heißt: „Seelenstriptease einer verlorenen Existenz“. Erzählt wird das Schicksal eines Mädchens, das früh vom Pater vergewaltigt und vom Leiter des Solfège sexuell belästigt wurde. Das verhaltensauffällig war, ohne Mitgefühl Tiere gequält hat, so dass der Mutter Böses schwante: Mit dem Kind stimmt etwas nicht. Und das als erwachsene Frau selbst gewalttätig wird.

Es ist verstörender Stoff, den Regisseur Jemp Schuster und Schauspielerin Michèle Turpel auf die Bühne bringen. Und über weite Strecken vermag der Monolog den Zuschauer durchaus in den Bann zu ziehen. Die dichte, fast fiebrige Erzählweise, unterbrochen von balladenartigen Gesangseinlagen (Musik von Georges Urwald), deren Texte Aspekte der Geschichte aufgreifen und vertiefen, geben dem Stück Spannung und Dynamik. Mal springt Turpel auf und greift den einzigen stummen Zeugen, den Teddy, wie im Wahn; mal sitzt sie in Selbstmitleid versunken wie ein Häufchen Elend auf ihrem Hocker. Langeweile kommt trotz 90 Minuten Ein-Frau-Schau und dem Käfig als einzigem Ort der Handlung nicht auf.

Doch Jemp Schuster wäre nicht Schuster, wenn er die Geschichte nicht auch ironisch brechen würde. Was im Kabarett mit gut gesetzten Pointen funktioniert, provoziert hier jedoch mitunter Misstöne – und damit sind nicht die Gesangseinlagen Turpels gemeint. Auch wenn ihre Stimme singend nicht dasselbe Volumen und dieselbe Intensität erreicht, wie wenn sie spricht. Die schrägen Töne entstehen durch einen düsteren Plot, der über den Lauf des Abends immer absurder wirkt, und durch eine Ambivalenz, die sich nicht auflöst, vielleicht nicht auflösen soll?

Will Schuster die Geschichte einer missbrauchten Frau erzählen, die über die Verhältnisse verrückt geworden ist? Geht es ihm darum, eine Frau zu zeigen, die in Reaktion auf die erlittenen sexuellen Übergriffe das Heft in die Hand nimmt, ihren Peiniger und stellvertretend weitere Männer tötet und so das Geschlechterverhältnis auf den Kopf stellt? Der Männer-Mord als emanzipativen Akt?

Wenn der Wecker schrillt und sie aufspringt und wie ein aufgezogener Automat in Richtung Kamera den Satz spricht: „Schuld, Schuld, ich hab Schuld, ich bin an allem schuld“; dann klingt das wie eine Abrechnung mit einem patriarchalischen System, das Frauen unterdrückt, sie quält und entmündigt – und ihnen noch dazu die Schuld an der eigenen Misere zuschiebt.

Aber weil laut Textvorlage die Heldin schon als Mädchen durch sadistische Quälereien auffällt, weil sie sich auf ihrem Rachefeldzug auch an gut meinenden Männern vergreift, ohne auch nur einen Funken Empathie zu zeigen, ist die Schuldfrage so eindeutig nicht zu beantworten. Als Stück zum besseren Verständnis einer Frau, die gegen männliche Gewalt aufbegehrt, taugt Autopsy daher nicht.

Autopsy, Text und Regie: Jemp Schuster, mit Michèle Turpel; Musik: Georges Urwald; Bühne und Technik: Serge Hoffmann und Claude Goetz; weitere Stationen am 8.11. in Reisdorf (Telefon für Reservierungen:
691 94 21 30), 15.11 in Useldingen (23 63 00 51 29), 16.11. in Wasserbillig (661 28 04 18), 21.11. in Schwebsingen (691 65 76 17), 22.11. in Randschelt (671 22 22 24) und 24.11. in Steinsel (33 21 39 38).

Ines Kurschat
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