Die Luxemburger Autohändler rechnen mit einem „schwierigen Jahr“. Am Ende könnte der gehobene heimische Markt einbrechen

Bewahrt die Mittelklasse!

d'Lëtzebuerger Land vom 25.01.2013

Dass im Festsaal der Handwerkskammer der Ruf nach Erhalt des Index’ laut wird, kam wahrscheinlich noch nie vor. Dem war auch am Montag vor einer Woche nicht so, als die beiden Autohändlerverbände Adal und Fegarlux zu ihrem traditionellen Empfang vor dem Autofestival einluden. Um die „Kaufkraft“ der Bevölkerung aber sorgen die Garagisten sich, und Fegarlux-Präsident Ernest Pirsch meinte in seiner Eröffnungsansprache, man solle doch aufhören, „alles schwarz zu malen“. Die wirtschaftliche Lage Luxemburgs sei „nicht so schlecht, wie in der Vergangenheit zu hören war“. Statt „die Verbraucher zu verunsichern wie in den letzten vier, fünf Jahren“ sollten Politik und Medien die Lage „positiver“ beschreiben, damit die Leute sich ihrer „Kaufkraft“ besännen. Am heimischen Autohandel hingen schließlich 246 Betriebe und knapp 5 000 Arbeitsplätze.
„Schlecht“ geht es der Mehrzahl der Bevölkerung sicherlich noch immer nicht. Auch den Garagisten nicht. Aber vier Jahre der Flaute am Automarkt haben ihre Spuren hinterlassen. Dem Einbruch der Neuzulassungen um fast zehn Prozent nach Ausbruch der Krise 2008 konnte im Jahr danach mit Sonderangeboten und dem staatlichen Konjunkturgeschenk Verschrottungsprämie zwar gegengesteuert werden. Die Statistik der PKW-Neuzulassungen aber zeigt: Ende 2012 wurde noch nicht einmal der Stand von 2006 wieder erreicht. Und die Verkäufe an Neuwagen, abgesehen von Importen, blieben im vergangenen Jahr mit einem Plus von 0,4 Prozent gerade mal so im positiven Bereich. Wohlgemerkt: offiziell. Inoffiziell räumen Händler ein, dass die Verkäufe 2012 in Wirklichkeit um sechs bis sieben Prozent rückläufig waren und nur der „Reexport“, bei dem ein Händler einen Neuwagen anmeldet, um ihn gleich wieder ins Ausland auszuführen, die Statistik verbessert habe. Zu allem Überfluss war im vergangenen Jahr der Gebrauchtwagenmarkt stärker als der der Neuwagen. Das hat es seit 2003 nicht mehr gegeben.
Was die Händler offenbar fürchten, ist nicht nur, dass die Luxemburger weniger neue Autos kaufen könnten. Denn das tun sie schon, weil einerseits die Zahl der Neuwagenverkäufe weniger stark wächst als die der Bevölkerung und andererseits das „Durchschnittsalter“ der Autos zunimmt: Vor fünf Jahren wurde ein PKW im Schnitt fünf Jahre nach seiner Erstzulassung wieder abgestoßen. Heute vergehen bis dahin 6,6 Jahre. Hinter dem bangen Wunsch, die Leute mögen sich „ihrer Kaufkraft besinnen“, steckt vielmehr die Sorge, der heimische Automarkt könnte seinen „gehobenen“ Charakter verlieren. Die Sorge der Autohändler ist im Grunde eine Sorge um die Mittelschicht in der Bevölkerung. Und um die Mittelklasse bei den PKWs.
Noch ist die Welt einigermaßen in Ordnung. Den Zahlen vom vergangenen Jahr zufolge, wurden wieder an erster Stelle neue Volkswagen gekauft. Vor allem der VW Golf, seit Jahren der Bestseller hierzulande. Renault schaffte, vor allem weil die Verkäufe seines Kompakt-Vans Scénic gegenüber 2011 um über 140 Prozent wuchsen, den Aufstieg zur am zweithäufigsten verkauften Marke. An dritter und vierter Stelle folgten BMW und Audi, danach Peugeot und Mercedes. Unter den Top Five der mit Stückzahlen von über tausend verkauften Modelle sind je zwei von VW, Renault und BMW.
Was sich da präsentiert, ist die solide Mittelklasse – bis zu den gehobenen Rändern des Segments mit 1er und 3er BMW. Anschließend geht es gehoben weiter: mit dem „kleinen“ geländewagenähnlichen Tiguan von VW, der C-Klasse von Mercedes und dem Audi A3 (siehe Kasten). Dass Audis Offroader Q3, der technisch auf dem VW Tiguan basiert, aber die edlere Option darstellt, in der Neuzulassungsstatistik 2012 auf Platz 18 kam, kann einen falschen Einruck erwecken: Der Q3 kam erst gegen Ende 2011 auf den Markt, seine Zulassungszahlen aber schossen 2012 um über tausend Prozent in die Höhe. Dass in Luxemburg noch längst nicht Low-cost angesagt ist, zeigt auch der Blick auf die Erstzulassungen von Renaults Preisbrechermarke Dacia: Wenn ihre Autos letztes Jahr in nennenswerten Stückzahlen nachgefragt wurden, dann in Form des Allrad-Modells Duster (417 Stück). Das ist in der Basisvariante zwar nicht mal halb so teuer wie in ungefähr derselben Klasse der VW Tiguan. In der Duster-Bilanz aber äußert sich wahrscheinlich vor allem der weit verbreitete Wunsch nach einem SUV. Von den richtig preiswerten Dacias, dem Logan und dem Sandero, wurden letztes Jahr nur 103 beziehungsweise 130 Stück neu angemeldet. Damit ist Luxemburg weit entfernt von der Lage in Frankreich: Dort machte der Dacia-Absatz beinahe 40 Prozent aller Verkäufe der Renault-Gruppe aus. In Luxemburg waren es 14 Prozent.
Schon der Verlauf des Autofestivals aber könnte erste Anhaltspunkte dafür liefern, ob der heimische Automarkt strukturell fürs erste so beschaffen bleiben könnte wie bisher – trotz der Sparpakete der Regierung, trotz erneut angestellter Überlegungen zum „gedeckelten Index“, trotz aller Erklärungen, die Rentenreform müsse nach den Wahlen weitergehen, und obwohl der Premier angekündigt hat, in seiner Erklärung zur Lage der Nation in ein paar Monaten weitere Konsolidierungspläne der Regierung vorzutragen. Eine Kaufzurückhaltung der Festivalkundschaft wäre ein erstes Indiz, dass Schluss sein könnte mit lustig. In dem Fall könnten künftig nur weniger neue Autos verkauft werden. Der Neuwagenmarkt könnte sich überdies allmählich aufspreizen: in ein Segment, in dem stärker als bisher weniger anspruchsvolle und billigere Modelle gekauft würden, und in die Oberklasse.
In Letzterer macht man sich vor dem Festival auch weniger Sorgen. Die bisher hohe Nachfrage lässt sich ablesen an den vielen Neuzulassungen der Premiumanbieter. Weit über 700 neue C-Klasse Mercedes, 5er BMWs und X3-BMW-Geländewagen sprechen für sich; ebenso wie Land Rovers im letzten Jahr viel verkaufter Range Rover. Dass dessen Nezulassungen sich gegenüber 2011 mehr als verdreifacht haben, wurde in der Branche mit einiger Überraschung aufgenommen.
Und so sieht man bei Mercedes, BMW, Audi oder Porsche dem Festival und dem Autojahr 2013 durchaus gelassener entgegen als die traditionellen Mittelklasse-Anbieter. „Das Vertrauen der Kunden in die Marke Mercedes-Benz“ sei „stark“, urteilt Mercedes Luxemburg – und setzt zum Festival nicht nur auf die 2012 „neu erfundene“ A-Klasse, sondern vor allem auf Neuheiten in der noblen E-Klasse. Bei BMW freut man sich auf den Wettbewerb des neuen 3er GT mit dem A5 Sportback von Audi. Audi wiederum zeigt den neuen A3 Sportback und verspricht, 2013 werde „ein sportliches Jahr“ mit dem S7 und dem S8. Auch die Vertreter von Porsche, der hierzulande erfolgreichsten Sportwagenmarke mit zuletzt 416 Neuzulassungen und einem 2012 um fünf Prozent gewachsenen Absatz, gehen davon aus, in Luxemburg „stark“ zu bleiben, und schieben zum Festival den neuen Boxster ins Rampenlicht.
Bei ausgeprägteren Mittelklasse-Händlern ist die Aufregung vor dem Festival und dem Autojahr 2013 größer. Sie fahren auf, was sich aufbieten lässt, um das Mittelklasse-Segment in seiner ganzen Breite zu bewahren – und die Vorliebe der breiten Kundschaft für „praktische“ und starke Autos zu bedienen. Wobei „praktisch“ nicht nur Kombi heißt, sondern auch geräumiges Geländewagen-SUV. Der Trend zur Karosserieform „Break“, unter die in Luxemburg nicht nur Kombis, sondern auch SUVs fallen können, ist laut den Statistiken der Zulassungesstelle SNCT derart ungebrochen, dass im vergangenen Jahr an erster Stelle Neuwagen dieser Rubrik neu zugelassen wurden und die „Breaks“ erstmals die Fließheck-Autos überrundeten. Noch vor sieben Jahren wurden nur halb so viele Breaks wie Fließheckler neu verkauft. Dass es daneben kaum einen plötzlichen Trend weg von starken Motoren geben dürfte, deuten die Zahlen des Statistikinstituts Statec an: 2012 hatte nur ein Fünftel der neu zugelassenen PKWs unter 1,5 Liter Hubraum. Weil bei den Herstellern der Trend zum Downsizing der Antriebe bei kleinerem Hubraum höhere Leistungen erlaubt, könnte die mittlere Motorenstärke des Luxemburger Fuhrparks demnach noch zugenommen haben. Schon bisher war sie sogar im Vergleich mit Deutschland deutlich höher.
All dies eingedenk, wird beispielsweise VW zum Autofestival intensiv den neuen Golf 7 nach vorn zu bringen versuchen. Dass der Golf-Absatz im letzten Jahr um fast 20 Prozent einbrach, lag ja vielleicht nicht nur am allgemein schwächeren Markt, sondern auch daran, dass der neue Golf erst im Spätherbst in den Handel kam. Pech für VW, dass der neue Golf-Kombi Variant, der besonders sparsame Golf 7 Blue Motion und der sportliche Golf 7 GTI erst im Laufe des Frühjahrs lanciert werden. Mit einer insgesamt neuen Modellpalette lässt sich dadurch nicht sofort werben. Auch das neue Beetle Cabrio muss bis April warten. Danach folgen noch der VW Jetta Hybrid und die Elektro-Version des Kleinwagens Up!. Zum Festival wird eine Erdgas-Variante des Up! angeboten.
Renault ist in einer ähnlich unbequemen Lage: Mag sich der Scénic letztes Jahr besonders gut verkauft haben und der Mégane ebenfalls, steht zum Festival nur der neue Clio als im Oktober auf den Markt gebrachte Neuheit zur Verfügung, wenngleich nun auch in der Kombi-Version Grandtour und als sportlicher RS. Auf Zoé Z.E., das vierte und letzte Elektromobil, das in seiner Zero emission-Reihe noch fehlt, kann Renault immerhin schon hinweisen, verkauft werden wird es im Frühjahr.
Die Händler von Peugeot, nach Audi Nummer fünf bei den Neuzulassungen 2012, setzen derweil neben dem neuen kleinen Dreitürer 208 auf den Mittelklasse-3008 mit Hybridantrieb; Citroën setzt auf den DS4 und den C4. Ford hat vor allem den kleinen
Fiesta ganz neu anzubieten, sowie das SUV Kuga und den sparsamen Minivan B-max noch vom letzten Jahr. Ob die gute Mittelklasse dieses Jahr womöglich unter Druck gerät, könnte sich auch daran ablesen lassen, wie die Autos nicht ganz so großer Marken sich verkaufen. Die von Seat zum Beispiel, die in Luxemburg bei Portugiesen besonders beliebt sind. Zum Festival gibt es den neuen Toledo und den erst vor zwei Wochen offiziell gestarteten neuen Leon. Oder die Autos von Škoda, unter denen der Rapid, der „kleine tschechische Bruder“ des VW Jetta, mit neuem Design frisch aufgelegt wurde. Der größere, gediegenere und hochpreisigere Octavia, der in Luxemburg traditionell gut lief, folgt mit Škodas neuer Design-DNA erst in ein paar Monaten. Alles in allem werden in der Mittelklasse dieses Jahr eine Menge „Vernunftautos“ angeboten: nicht zu schrill, schön geräumig und bei gefälligen Verbrauchswerten nicht zu schwach. Eigentlich genau das, was die Luxemburger Kundschaft trotz Krise nachfragen möge, wie die Händler hoffen.

Peter Feist
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